Das Buch lebt weiter

eBooks dümpeln dahin, noch dominiert die CD-ROM: Impressionen von der Buchmesse 2001

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Längst sollte die digitale Revolution auf dem Buchmarkt stattgefunden haben, doch das Buch ist nicht klein zu kriegen. Allen kulturpessimistischen Unkenrufen zum Trotz wurden auf der diesjährigen Buchmesse über 400.000 Titel vorgestellt, wovon fast 100.000 Neuerscheinungen sind. Zwar bemüht sich das eBook weiterhin um Aufmerksamkeit, erscheint jedoch im Gewusel der Printmedien klein, unscheinbar und wird von vielen Messebesucher ignoriert. Die digitale Revolution scheint ins Stolpern geraten zu sein. Wie bereits im letzten Jahr werden die Multimediaprodukte zunehmend nicht mehr gesondert präsentiert, sondern ins Verlagsprogramm integriert.

Stars & Sternchen

Ohne Aufmerksamkeit kann wohl auch der Buchhandel nicht mehr überleben - oder was ist das Besondere am Kochbuch "Naddel kocht - verführerisch" (Südwest-Verlag) der Ex-Freundin von Dieter Bohlen? Der geneigte Leser und Hobbykoch wird freilich doch wohl eher das neue vegetarische Kochbuch von Biolek und Witzigmann "Unser Kochbuch" aus dem Falken-Verlag. Ohne seine Stars und Sternchen, ob nun Ex-Freundin oder Ex-Frau, den Politikerstatus oder andere Starallüren kommt auch der deutsche Buchhandel mit seinen Festpreisen nicht auf nennenswerte Umsätze. Entsprechend werden diese Stars und Sternchen auf der Buchmesse hofiert.

Und so dürfen wir in diesem Jahr Norbert Blüms Kindergeschichten lesen oder das Buch von unserer obersten Erzieherin, Mutter und Ehefrau des Bundeskanzlers, in dem sie als Herausgeberin andere Prominente Kindern die Politik erklären und näher bringen lässt. "Der Kanzler wohnt im Swimmingpool" lautet der beziehungsreiche, wohl schon vor Scharpings italienische Vorführung gewählte Titel aus dem Campus Sachbuch-Verlag, der die Zielgruppe Kinder schon bei der Titelaussage in die Irre führt und überhaupt, was ist ein Kanzler? Doch unsere neue deutsche Übermutter erklärt den Titel in ihrem kurzem Vorwort: Kinder, die ihre Tochter in der ersten kleinen gemeinsamen Wohnung mit dem Bundeskanzler besuchten, hätten sich immer gewundert, dass der Kanzler keinen Swimmingpool hat. Aber schließlich sei es wichtiger zu wissen, wie Politik gemacht wird, als zu wissen, wie der Kanzler wohnt.

Also bemühen sich fortan viele Prominente, darunter auch der Vater der Tochter Klara, zu erklären, wie denn Politik funktioniert und was der Bundkanzler und der Bundespräsident zu tun haben. Doch die Wortwahl der Autoren schreibt an der Zielgruppe Kinder vorbei. Wohl doch nur ein Titel für andere Erzieher und noch Nicht-Politikverdrossene, die einmal über den Tellerrand der Tageszeitungspolitik schauen wollen. Aber dafür ist selbst der deutsch-amerikanische Oberlehrer Gottschalk als Autor dabei und beweist, wie man erstens das Thema verfehlt und zweitens, wie schön man heute aus dem Internet abschreiben kann ohne auch nur die Quelle zu benennen.

Schade nur, dass Wickert, Christiansen oder Kock am Brink nicht so schnell mit dem Schreiben sind, denn deren Bücher würden garantiert noch unter dem diesjährigen Weihnachtsbaum liegen. Ohne die Klatschpresse und die entsprechenden Buchverlage wäre unsere Welt grauer, besonders angesichts der aktuellen Fixierung auf Hintergrundbücher über den Islam. Seit dem 11. September suchen viele Leser die Belege für die angeblich so friedlichen Lehren der Muslime. Das Suchen nach dem Guten und dem Bösen, nach dem Faszinierenden, dem Abstrusen oder einfach nach der ewigen Liebe füllt auch diesmal wieder unzählige Buchseiten.

Krieg und Frieden

Der Kamikaze-Terrorakt zeigt auch auf der diesjährigen Buchmesse seine Auswirkungen. Bundeskanzler Gerhard Schröder reiste in die USA, um die deutsche Solidarität zu bekunden und ein bisschen Katastrophentourismus zu betreiben. Seine Eröffnungsansprache wurde vom Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin übernommen. So wandeln sich eben deutsche Werte, statt sich im Rahmen des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels auf eine deutsche Friedenspolitik zu besinnen, bekundet der Kanzler in Washington Bündnistreue und Kampfbereitschaft gegen den Terror.

Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt in diesem Jahr der deutsche Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas. Und der Kanzler wird bestimmt weiter darüber nachdenken, wie man den Widerspruch von Nahrungspaketen und Todesangst bei Bombenabwürfen auflösen und den Medien schmackhaft machen kann. Vielleicht können wir seine "wahren" Gedanken und Gefühle einmal in einem Buch nachlesen. Noch spannender wäre nur noch das Tagebuch von Joschka Fischer.

Multimediales

Noch immer steht die CD-ROM als Verbreitungsmedium im Vordergrund. Die DVD mit der höheren Speicherkapazität wird lediglich von einigen Lexika-Verlagen genutzt. So sind Brockhaus und Microsoft mit der diesjährigen Neuauflage ihrer Lexika vertreten, doch außer neuen Daten und anderen kleinen Erweiterungen zeigen sich die neuen Aufbereitungen und Präsentationen erst auf den zweiten Blick.

Besonders bei den jeweiligen CD-ROM-Versionen wird der Wissenshungrige weiterhin zum Diskjockey degradiert. Brockhaus liefert seine Lexikon-Version "Der Brockhaus multimedia 2002 premium" zwar auf DVD, aber auch auf sechs CD-ROMs aus. Doch gerade Infotainment sollte auf dem Computer permanent zugänglich sein und eine Internetabfrage wie bei xipolis.net auch nicht gleich Geld kosten. Mit den jährlichen Updates wird sich manch Käufer schwer tun, stand doch gerade der Große Brockhaus in Buchform für eine einmalige und lebenslang teure Investition des Wissenserwerbes.

Information ist zur einer wichtigen und notwendigen Ware geworden, doch bestimmte Fakten ändern sich eben nie. Der Duden-Verlag hatte im Vorfeld der Buchmesse eine kleine Sensation im Bereich der Rechtschreibüberprüfung angekündigt, doch der Korrektor-Plus wird erst in der nächsten Woche zu erwerben sein. Die Plus-Version kann die veraltete Lexirom ersetzten, denn neben der umfangreichen Rechtschreib- und Grammatikprüfung bietet die Version noch Zugriff auf die drei wichtigsten Duden-Nachschlagewerke. Leider fehlt nun die Langenscheidt-Version von Deutsch/Englisch mit seinen 100.000 Vokabeln, und die Überprüfung soll bislang nur in Word und in Linux zu integrieren sein. Der Verlag spricht von einer offenen Schnittstelle, die sich auch andere Textverarbeitungen zunutze machen können, sieht allerdings die Einbindung zum Beispiel von Staroffice nicht als Verlagsaufgabe an. Brockhaus und Encarta haben nun den jeweiligen Weltatlas in das Lexikon integriert.

Bioscopia setzt auf Edutainment: "Entdecken Sie die Zusammenhänge! Um das Acetylcholin-Schloss zu öffnen, müssen Sie sich mit der Reizweitergabe auskennen. Stellen Sie ein Pflanzenwelkmittel her und knacken Sie den GATC-Code. Aber verlieren Sie keine Zeit! - Sie kommen sonst vielleicht zu spät.

Die Giga-Maus, der Software-Preis der Zeitschrift "Eltern for Family", heimste in diesem Jahr Brockhaus ein, nachdem sich die Jury im letzten Jahr auf keinen Preisträger einigen konnte. Topsieger der diesjährigen Giga-Maus-Preise wurde das Computerspiel Globetrotter von Electronic Arts. "Eltern for Family" sieht die Auszeichnung als Empfehlung für Eltern. Hilfestellung für ahnungslose Eltern gibt auch traditionell Thomas Feibel, der in diesem Jahr seinen Kinder-Software-Ratgeber bei rororo vorstellt.

Die Kindersoftware-Verlage Tivola und Terzio hatten in diesem Jahr ziemlich zu kämpfen. Tivola musste sogar Entlassungen aussprechen, aber dafür erhielt die Kindersoftware "Der kleine Rabe Socke" die begehrte Giga-Maus. Terzio erhofft sich viel von "Ritter Rost", der seine Abenteuer inzwischen nicht nur per CD-ROM verbreitet. Ähnlich wie Tivola setzt man auf eine eigene Kinderbuchreihe, um das Verlagsprogramm abzurunden.

Infotainment heißt auf der Buchmesse aber auch hoch spezialisierte Software, die sich einem Themenbereich monokausal nähert. Dieses wird insbesondere im schulischen Bereich deutlich. Die Schulbuchverlage wie Cornelsen oder Heureka-Klett zeigen, wie man Themen spannend und interessant aufbereiten und somit die Motivation zum Lernen stärker fördern kann. Heureka-Klett legt mit Bioscopia, Chemicus und Physikus gleich drei interessante Titel vor, die zeigen, dass Lernen Spaß machen kann - oder zumindest soll.

Cornelsen feierte auf der Buchmesse das zweijährige Bestehen des Schülerportals Learnetix.de, das auf 150.000 Mitglieder verweisen kann. Inzwischen bieten fast alle Schulbuchverlage Schüler- und Lehrerportale an, doch Insider geben offen zu, dass kaum ein Projekt kostendeckend arbeitet.

eBooks und eine Alternative

Lesen wie bei Star-Trek, so zumindest stellen sich einige Hersteller die Zukunft vor und bieten entsprechende Lesegeräte an. Der Focus meldete zwar in seiner Wochenausgabe zur Buchmesse das Aus für die Geräte, doch am Stand von Gemstar erfährt man dann, dass mit dem Focus gerade über die Lizenzierung verhandelt wird. Den Spiegel kann man auf dem eBook schon vor der Printausgabe lesen. Bislang sollen 1.000 deutschsprachige und 4.000 englischsprachige Titel vorliegen.

Das aktuelle GEB 2200 besitzt ein Farbdisplay und kann in dem acht MByte Speicher bis zu 20 Bücher speichern. Ausbaufähig ist das Gerät mit Compact-Flash-Card derzeit auf 136 MByte, so dass sogar 300 Bücher speicherbar sind. Jedoch setzt das Unternehmen eher darauf, dass die Leser ihre Bibliothek im Internet belassen und sich je nach Lesebedarf ihre Bücher mit dem eingebauten Modem auf ihr eBook laden. Hinderlich sind jedoch die immer noch 940 Gramm und die eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit des Gerätes, als dass sich das eBook massiv auf dem Markt durchsetzt. Über Verkaufs- und Abonnentenzahlen schweigt man sich daher noch aus.

Eine nette Alternative zum noch unhandlichen eBook sind die kleinen Minibücher aus dem Leipziger Miniatur-Verlag. Kaum größer als eine Streichholz- oder Zigarettenschachtel findet sich in kunstvollem Einband fast jede Klassikerliteratur zum Stöbern. Eine fast vollständige Klassiker-Bibliothek nimmt kaum mehr Platz als eine Softwareschachtel ein und im Urlaubskoffer findet sich damit genügend Platz für eine Hand voll Bücher.

Epilog

Dass Autorinnen der Buchmesse die Zeichen der Zeit verstehen, hat Naddel (siehe auch andere blöde Namen bewiesen: Per SMS machte sie Schluss mit Ralf Siegel und hatte damit genug PR zum Verkaufsstart ihres Kochbuches.