Dallas Reloaded - in Belgrad

In vielem erinnert das Attentat auf den serbischen Premier Zoran Djindjic an die Liquidierung von John F. Kennedy. Neue Fakten bringen Djindjics Erbschleicher in Bedrängnis

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In vielem erinnert das Attentat auf den serbischen Premier Zoran Djindjic am 12. März dieses Jahres an die Liquidierung von John F. Kennedy vor knapp 40 Jahren in Dallas/Texas. So war der charismatische Djindjic dem US-Präsidenten in seiner Jugendlichkeit und seinem Charme durchaus ähnlich. Und es waren die Schüsse eines (oder zweier? oder mehr?) Scharfschützen auf viele hundert Meter Entfernung, die dem einen wie dem anderen den Tod brachten. In beiden Fällen wurde der Anschlag schnell den "Roten" in die Schuhe geschoben - damals wurde Castro, diesmal Milosevic als Drahtzieher verdächtigt. Ebenfalls gab es damals wie heute ernstzunehmende Hinweise auf die Verwicklung des organisierten Verbrechens.

Wie aber hätte die Welt 1963 reagiert, wäre ein glaubhafter Zeuge aufgetaucht, der einen politischen Rivalen aus Kennedys eigener Partei bezichtigt? Der also aussagt, dass Lee Harvey Oswald vor dem Attentat mehrfach von - sagen wir - Lyndon B. Johnson besucht wurde? Genau das ist Mitte Juni in Serbien passiert. Slavomir Bandjur, seit vielen Jahren Wärter im Belgrader Zentralgefängnis, berichtete von heimlichen Visiten des derzeitigen Vize-Premierministers Cedomir Jovanovic beim 2001 inhaftierten Dusan Spasojevic - einem der mutmaßlichen Djindjic-Killer.

Der Mordverdächtige kann allerdings nicht mehr darüber befragt werden, ob und zu welchem Zweck ihn der hochrangige Politiker kontaktiert hat. Spasojevic wurde nämlich seinerseits liquidiert, bevor er plaudern konnte - nicht anders als vor vierzig Jahren Lee Harvey Oswald. Bei der Fahndung nach den Djindjic-Mördern wurden Spasojevic und sein Kumpan Mile Lukovic Kum von der serbischen Polizei erschossen, weil sie sich angeblich mit Waffengewalt ihrer Verhaftung widersetzten. Die Darstellung ist aus mehreren Gründen zweifelhaft: So soll sich die Schießerei angeblich am 27. März zugetragen haben. Aber zunächst hatte die serbische Regierung den 17. März als Tag der Festnahme angegeben, und so stand es auch am 19. März in den Zeitungen.

Damals war noch gesagt worden, der Gangster sei wegen der Verletzungen bei der Festnahme ins Gefängnishospital überstellt worden. Tatsächlich zeigen die Fernsehbilder des ominösen 27. März blutige Schwellungen in den Gesichtern der Leichen.

Es ist offensichtlich, dass Lukovic und Spasojevic liquidiert wurden, damit sie nicht aussagen. Es ist auch offensichtlich, dass beide gefoltert wurden

schlussfolgert Spomenka Deretic im oppositionellen Infodienst Artel, der allerdings nicht auf serbischem Boden, sondern nur in den freien Lüften des Cyberspace betrieben werden kann.

Vor zwei Jahren konnte man bereits lesen, wie tief sich die demokratischen Hoffnungsträger des Balkan auf ihrem Weg an die Macht mit dem organisierten Verbrechen eingelassen hatten - zuerst in der kroatischen Wochenzeitung "Nacional". Die "Financial Times Deutschland" griff deren Recherchen auf, nachdem am 3. August 2001 der ehemalige Geheimdienstoffizier Momir Gavrilovic in Belgrad auf offener Straße erschossen worden war. Er kam aus dem Büro von Präsident Vojislav Kostunica und hatte diesem Material über Verbindungen zwischen der Djindjic-Regierungsmannschaft und dem organisierten Verbrechen übergeben.

Laut "Nacional" hatte Djindjic nicht nur zur Belgrader Unterwelt gute Kontakte, sondern auch zu Stanko Subotic Cane, dem "Kopf der gesamten Balkan-Mafia". Sein Kapital kommt aus dem Verkauf unverzollter Zigaretten - allein in Serbien soll ihm das jährlich eine Milliarde Euro Profit bringen. Canes wichtigster Bündnispartner ist Milo Djukanovic, der als Präsident von Montenegro eine möglichst schnelle Abspaltung von Serbien favorisiert - Kritiker bezeichnen das künftige Staatswesen als "Philipp Morris-Republik". "Nacional" hat 300 Stunden Telefongespräche zwischen Cane und Djukanovic abgehört und berichtet über die Jetset-Aktivitäten der beiden - teure Geschenke, wüste Parties, Missbrauch Minderjähriger -, vor allem aber über die Finanzierung der Wahlkämpfe Djukanovics aus der Schmuggelkasse des Mafioso: 50 Millionen sollen dafür seit 1995 geflossen sein, weitere 130 Millionen seien auf Privatkonten unter anderem in Zypern geparkt.

Djindjics Beziehungen mit dem "ehrenwerten Geschäftsmann" (Djindjic über Cane) beginnen mit der Niederschlagung eines Haftbefehls, den die serbische Polizei im April 1997 erlassen und so Cane zur Flucht nach Kroatien gezwungen hatte. Seit Djindjic Ende 2000 im Amt war, konnte Cane wieder ungehindert in Serbien einreisen - was auch für Djindjic Vorteile hatte: Im Jahr 2001 flog er mit Canes Privatjet zum Staatsbesuch nach Moskau, die Belgrader Tageszeitung "Politika" zeigte das Foto auf der Titelseite. Noch wichtiger war die Kooperation der beiden bei einer in Kragujevac geplanten Zigarettenfabrik. Deren Hauptfinanzier soll British American Tobacco (BAT, u.a. mit den Marken Lucky Strike, Dunhill, Rothmans) sein, Cane stieg als Juniorpartner ein. Djindjic versprach, BAT von allen Steuern und Abgaben zu befreien, und zwar nicht nur für das Werk in Kragujevac - auch die BAT-Zigaretten aus Westeuropa sollten zollfrei nach Serbien eingeführt und verkauft werden können. Auf diese Weise hätte sich die Investition von 150 Millionen Mark für den Konzern in zwei Jahren rentiert. Für Cane als Co-Finanzier war die Fabrik als Geldwaschanlage interessant.

Im Zusammenhang mit der Fahndung nach den Mördern von Djindjic liest man immer wieder, der kriminelle Untergrund sei eine Hinterlassenschaft der Milosevic-Ära und keineswegs ein Produkt der neuen Zeit. Das ist denunziatorisch gemeint, aber nicht ganz falsch: Die serbische Mafia, die aufgrund der ökonomischen Krise des Selbstverwaltungs-Sozialismus schon einige Zeit vor Milosevic entstanden war, wurde von diesem instrumentalisiert, um das Wirtschaftsembargo nach 1991 zu unterlaufen.

Leute wie Arkan und Cane (manchmal wird auch Milosevics Sohn Marko genannt) schmuggelten all das ins Land, was die Nato-Blockade nicht durchlassen wollte. Das war für die Nationalökonomie wichtig - und für die Schmuggler einträglich. Der Philosoph Mihailo Markovic, bei einer Säuberung 1995 aus dem Vorstand der Sozialistischen Partei (SPS) entfernt, behauptet, Milosevic habe eigens die neue Linkspartei JUL als Auffangbecken für die Mafia gegründet

Milosevic Neue Ökonomische Politik scheiterte, der Pakt mit dem Teufel wurde aus der Hölle aufgekündigt: Nach dem Vertrag von Dayton ließ Cane auf seinen bisherigen Kontaktmann, den damaligen SPS-Präsidenten Milorad Vucelic, ein Attentat verüben, im April 1997 wurde der frühere Vize-Polizeiminister Stojicic Badze mitten in Belgrad ermordet. Der blutige Show-Down markiert den Übergang des Zigaretten-Königs von Milosevic zu Djukanovic. Der erschien der Mafia nach seiner Trennung von den pro-jugoslawischen Sozialisten attraktiver, weil er sich nicht nur zum Protagonisten der Eigenstaatlichkeit Montenegros, sondern auch des freien Unternehmertums gemausert hatte. Zügig erarbeitete Djukanovic ein Konzept zur vollständigen Privatisierung der Staatsindustrie - während in Serbien nur Minderheitsbeteiligungen möglich waren und die Belegschaften selbst dabei eine Art Veto-Recht hatten.

Mit anderen Worten: Unter Milosevic konnten die Mafiosi zwar reich werden, aber sie kamen nie aus der Schmuggel-Schmuddelecke heraus und blieben so von ihm abhängig; unter Djukanovic konnten sie dagegen Eigentum an Produktionsmitteln erwerben und so zu veritablen Kapitalisten werden - zur herrschenden Klasse. Mit Djindjic wurde das auch in Serbien möglich.

Warum also sollte die Mafia Djindjic liquidieren? Bevor eine Antwort auf diese Frage versucht wird, sei mit einer Gegenfrage geantwortet: Warum sollte die Mafia, in Verbindung mit zumindest Teilen der CIA, Kennedy liquidieren? War er nicht immer ihr Mann gewesen?

Folgt Teil II: Spiel über Bande - Der "internationale Finger" am Abzug des Djindjic-Mörders