DOKUMENTA Impressionen
Gedanken zur documenta x eine Woche nach Eröffnung
Auf dem Rückweg von Kassel im ICE diskutierten pop~Tarts die Dokumenta-Eröffnung, lasen lokale und internationale Kritiken und machten einen ersten Blick in das über 5 kg schwere DokumentaX-Buch. Von der deutschen Presse wird die Ausstellung überwiegend runtergemacht, von der österreichischen hochgelobt. Das ist die Art von Ausstellung, welche die Presse zu zerreissen liebt. Und die Arroganz der Ausstellungsmacherin David gegenüber den Journalisten bei der Eröffnungspressekonferenz wird ihr von diesen nicht so schnell vergessen werden.
dX, eine sehr persönliche Auswahl
David hat für die Dokumenta X (dx), eine sehr persönliche Auswahl getroffen. Es ist ihre "Show", die Auswahl weist Verbindungen zu ihrer individuellen Entwicklungsgeschichte und Kunstsozialisation auf, wie etwa die langgehegte Vorliebe für Brasilien, Israel und Afrika, zu Fotografie, zu Zeichnungen. Es gibt nicht sehr viele grosse Stars in der Show und diese werden mit grossformatigen Arbeiten präsentiert, wie etwa Richter, Art and Language oder Peter Kogler. Es gibt aber auch neue Linien, Themen, Namen und Künstler aus Ländern, die noch nie zuvor bei der Dokumenta dabei waren. Uns erscheint es am interessantesten, darüber zu sprechen.
Bei einem kurzen Überblick auf das Dokumenta-Gesamtkonzept wird aber klar, dass trotz der unprätentiösen Auswahl kaum feministisch orientierte Beiträge enthalten sind, auch keine wirklich scharf-politischen Arbeiten und daß hochkarätige Medienkunst, die für diesen Bereich repräsentativ wäre, fehlt. Die gezeigten Medienarbeiten sind eigentlich reduziert, Low -Tech, haben mehr mit Inhalt zu tun als mit Technologie. Sogar die beiden Internet-Installationen (Peljham u. Crandall) nutzen die Möglichkeit dieser Ausstellung eher um theoretische Vorbedingungen anzusprechen und das Informationssystem/die Medien sind nicht wirklich das Thema. Zudem werden Internet-Projekte offline gezeigt.
Eine der intensivsten persönlichen Retrospektiven der dX ist die, die aus der Zusammenarbeit zwischen Mike Kelley and Tony Oursler resultiert. Die beiden Künstler, die in den 70er Jahren gemeinsam das California Institute for the Arts besuchten, sind über die Jahre Freunde und Kollaborateure geblieben. In ihrer neuen Installation für die Dokumenta Halle materialisieren sie ihren speziellen Sinn für Ironie in einem vollgepackten Kunst- und Projektionsraum. Minivideobeams und bühnenbildähnliche Installationen stehen massiven, von der Decke hängenden Objekten und als Staffage benutzten, schizoiden Tafelbildern gegenüber. Ton, Bilder und Videoprojektionen verbinden sich zu einer alptraumartigen Umgebung. Die gesamte Menagerie wird "The Poetics Project" genannt und ist eine hedonistische Oase in der kopflastigen Dokumenta Auswahl.
Der Kelly/Oursler Beitrag zur Serie der dX Multiples für das kunstbegeisterte und kauffreudige Sammlerpublikum, ist eine CD Sammlung mit Soundarbeiten der beiden.
Eine andere mögliche Art der Interpretation der dX Jubiläumsaussttellung ist die, sie als einen Ausläufer einer entstehenden allgemeinen medialen Oberfläche zu sehen. Die begleitenden Veranstaltungen der dX zeigen eine neue Ebene der theoretischen Arbeit als Kunst und sind als Video on Demand auf der Dokumenta-Webpage abzurufen.
In einem Streitgespräch "Zum grossen E und U" im Rahmenprogramm um die Dokumenta unterstellte Prof.Dr. H.U. Reck, an der Kunst Hochschule für Medien Köln tätig, die DokumentaX sei eigentlich nur eine physisch ausgebreitete Benutzeroberfläche. Auf ihr mischen sich Metamusealisierung und Netzkunst, die nicht immer nur vom Feinsten ist. Sie bildet Tupfer auf der Oberfläche, die eine allgemeine medialen Oberfläche als Kunst-, Polit-, und Alltagsrealität ankündigt oder ohnehin schon wiederspiegelt.
So gesehen ist diese Kunstschau nur eine Vorbereitung und inhaltliche Aufmürbung für eine bald allgemein angenommene mediale Realität der Kunst, ein Durchlauferhitzer von Material aus der E- und U- Kultur.
Edward Said sprach beim ersten Vortrag der "100Tage - 100 Gäste"-Reihe am Abend der Eröffnung von der Verflochtenheit der Phänomene aus Kunst und Nichtkunst, Politik und Sozialem. Diese Grenzüberschreitungen zwischen Theorie, Gesellschaft, Kultur und Kunst anhand der Vortragsreihe zu zeigen, ist eine der interessantesten Ideen im Dokumentakonzept. Im Gegengewicht dazu wiegt es kaum, wenn David für ihr Verhalten als Person angegriffen werden kann. Allerdings hatte sie mit dem Vorwurf der Uninformiertheit oder Dummheit von Fragestellern und Presse nicht unrecht.
David kontert bei der Moderation des ersten Vortragsabends auf die Frage, "Was hat das mit der Ausstellung (respektive Kunst) zu tun?" mit dem Statement: "Wir spechen von "le politique", das (als neue grammatikalische Schöpfung) mehr beinhaltet als "la politique", die wir allgemein kennen."
Diese französische Anthropologisierung des Sozialen zeigt sich auch in politisierenden dX Beiträgen, wie der "Typosophic Society" von Richard Hamilton und Ecke Bonk oder im "New Urbanism" von Rem Koolhaas.
Said beschrieb in seinem Vortrag auch die Bedeutung von verschiedenen Sprachsystemen für die Konstruktion von politischer Macht und Identät durch Text und Sprache. Diese Ideen sind programmatisch für eine Reihe von künstlerischen Arbeiten bei der dX.
Auch die Netzgedanken in der dX korrespondieren mit einer Art von "Metamusealisierung". Sie ist der zweite Grundgedanke der Dokumenta Schau und geschieht anhand von aus politischen und strategischen Gründen gezeigten Arbeiten aus vorangegangenen Jahrzehnten.
Martin Kippenberger richtet zum Beispiel weltweit an verschiedenen geografischen Orten Metrostationen ein, die dann auch im Internet auf der als Dokumenta Künstlerprojekt engezeigt werden. Auf dem Dokumentagelände selbst befindet sich eine transportable Metrostation.
Auch auf Fagen, die politische Inklusion oder Exklusion ansprachen, gab es wohldefinierte Antworen. Immerhin spach Said, ein palästinensischer Vordenker und anfänglicher Unterstützer von Arafat bei seiner dX Vorlesung vor grossem Publikum und lieferte den gedanklichen Hintergrund, mit dem sich dX Arbeiten wie die Cd-Rom von "Ala und Gay Middle East" leichter verstehen lassen.
Diese interaktive Anwendung zeigt einen Blick aus einem Fahrzeug, das der Nutzer durch die Strassen von Jerusalem steuern kann, mit dem er aber an bestimmten Strassensperren nicht mehr weiterkommt. Die politische Dimension von Kunst ist hier überaus deutlich.
Das Spektakel und ihre Gesellschaft, frei nach Guy Debord, hat Catherine David neu ausgelegt. Ihre Dokumenta geht über den Museumsparcours hinaus und wird neben Theorie von Veranstaltungen und sogar Tanztheater, wie etwa von Meg Stuart, eine der Stars des neuen Tanzes, begleitet. Im Stadtgebiet verstreut und auf dem Weg zum Kulturbahnhof Kassel über die Treppenstrasse finden sich Installationen.
Ausserhalb Kassels befindet sich die Installation "Makrolab" von Marko Peljhan, des Isolationslabors zur Erforschung einer Umgebung der Zukunft als Mix aus Utopien und Zitaten von Futuristen, Konstuktivisten, russischer Avantgarde und Poesie. In der Dokumenta Halle gibt es eine miltärisch anmutende Sichtstelle, die verschiedene Möglichkeiten zur Kommunikation mit den Künstlern im Makrolab anbietet.
Das "Imaging" für Dokumenta findet durch die im Stadtgebiet verteilten und bei der Ausstellung käuflich zu erwerbenden Sticker, Broschen, Kleber etc., mit einer Art dXLogo, gestaltet von Carsten Nicolai, statt.
Zusätzlich gibt es mit einer diesjährigen Dokumenta-Edition ein Revival von Mutliples zum moderaten Preis. Dazu gehören unter anderem Jordan Crandalls "Suspension Vehicles", sublimierte Formen basierend auf computerunterstütztem Design, materialisert in Plastik und ergonomisch in die Form einer Hand passend, als dekorative Stücke im Managerbüro zu verwenden.
Jordan Crandall hat seine Installation suspension vehicels, über Hybridräume, auf eine spröde Oberfläche reduziert. Sie besteht aus interaktiven Videoprojektionen und 3D Räumen als eigenständiges System ohne Anbindung an Kommunikationsräume ausserhalb. Die Installation suspension vehicels auf Metallkonsolen transportiert die Idee der Beobachtung von Rythmus and Bewegung und der Mischung von Räumen und Formen aus Alltagsdesign und vernetzter Kommunikation.
Die inhaltliche Recherche dazu geschah auf dem vom Künstler eingerichteten Blast-Forum im Internet. Diese Erklärungen vermisst der Besucher vor Ort.