Magische Insel oder leere Wüste?

Zukunftsaussichten der Xbox, die den Online-Spielemarkt erobern soll

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Der Name hätte Programm sein können. Anfang letzter Woche wurden gut Tausend europäische Journalisten auf die Isla Mágica eingeladen, die fern von jedem faulen Zauber auf dem ehemaligen Expo-Gelände im spanischen Sevilla beheimatet ist. Ein Blick in die Zukunft wurde vom Gastgeber Microsoft unter dem Namen X02 versprochen und der Erlebnispark im Stil einer Pirateninsel sollte dem eigenen Weitblick die richtige Umgebung bieten. Denn den Damen und Herren aus Seattle liegt ihr liebstes Kind namens Xbox am Herz, und kurz vor dem ersten Weihnachtsgeschäft sollte gesichert werden, dass allerlei schreibende Federn eine Chance hatten, sich von den Zukunftsaussichten des mächtigen schwarzen Spielkonsole zu überzeugen.

Dabei bewegte sich Stimmung auf der magischen Insel irgendwo zwischen All-Inclusive-Urlaub und Winterschlussverkauf: Begrüßungsdrinks gingen einher mit geschickt lässig inszenierten Meldungen über den Ankauf des britischen Spielentwicklers Rare, der bisher exklusiv für Konkurrent Nintendo gearbeitet hatte. Über das ganze Gelände verteilt diverse Pavillons, in denen gut 40 neue Xbox-Spiele in Testversionen angespielt werden konnten. Eingebettet im abendlichen Feuerwerk die Trailer zu neuen Spielen, mit denen man nie gerechnet hatte oder über die man sich fragte, was aus Ihnen geworden ist. Mit dabei auch ein neues Rollenspiel namens Sudeki, das von Microsoft selbst entwickelt wurde.

Irgendwie seltsam wirken die auf dem Gelände verteilten Mülltonnen mit aufgedrucktem Xbox-Logo. Sollte das für die Zukunft der Zukunft der Konsole stehen? Auf der Pressekonferenz die amüsante Mischung aus Briten, Amerikanern und Franzosen, die genau in der Reihenfolge auch der englischen Sprache mächtig waren. Ed Fries von Microsoft gesteht in seiner Rede Fehler bei der anfänglichen Preisgestaltung, und die Ankündigung für den neuen kleinen "Controller S" ist sichtbarer Beweis, dass wiederholte Kritik selbst vom Giganten Microsoft wahr genommen wird. Die Entwicklerlegende Peter Molyneux lobte ganz klassisch sein nur für die Xbox entwickeltes Rollenspiel "Fable" (ehemals "Project Ego") und der eher unscheinbar wirkende Franzose Gregoire Gobi von der Firma UbiSoft kämpfte sichtlich mit der Bühnenpräsenz und zeigte mit dem Agentengame Tom Clancy's Splinters Cell den wohl besten Spieltitel des ganzen Abends.

Doch den wichtigsten Auftritt hat Jay Allard, der für den nächsten großen Schritt im Bereich der Spielkonsolen sorgen will. Er leitet die Live Vision-Abteilung von Microsoft. Und wenn alles nach Plan läuft, können Tausende von Xbox-Besitzern ab März nächsten Jahres mit Xbox-Live erstmalig online spielen. Ab dem 30. November ist Xbox-Live in Deutschland, England und Frankreich für jedermann im Rahmen des Xbox-Live "Test Drive" verfügbar. Ab dem 14. März 2003, passend zum einjährigen Geburtstag der Xbox, startet der Dienst dann in acht europäischen Ländern, wobei zu den drei Testländern noch Belgien, Holland, Italien, Schweden und Spanien dazukommen.

Das Starter Pack (für 60 Euro) enthält das Xbox Communicator Headset, mit dem man sich online während des Spiels miteinander unterhalten kann, ein zwölfmonatiges Abonnement des Xbox-Live Onlinedienstes und zwei spezielle Versionen der beiden Xbox-Titel "MotoGP" (THQ) und "Whacked!". Über das Jahr 2003 verteilt sollen über 50 Spiele mit Xbox Live-Funktionen erhältlich sein, darunter auch Halo 2, das umstrittene "CounterStrike" oder lang ersehnte Online-Rollenspiele wie Star Wars: Galaxies, das ironischer Weise von Sony Online Entertainment zusammen mit LucasArts entwickelt wird und zuerst für den PC erscheint. Weitere 60 Spielentwickler arbeiten gegenwärtig an Spielen mit Xbox Live-Fähigkeiten.

Wie schon vor zwei Wochen auf der Tokio Game Show-Messe konnte man auf der "Isla Mágica" drei neue Onlinetitel selber testen. Zur Auswahl standen der First-Person-Shooter "Unreal Championship" (Infogrames), das Roboterkampfspiel "MechAssault" oder die Rennmotorradsimulation "MotoGP". Die ersten Spielminuten mit dem Headset bieten zuerst eine ungewohnte und doch aufregende Erweiterung des Spielhorizonts. Ein wählbares "Voicemasking" sorgt dafür, das die eigene Stimme leicht verändert von den Teilnehmern gehört werden kann. Dabei ergeben sich Dialoge, die an das sprichwörtliche babylonische Sprachengewirr erinnern. So meldet sich ein mitspielender Italiener erst nach mehrmaligen Nachfragen und gesteht in gebrochenem Englisch, er "könne nicht gleichzeitig spielen und reden". Dabei hat er nicht unrecht: Was soll man akustisch von sich geben, wenn man selber in der Rolle eines Motorradfahrers um gute Rundenzeiten kämpft? Erst bei Spielen mit einem Teamaspekt kommt der Nutzen der akustischen Verständigung wirklich zum Einsatz und dabei wird für Konsolenspieler allerdings auch nur das möglich, was für PC-User schon seit Jahren absolut selbstverständlich ist.

Auch in der Titelauswahl haben andere Länder ein sinnvolleres Portfolio: Während in den USA der Start von Xbox-Live (ab Mitte November) vor allem mit Sportspielen wie "NFL Fever 2003" oder Taktik-Shootern wie "Tom Clancy's Ghost Recon" (Ubi Soft) lanciert wird, kommen die Japaner ab Mitte Januar in den Genuss von Titeln wie der Anglersimulation "Fishing Online" oder dem bereits auf der Dreamcast-Konsole erprobten Rollenspiel "Phantasy Star Online" (Sega).

Microsoft hat insgesamt für die Xbox (Grundpreis: 299 Euro) mit seiner Onlinestrategie die wohl offensivste Position eingenommen und setzt in der Anbindung voll auf die rund 2, 4 Millionen Breitbandanschlüsse in deutschen Haushalten. Dafür konnte man T-Online auch als Provider mit an Bord holen. Seine beiden Hauptkonkurrenten gehen deutlich differenziertere Wege: Nintendo sieht durch die stark differenzierende Infrastruktur im Bereich der Breitbandversorgung momentan fast gar keinen Bedarf für Onlinespiele. Zwar verkaufen sie ab Oktober auch in Japan einen Modemadapter für die GameCube-Konsole (Grundpreis: 199 Euro), können im Bereich der Spiele jedoch bisher nur "Phantasy Star Online" anbieten. Marktführer Sony sammelte auf der PlayStation 2 (Grundpreis: 249 Euro) in seinem Heimatland seit Ende letzten Jahres erste Erfahrungen mit dem Onlinetitel "Final Fantasy 11" sowie der zusätzlich verkauften Festplatte plus Modemadapter. Immerhin konnte Sony bisher rund 120.000 Abonnenten gewinnen, die monatlich rund 20 Euro für den Onlinedienst bezahlen, dafür aber auch enormen fehlerhaften Spielablauf ertragen mussten.

In den USA startete der Verkauf des sogenannten Network Adapter zum Preis von 40 Dollar bereits Ende August und dieser beinhaltet sowohl ein 56k-Modem als auch ein Ethernet-Anschluss. Ein mit Xbox-Live vergleichbares Headset wurde bisher nur für den von Sony selbst entwickelten Strategie-Shooter "SOCOM - U.S. Navy Seals" herausgebracht, während die Japaner sonst in den USA auf beliebte Sporttitel wie "Maddens NFL 2003" (EA) oder "Tony Hawk Pro Skater 3" (Activision) setzt. Für Europa hat Sony immer noch kein Startdatum der Onlinetitel angegeben, Experten rechnen erst für Mitte 2003 damit. Microsoft muss nun beweisen, das die Kombination aus technisch fortschrittlichster Konsole und einem guten Titelangebot den Konsumenten auch überzeugt. Ansonsten wäre Sony wieder einmal der Gewinner, wenn man dort der uralten Weisheit vieler Magier folgt, den besten Trick bis zum Schluss aufzuheben.