Das Bild des Anderen
Kulturschock USA - Teil II
In den letzten Jahren sind die Beziehungen zwischen der deutschen und der US-Regierung nicht die besten gewesen. Wie sehen die Amerikaner Deutschland heute? Und umgekehrt...
Es war kurz vor Weihnachten, und ich hatte eine Pause zwischen den Treffen mit Leuten aus der Energie- und Umweltbranche eingelegt, um meine Familie zu besuchen. Gleich am ersten Abend traf ich alle Mitarbeiter meines Vaters bei der Weihnachtsfeier seiner Apotheke. Sein neuer Geschäftspartner, so ließ mein Vater verlauten, freue sich sehr, mich endlich persönlich kennen zu lernen.
Doch als ich dem Mann die Hand ausstreckte, erwiderte er mit dem Hitlergruß. Ich traute meinen Augen nicht und wusste gar nicht, was ich dazu sagen sollte. Zum Glück standen die anderen Mitarbeiter neben ihm und wollten mich vor dem Essen auch kurz begrüßen, sodass ich mich nicht länger mit diesem Apotheker befassen musste.
Ich war aber nicht nur leicht verwirrt, sondern etwas kochte in mir. "Man kann die deutsche Geschichte nicht auf 12 Jahre reduzieren!", schrie es in mir. Beim Essen saßen zum Glück einige andere Personen zwischen mir und dem Hitlergruß liebenden Apotheker, sodass ich nicht in Versuchung kommen konnte, ihn zu fragen, wie er sich als Südstaatler vorkommen würde, wenn sich sein Gesprächspartner zur Begrüßung ein weißes Bettlaken über den Kopf stülpen würde. Oder vielleicht wäre ihm ein brennendes Kreuz lieber?
Ich erinnerte mich an die vielen Gespräche, die ich mit Deutschen geführt hatte, die einen längeren Aufenthalt in den USA hinter sich gehabt hatten. Viele von ihnen hatten mit dem Bild des Nazideutschlands zu kämpfen. Aber was hatte dieser Schwachsinn mit mir zu tun? Ich bin überhaupt nicht deutsch, ich lebe nur hier! In Deutschland werde ich wie ein Ausländer behandelt. Ist es nun so weit, dass ich in den USA als Deutscher angesehen werde? Bin ich nun für immer heimatlos wie der ewige Jude, wie ein Dichter aus der Romantik?
Als ich mir beim Essen Gedanken machte, ob es nicht noch eine Insel im Atlantik für mich gäbe, hatte ich unbeabsichtigter Weise mit dem Apotheker Blickkontakt, und mein Anblick löste bei ihm sofort einen gestreckten rechten Arm bei einem Winkel von 45° aus. Das funktioniert wie bei Pavlows Hund, dachte ich, und bevor alle fertig gegessen hatten, schaffte ich es, diesen Mann mit einem bloßen Blickkontakt zu einem dritten Hitlergruß zu bewegen - an einem Tisch für 15 Personen mitten in einem Restaurant.
Diese drei Hitlergrüße waren natürlich scherzhaft gemeint. Ein Gespräch über die Angebrachtheit dieser Gesten wäre somit fehl am Platz gewesen; man hätte mir nur gesagt, ich soll das doch nicht so ernst nehmen.
Der Hitlergruß ist ein Fetisch für manche Amerikaner
Ich kann verstehen, dass die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg behauptet haben, sie hätten von den ganzen Gräueltaten nichts gewusst. Die Amerikaner behaupten auch nichts anderes, wenn es um ihre Außenpolitik geht. Monate, bevor die Folter in Abu Ghraib bekannt wurde, erzählte ich meiner Mutter am Telefon, was hier in Europa alles schon im Fernsehen gezeigt worden war: amerikanische Soldaten, die unbewaffnete Iraker niederstreckten; Journalisten, die behaupteten, von den US-Streitkräften misshandelt worden zu sein; und vieles mehr. Als die Bilder dann von Abu Ghraib im US-Fernsehen gezeigt wurden, sagte mir meine Mutter, "Du hast ja gesagt, dass solche Sachen passieren." Die Amerikaner waren schockiert, dass so was passieren konnte. Ich war schockiert, weil alle schockiert waren.
Ich kann außerdem verstehen, dass viele Deutsche keinen Widerstand gegen die Nazis geleistet haben. Man hätte die Widerständler gleich auf der Stelle erschossen. Gandhi wäre unter den Nazis unbekannt geblieben, weil tot.
Aber dieser völlig absurde Hitlergruß, der bleibt mir ein Rätsel. Wie konnte es passieren, dass eine politische Partei eine neue Begrüßungsgeste durchsetzen konnte? Man stelle sich vor, die Anhänger von George W. Bush würden einander mit einem "W" begrüßen (man halte den kleinen Finger mit dem Daumen runter und spreize die verbleibenden drei Finger). Selbst in den dunkelsten Augenblicken meines Zweifels an der Vernunft des amerikanischen Volkes hätte ich es nie für möglich gehalten, dass sich in den USA ein solcher Gruß im Alltag durchsetzen könnte. Und nach 30 Tagen in den USA glaube ich es noch weniger.
Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Fritz Müller
Unter vielen Amerikanern jedoch genießen die Deutschen ein sehr hohes Ansehen. Gerade bei den Wissenschaftlern, Ingenieuren und Professoren, mit denen ich mich als Vortragsreisender unterhalten habe, gab es nur Lob. Und niemand hat auch nur ein Wort über die politische Missstimmung zwischen Schröder und Bush verloren.
Wer die Deutschen nicht gleich mit den Nazis in Verbindung brachte, dachte sofort an intelligente, innovative Menschen, mit denen man sich lieber nicht messen wollte. Der eine oder andere verkehrte regelmäßig mit deutschen Kollegen, und die hätten in der Regel schon drei Doktortitel. Ich versuchte alles zu relativieren und wies darauf hin, dass die Deutschen eher der Meinung seien, sie könnten nicht mit den Amerikanern Schritt halten. Und außerdem sei das mit dem "Dr. Dr. Dr. h.c." auch kulturell einzuordnen, denn die Deutschen würden darauf bestehen, dass man sie Dr. nennt. Man hat solche Titel ja nicht umsonst. Ein Amerikaner namens "Dr. William Clinton" dagegen würde sich nie anders als schlicht mit "Bill" vorstellen.
Ich hatte natürlich auch mit vielen grün angehauchten Amerikanern zu tun, da ich Vorträge zum Erfolg der erneuerbaren Energien in Deutschland gehalten habe. Gerade solchen Leuten erscheint Deutschland wie ein Schlaraffenland. Immer wieder musste ich erklären, wie die Deutschen einen Konsens zur Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetz gefunden hatten; wie sie erfolgreich den Verbrauch von PKWs durch die Ökosteuer gesenkt hatten, während der Verbrauch in den USA steigt; und wie der Müll in Deutschland gleich in den Haushalten mindestens dreifach geteilt wird, damit möglichst viel wiederverwertet werden kann, während die Amerikaner oft alles, was recycelbar ist, irgendwo hinfahren müssen, wenn sie es wiederverwerten wollen (sie müssen nicht), denn zu Hause gibt es nur einen Mülleimer, und der enthält neben Essensresten noch Coladosen, Plastikflaschen, Alu-Folie, Papier, usw.
"Wie schaffen die Deutschen diesen Konsens?", wurde ich immer wieder gefragt. "Wird nicht alles über Bord geschmissen, sobald die Opposition die nächsten Wahlen gewinnt?" Nein, erklärte ich, die meisten Gesetze dieser Art stammen aus der Zeit, in der die heutige Opposition die Koalition stellte. Meinen amerikanischen Gesprächspartnern, die sich tagtäglich mit skrupellosen Politikern aus der Öl-Industrie auseinander setzen müssen, schüttelten nur den Kopf über so viel Vernünftigsein.
Man sieht nur das, was man schon kennt
Die Amerikaner lieben bekanntlich deutsches Bier - aber deutsches Essen? Die amerikanische Küche genießt ihrerseits nicht gerade hohes Ansehen in Deutschland. Kein Wunder, denn man beschränkt sich, wenn es ums amerikanische Essen geht, meistens auf deutsche Reimporte: So ist der Hamburger eine Frikadelle aus der Hansestadt, die ein Schotte zu einem Sandwich mit etwas Gemüse drauf machte. Unsere hot dogs sind dieselben gemahlenen Ohrläppchen und Arschbacken, die man an jeder deutschen Wurstbude findet (das sage ich als Genießer der Freiburger Münschterwurscht).
Was im Ausland als gutes Essen gilt, kann mitunter etwas völlig anderes sein als Zuhause. Die Deutschen reisen um die Welt, damit sie sicher sein können, dass man das beste Brot immer noch Zuhause findet. Mein Vater erzählte mir einmal von einem Deutschen, der neben ihm in einem der vielen tollen Restaurants in New Orleans gegessen hatte. Als der Wirt das bestellte Gericht brachte, wollte der Deutsche unbedingt noch Brot dazu haben.
Mein Vater wollte dann von mir wissen, warum dieser Deutsche Brot haben wollte, da es doch gutes Essen gab. Ich sagte ihm, das mit dem Brot und den Deutschen, das sei so eine Sache. Schließlich essen die Deutschen das Gleiche zum Frühstück und Abendbrot. Wenn man schlechtes Brot hat, hat man auf deutsch schlechtes Essen. In den USA beginnt das gute Essen oft erst dann, wenn man das Brot hinter sich lässt.
Dafür ist die Bierkultur in den USA ein Kapitel für sich. In einer guten Bar in einer Großstadt bekommt man neben den großen amerikanischen Biermarken noch ein paar Sorten vom Fass aus England, Deutschland, Belgien und so weiter. Dann kommen noch die ganzen Sorten hinzu, die man als Flaschenbier bekommen kann. Die Auswahl an Biersorten ist also gewaltig. Wenn ich dann einem Amerikaner erzähle, dass dieses Dinkelacker, das er gerade als Fassbier trinkt, aus Stuttgart kommt und deshalb 200 Kilometer südwestlich in Freiburg im Breisgau nicht erhältlich ist, versteht er die Welt nicht mehr.
Noch eine Besonderheit: Das Bier hat in den USA möglichst kalt zu sein. Manche Städte veranstalten sogar Wettbewerbe unter den Kneipen: Wessen Bier ist das kälteste? Das Schild oben stand an einer Tankstelle, die offenbar sehr kaltes Bier verkauft - kälter sei illegal. Eine der größten Brauereien in den USA behauptet, ihr Bier habe den kältesten Geschmack, denn es sei mit kaltem Wasser aus den Rockies "kalt gebraut" und werde nur in klimatisierten LKWs an die Supermärkte geliefert, wo man es allerdings nicht nur in den Kühlregalen, sondern manchmal auch ganz normal bei Zimmertemperatur aufgestapelt findet...
Es ist auch völlig normal, dass man das, was man kennt, im Ausland sucht. Als ich das erste Mal nach Deutschland kam, suchte ich nach Bohnengerichten und Reiseintöpfen. Man isst bei uns Zuhause auch gerne scharf, aber als ich in einem mexikanischen Restaurant in Deutschland einmal etwas Tabasco dazu haben wollte, bekam ich eine verstaubte Miniflasche, die noch mit der Original-Plastikfolie verschlossen war.
Ich vermisse das Essen von Zuhause sehr. Deshalb mein Rat: Wer in den Südstaaten nur bei Fast-Food-Ketten isst, ist selber schuld. New Orleans hat eine eigene Küche, die eine Mischung aus französischer, afrikanischer und karibischer Küche ist. Man bestelle beispielsweise Jambalaya, Crawfish Étoufée und Red Beans & Rice. "Boudin" ist bei uns Cajuns nicht Blutwurst wie in Frankreich, sondern eine scharfe, mit Reis gefüllte Wurst.
Sonst gibt es im Süden Soul Food: viele Bohnensorten mit Speck und Zwiebeln und allerlei hierzulande eher rare Gemüsesorten wie Okra oder Süßkartoffeln. Pecan-Nuss-Kuchen gibt es zum Nachtisch. Brot isst man dazu nicht in dunklen Scheiben, sondern beispielsweise als Baguette (french bread) in Po-boys oder als Maismuffins (corn muffins). Noch nie gehabt? Eben.
Übrigens: Die kostenlose, wöchentliche Kulturzeitschrift von New Orleans The Gambit listet in der Printausgabe alle Restaurants der Stadt nach Küche auf. Obwohl New Orleans und der Sumpf drum herum nach 1830 von Iren und Deutschen überflutet wurden (was man heute an vielen Straßennamen wie "Jena" sieht, aber auch an Dorfnamen wie "Des Allemands"), wird kein einziges deutsches Restaurant für New Orleans gelistet. Deutsche Autos sind in den USA geschätzt, das deutsche Bier auch, aber die deutsche Küche weniger. Anscheinend haben sich die Deutschen angepasst: Laut dieser Webseite wird das beste French Bread von Bäckereien mit deutschen Namen gemacht.