Dänemark: Rechenmodelle und der Überoptimismus

Bild: NIAID/CC BY-2.0

Dänemark lockert seine Abriegelung zunehmend. Doch es gibt viele offene Fragen

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"Die Wiedereröffnung Dänemarks ist wichtig für unsere Erwerbswelt", so Simon Kollerup, der Wirtschaftsminister des Königreichs. "Dies muss für die Gesundheit verantwortlich sowie soziökonomisch klug umgesetzt werden", sagte der Sozialdemokrat.

Seit Montag bedienen Friseur- wie Massagesalons Kunden, auch sind Gerichte wieder tätig. In einer Parlamentsdebatte in der vergangenen Woche konnte die Ministerpräsidentin Mette Frederiksen eine Einigung aller Parteien erzielen.

Bereits am Mittwoch vor einer Woche hat Dänemark unter Auflagen Kindergärten und Grundschulen geöffnet. Auch plant die Regierung, ab dem 10 Mai wieder Versammlungen bis zu 500 Personen zuzulassen.

"Alles - alles! - hängt immer noch von unserem Verhalten ab. Wir müssen zusammenhalten, indem wir Abstand halten", appellierte die Sozialdemokratin an die Dänen via Facebook.

In den entsprechenden Branchen freut man sich zwar darauf, wieder wirtschaftlich tätig zu werden. Doch gerade die sonst vorgeschriebenen zwei Meter Abstand sind bei Berufen wie Friseur oder Masseurin kaum einzuhalten. "Es gibt Nervosität und Unsicherheit, weil wir keine Richtlinien für die Branche erhalten haben", monierte Connie Mikkelsen, Vorsitzende des dänischen Friseurverbandes im öffentlich-rechtlichen Sender DR. Anne-Marie Vangsted, Direktorin der dänischen Agentur für Patientensicherheit versprach am vergangenen Sonntag, dass genauere Richtlinien noch auf dem Weg seien, empfohlen seien für Friseure Plexiglasmasken.

Die Kinder in Grundschulen und Kindergärten müssen sich strengen Auflagen unterordnen - dazu gehört der Abstand der Tische von zwei Metern, das zweistündliche Waschen der Hände, auch dürfen nicht mehr als fünf Kinder zusammen stehen.

Dänemarks sozialdemokratische Minderheitsregierung schränkte bereits Mitte März das öffentlichen Leben ein. Die Grenzen, Schulen, Restaurants sowie Friseurläden wurden geschlossen. Vor allem durch Heimkehrer aus dem Skiurlaub in Norditalien und Österreich hatte es einen Infektionsschub gegeben.

"Soziale Distanzierung" ist eine "Superwaffe"

Als die Anzahl der Krankenhausbehandlungen von Covid-19-Patienten Ende März zurückging, kündigte die Regierungschefin eine stufenweise Lockerung nach Ostern an, was für internationale Beachtung sorgte. Derzeit sind in Dänemark über 8500 Menschen als Infizierte gemeldet, davon starben 422. Die Anzahl der Personen auf Intensivstationen ist rückläufig, derzeit müssen dort 80 Patienten behandelt werden. Grundlage für die Lockerungspolitik Dänemarks sind die Berechnungen des Epidemologen Kare Mölbak, Direktor des "Staatlichen Seruminstituts".

Der Epidemie-Experte hält "Soziale Distanzierung" für eine "Superwaffe" im Kampf gegen eine Epidemie, gleichzeitig hat er Modelle präsentiert, in denen er einen geringen Infektionsdruck bei Berufen wie Friseuren und Tätowierern berechnet, bei denen Abstand halten schwierig ist.

In seinen Modellen wird die Größe eines "Infektionsdrucks" prognostiziert, je nachdem welche Branchen wieder tätig werden. Demnach würden die derzeitigen Lockerungen zu keinem signifikanten Anstieg führen. Restaurants und Kneipen sollten hingegen weiterhin geschlossen bleiben, dies gilt auch für Universitäten sowie für die weiterführenden Schulen.

Der Mediziner warnte die Politiker auch vor einem "Über-Optimismus", der in der Bevölkerung auftreten könnte. Man solle bloß nicht glauben, es wäre der Normalzustand erreicht. Diese psychologische Dimension sei nicht in seinen Modellen enthalten.

Das Eindämmen der Infektionen würde nun nach der strengen Abriegelung mit einem umfassenden Testen, Contact Tracing und der Isolierung der Betroffenen erreicht werden. So soll das Gesundheitssystem weiterhin vor einer Überbelastung bewahrt werden.

Derzeit werden rund 8000 Dänen täglich auf SARS-CoV-2 überprüft, über 100.000 Einwohner des Landes mit einer Bevölkerung von 5,8 Millionen sind bereits getestet worden. In der vergangenen Woche schätzte das Seruminstitut, dass der sogenannte Infektionsdruck in Dänemark auf 0,6 gesunken ist. Das heißt, ein Infizierter steckt im Durchschnitt 0,6 Personen an.

Jeder, der irgendwelche Symptome wie trockenen Husten hat, soll nun getestet werden, so die Strategie des Gesundheitsministeriums. Dazu kann der Betroffene sogar den Notarzt rufen. Die dänische Regierung hat nun große weiße Zelte im Land verteilt, wo sich die Menschen testen lassen können, ohne die anderen Partei zu informieren, was Ärger auslöste.

Das Gesundheitsministerium will auch Dänen ohne Symptome auf Antikörper testen, um zu sehen, welcher Prozentsatz der Bevölkerung schon immun sein könnte. Das Seruminstitut hält jedoch ein solches Verfahren für noch zu früh, um aussagekräftig zu sein.

Kritik wird aus dem konservativen Lager laut. Frederiksen regiere wie eine autoritäre Landesmutter, die den unmündigen Dänen genau vorschreibe, "was für sie gut und was für sie nicht gut" sei, so eine Stimme in der Zeitung "Berlingske". Die "Radikale Linke", welche die sozialdemokratische Minderheitsregierung stützt, fordert einen genauen Plan, wie das Land aus der Koronakrise heraus kommt.

"Wenn wir etwas über die Epidemie gelernt haben, dann dass sie unberechenbar ist", erklärt Gesundheitsminister Magnus Heunicke. Die Entwicklung hänge von der raschen Handlungsbereitschaft, dem Analysevermögen und dem Reagieren auf unterschiedliche Szenarien ab.