Das China-Dilemma unserer Medien
Seite 2: Wege aus der Aufmerksamkeitsfalle
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Denn die Falle bestand 2002/2003 mit Blick auf den Irak darin, dass am Ende nur noch diese eine Diktatur vor der Linse aufschien und dann allen Ernstes die Frage "für oder gegen den Diktator?" synonym mit "Krieg Ja oder Nein?" erörtert wurde. Eine solche Entscheidungsfrage zu erreichen, war das Meisterstück der Falken in der US-Administration.
Natürlich bestimmten auch damals nicht die konstruktiven Kräfte den Diskurs, sondern die mit Macht zur Veröffentlichung ihrer Deutungsrahmen – Regierungen, Think-Tanks und unkritische Medien, die deren Framing, deren Spins und Deutschlandraumen, einfach nur verlautbaren – also wiederholen. Erinnern wir uns: Wiederholen ist das wirkmächtigste Mittel zum Überzeugen.
Der Linguist und Kognitionsforscher George Lakoff hat in vielen Publikationen auf das Verhältnis von Sprache und Wahrnehmung hingewiesen (s.o.). Seine Analyse Metaphor and War legte im Bereich von Vorbereitungsdiskursen vor, was man heute der Framing-Forschung zuordnet und was eine Analyse der subtilsten Manipulationstechniken strategischer Kommunikation ermöglicht.
Unter anderem in einem CNN-Interview zeigt Lakoff auf, wie man Diskursfallen zumindest ansatzweise entgehen kann – denn die Agenda bleibt natürlich gesetzt. Im Interview zur Frage "How to fact check Trump without repeating lies" betont Lakoff erstens, dass Verneinung ebenfalls wiederholenden Effekt hat, und zweitens, dass deshalb Aufklärung über die Strategie hinter den Äußerungen eines Politikers im Vordergrund stehen müsse – also die Frage der Kommunikationsstrategie, die den Weg zur Frage der Relevanz ebnet.
Und die Relevanz-Frage eröffnet die Möglichkeit, den Fokus zu verlassen und die Aspekte in die Debatte einzubringen, von denen der strategisch Kommunizierende ablenken will. Und das gilt für Trump wie für alle anderen Politiker und Themensetzungen gleichermaßen.
Diese Learnings aus der Kognitiven Linguistik gelten für alle Bereiche. Etwa dem der Rassismusforschung, wo es natürlich unsinnig und kontraproduktiv wäre, dem Blick des Rassisten auf das Objekt seiner Betrachtung zu folgen. Vielmehr geht es darum, die Struktur rassistischer Diskurse – die immer ein starkes pars-pro-toto Moment haben – und deren Funktion aufzuklären.
Das Gleiche gilt für Wirtschaftsdiskurse, wo die Skandalisierung eines persönlichen Versagens oder nur einer Krisenregion von globalen Zusammenhängen legalistischer Ausbeutestrukturen ablenken kann. Das Symptom Flüchtlingskrise als Auswuchs ungerechter Weltwirtschaftsstrukturen wäre das nächste aufzuklärende Themenfeld. Auch bei Protesten kann man an einzelnen Phänomenen tatsächlich kleben bleiben, während es bestimmten Interessen zuarbeitet, dass Zusammenhänge ausgeblendet werden.
Während der Journalismus oftmals wohlmeinend durch Personalisierung versucht, Aufmerksamkeit und emotionale Anbindung an ein Thema oder einen Protest zu erreichen, bedient dieses Framing gleichzeitig die Individualisierung des Problems, verkleinert es und hilft von den relevanten Zusammenhängen, dem Kontext, abzulenken – so Urs Dahinden in seinem lesenswerten Buch zur Framing-Theorie, worin klar wird, dass dies dem Interesse derer zuarbeitet, gegen die sich Proteste richten. Dies widerspricht eigentlich dem Selbstverständnis von Journalismus als (idealtypischer) Vierte(r) Gewalt.
Wir halten fest: Wer kritischen Journalismus als Aufklärung gegenüber Macht versteht, und wer als Friedensaktivist gegen Feindbildkonstruktion und Kriegstreiberei erfolgreich sein will, muss sich als Akteur im großen Spiel um gelenkte Aufmerksamkeit begreifen.
Aktuell würde das bedeuten, auf keinen Fall dem engen Blickwinkel und vorgezeichneten Diskussionskorridor in Richtung China zu folgen. Die Relevanz-Klärung kann einen Weg zur essentiellen Kontexterweiterung aufzeigen. Aber das Dilemma bleibt. Wir werden erneut erleben, was Diskursmacht bedeutet. Denn mit Foucault haben wir gelernt, den Mechanismus zu beschreiben – aber nicht, ihm zu entgehen.