Das Brett, das die Welt bedeutet

In Tony Hawk's Pro Skater 4 fehlt eigentlich nur eins: das Zeitlimit.

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Gerade einmal dreieinhalb Jahre ist es her, dass die Entwicklerschmiede Neversoft mit "Tony Hawk's Pro Skater" zwischen Actionspiel und Sportsimulation das Extremsport Spielgenre erschuf. Das vierte Spiel der Reihe ist bereits das zweite für die Next-Generation Konsolen Gamecube, PS2 und XBox. Trotz der gelungenen PC-Umsetzung des dritten Teils, schauen PC-Benutzer diesmal in die Röhre.

Heavy Metal Musik startet, das Brett rollt, wir beginnen mit einem Sprung auf das erste Geländer, fügen ein Manual hinter den Grind, um in der Halfpipe einen Liptrick zu setzen, zurück im Revert und weiteren Manual - die Punkte stehen schon gut, was sagt die Zeit? Nichts sagt sie: Neversoft hat es tatsächlich gewagt, die Zeitbeschränkung aus ihrem Referenz-Extremsport-Spiel zu entfernen, die Stoppuhr vom ständigen Begleiter zum Missionswächter zu wandeln. Acclaim bewies bereits mit Aggressive Inline (vgl Möge der Saft mit Euch sein!), dass Extremsport und "2:00" keine untrennbare Verbindung ist, jetzt rollen auch Tony und Co ohne Zeitkorsett.

Skater-Freiheit in Alcatraz

Wie im Free-Skate Modus der vergangenen Titel hat der Spieler in Tony Hawk's Pro Skater 4 zunächst Ruhe, das Level zu erkunden, jene Ecken zu entdecken, welche die besten Combos versprechen und sich auf die Suche nach Gaps und Minispielen zu machen. Der fehlenden Zeit trägt das Spiel mit deutlich geräumigeren Levels Rechnung, die sich zudem noch nach dem Erfüllen einzelner Aufgaben erweitern respektive verändern. So öffnet sich der Zellblock in Alcatraz erst, nachdem der Spieler dem Wächter geholfen hat, seine Schlüssel zu finden. Zwar gab es derlei Ansätze bereits im dritten Teil der Serie, doch bauen in der jüngsten Tony-Ausgabe häufiger als zuvor einzelne Missionen aufeinander auf.

Die zu Beginn verfügbare To-Do-Liste ist ebenfalls entschwunden, statt dessen erhält der Skater seine Aufgaben von Figuren innerhalb des Levels. Sobald er eine dieser Aufgaben annimmt, läuft die Stoppuhr - übrigens in der Mehrzahl der Fälle auf den traditionellen zwei Minuten. Da gilt es Bierfässer umzuwerfen, Nilpferde zu füttern oder einem vergessenen Gefangenen zur Flucht aus Alcatraz zu verhelfen. Ist der Spieler erfolgreich, erhält er Cash, das er in Ausrüstung, Bonuslevel, Cheats oder weitere Skater investieren kann. Einige Aufgaben bringen zusätzlich Stat-Punkte, mit denen der Spieler die Fähigkeiten des Skaters verbessert. Zum ersten Mal gelten die erhaltenen Punkte ebenso wie die erledigten Aufgaben für alle Skater, so dass der Spieler während des Spiels beliebig den Skater wechseln kann - mit Ausnahme der Profi-Herausforderungen, die auf die einzelnen Protagonisten speziell zugeschnitten sind.

Trophäenjagd auf Bobby-Mützen

Insgesamt sind die Aufgaben origineller als in Tonys früheren Auftritten. Zwar gibt es nach wie vor zu sammelnde Punktzahlen, die aber mehr Pflicht denn Kür sind - und erst in den Bonuslevels mit 750.000 Punkten richtig schwer werden. Auch das traditionelle S-K-A-T-E-Sammeln gehört zum Repertoire - erweitert um das Wort C-O-M-B-O, das der Skater - der Name verrät es bereits - in einer Trickfolge einsammeln muss.

In den prosaisch angehauchten Missionen darf der Skater auch mal richtig die Sau raus lassen und Touristen ins Wasser werfen oder in London den Bobbies die Mützen vom Kopf picken. Insgesamt erwarten den Spieler 190 Aufgaben. Der Schwierigkeitsgrad bewegt sich im oberen Mittelfeld, nur wenige Missionen klappen auf Anhieb, einzelne treiben den Spieler auch an den Rand der Frustration. Tony Hawk's Pro Skater 4 ist kein Titel, den man mal eben an einem Wochenende durchspielt - und das ist gut so.

Panik im Zoo: Eine Löwin ist uns auf den Fersen

In Bezug Steuerung und Punktejagd ändert sich wenig zum Vorgänger. Das Rezept für hohe Punktzahlen, wo diese gefragt sind, ist nach wie vor, Sprünge, Lip-Tricks und Grinds miteinander zu Combos zu verbinden - Manuals als Rezept für potenziell endloses Kombos führte bereits Tony Hawk's Pro Skater 3 ein. Größte spielerische Neuerung ist der Spine-Transfer, der gleich mehrere Zwecke erfüllt. So kann der Skater damit Pipes oder Pools verlassen oder aus einem Sprung in einen Grind übergehen, zudem kann er - wie es bei Aggressive Inline der Bail-Button vermochte - eine Landung außerhalb einer Pipe retten.

Ebenfalls aus Acclaims Spiel bekannt ist das Skitchen, bei dem der Skater sich von einem Fahrzeug - im Zoo gar von einem Elefanten - ziehen lässt. Überhaupt zeigt Tony Hawk's Pro Skater 4 viele Verwendungsmöglichkeiten für das Board: In Minispielen wird es zum Tennis- und Baseballschläger, in einer Mission fährt der Skater auf dem Board liegend ein Wettrennen gegen ein Polizeimotorrad.

Mit dem erspielten Geld kauft der Spieler neue Skater und Level

So ungewohnt dem Tony-Hawks-Veteranen das fehlende Zeitlimit zunächst ist, genießt er doch bald den Vorteil, sich im Level erst mal heimisch zu fühlen und dann die Aufgaben anzugehen - angenehmer Nebeneffekt: Endlich laufen die Songs bis zum Ende. Der Soundtrack deckt alle skater-tauglichen Genres von Metal über Punk bis Rap ab. Bei den Sound-Effekten hat sich wenig getan, ein wenig mehr Sprache und etwas mehr atmosphärischer Sound hätte dem Spiel gut getan. Auch grafisch hat sich seit dem dritten Teil recht wenig getan. Doch dort, wo es drauf ankommt - beim Spielspaß und der Langzeitmotivation - beweist Activisions Skater wieder Meisterklasse. Tony Hawk's Pro Skater 4 ist das umfangreichste und beste Tony Hawk. Auch wenn das Spiel auf allen drei Next-Generation Konsolen glänzt, sind in Punkte Multiplayer die Xbox und PS2 aufgrund der Netwerkfähigkeit im Vorteil. Die Xbox muss allerdings direkt verlinkt werden, Xbox Live (vgl Magische Insel oder leere Wüste?) unterstützt Activisions Titel nicht.

Anfängern fällt der Einstieg sicher leichter als in die älteren Tony Hawk-Titel - allerdings seien sie gewarnt: Tony Hawk's Pro Skater 4 ist kein Spiel für zwischendurch. Die grundsätzliche Steuerung erschließt sich zwar schnell, das richtige Timing für lange Combos erfordert aber reichlich Übung. Die Aufgaben im Spiel schließlich sind auch für alte Hasen anspruchsvoll bis schwierig. Genau das macht aber seit 1999 den Reiz der Spiele aus: Oft ist es nur eine Sekunde, ein Trick oder ein paar Punkte die fehlen, also probiert man es wieder und wieder - bis der Daumen geschwollen und die Aufgabe erfüllt ist.