Das China-Dilemma unserer Medien
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- Wege aus der Aufmerksamkeitsfalle
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In der Berichterstattung über China zeigt sich ein fataler Mechanismus. Wie er wirkt und was die Aufmerksamkeitsfalle bedeutet. Ein Einwurf.
Es passiert schon wieder. Und es klappt. So wie 2002 George W. Bush begonnen hatte, Aufmerksamkeit auf den Irak zu lenken, so beginnt sich nun der Fokus gen China zu richten. Das neue Feindbild. Und damit auch die neue Falle, die bereits beginnt zuzuschnappen. Denn, egal wie man über China spricht, alles lenkt Aufmerksamkeit dorthin. Und es ist davon auszugehen, dass das bereits Teil einer Diskursstrategie ist.
Aber der Reihe nach, um den fatalen Mechanismus zu erkennen – denn, und das ist das besonders Fatale, man entkommt ihm nicht. Mit dem Agenda-Setting, das China in den Fokus geopolitischer Debatten setzt, ist das Dilemma implementiert. Davon profitieren alleine die Interessierten, USA und Nato.
Denn auch diejenigen, die erkennen, dass hier ein neues Feindbild aufgebaut wird, bedienen es. So, wie dieser Artikel hier. Es zu benennen, suggeriert bereits Relevanz. Diese Falle können nur Diskursmächtige aufstellen. Sie definieren den Diskursrahmen, in dem sich Diskursschwächere bewegen.
Blaupause Irakkrieg 2003
Als George Bush 2002 begann über den Irak als weltweite Gefahr und Bedrohung für die USA zu reden, war im Irak nichts anders als in den Jahren zuvor – schlimme Zustände fürwahr. Der einzige Unterschied war tatsächlich nur die Thematisierung.1
Die Zeigefunktion sprachlicher Zeichen wird vielfach unterschätzt. Zeigen lenkt Aufmerksamkeit auf das Gezeigte. Immer! Egal, wie man sich dazu äußert. Dies bezeugt u.a. der Buchtitel von George Lakoff "Don’t Think of an Elephant!" und wir kennen alle dieses Spiel "Denk jetzt nicht an … !" Und natürlich denken wir dann daran, denn es wurde darauf gezeigt: auf rosa Elefanten, Problemzonen, ausgemachte Feinde.
Wie einst Cato in Rom mit seinem in ewiger Beharrlichkeit vorgetragenen "Ceterum censeo Carthaginem esse delendam …" schließlich die Zerstörung Karthagos erreichte, so legte auch Bush wiederholend die Beharrlichkeitsschleife an den Irak; einfach, indem er ihn ins Gespräch und damit den Kontext des "War on Terror" brachte.
Vergleichbar ließe sich das übersetzen mit "Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Irak zerstört werden muss". Jedoch klang das aus dem Munde Bushs viel schöner, denn ganz humanitär war die Rede von irakischer "Freiheit". Die Kommunikationsprofis der US-Falken wussten neben Spin-Doktoren auch die grundlegende Epistemologie schlechthin auszuschöpfen: Wiederholen ist überzeugen.
Und sämtlich alle schwenkten auf eine Irak-Debatte ein. Medien begannen in verschiedensten Formaten die Geschichte des Iraks darzustellen, Reportagen vom Leben der Menschen zu zeigen, schlimme Zustände, Bildungsmisere, Kinderarbeit – wobei sie die UN-Sanktionen, die das Land aushungerten, zumeist ausgeblendet ließen – und es gab Sondersendungen zum Charakter Saddam Husseins, Fotos von ihm im Gebet und O-Töne von Menschen aus dem Irak, die sich Veränderungen wünschten.
Kamen im Auslandsjournal etwa auch mal andere zu Wort, dann ordnete der Moderator sie ins stereotype Bild zurück – dann wurde zum Beispiel darauf verwiesen, dass es sich bei solchen Personen um Staatsbedienstete handelte oder es andere Gründe gab, warum sie sich so komisch äußerten (vgl. auslandsjournal, am 13.02.2003).
Zunächst behaupteten Bush, Rumsfeld & Co., dass der Irak irgendwie doch verstrickt sei in die Anschläge des 11. Septembers 2001. Erst später begann man die Kriegslüge von angeblichen Massenvernichtungswaffen zu etablieren, die dann US-Außenminister Colin Powell mittels Powerpoint-Präsentation in der Uno zu visualisieren wusste.
Und obwohl die Völkerrechtswidrigkeit eines Angriffs thematisiert wurde, Deutschland unter Kanzler Schröder offiziell eine Beteiligung an der von den USA und Großbritannien geführten "Koalition der Willigen" absagte, wurde dennoch in hiesigen Medien erörtert, ob es nicht gar besser für die Menschen im Irak sei, wenn der Diktator Saddam Hussein verschwinden würde.
Völkerrecht hin oder her, ein Regime Change wurde allen Ernstes als vertretbar diskutiert, wenn es einen Plan für nach dem Krieg gäbe, der natürlich nicht Krieg hieß, sondern "Operation Iraqi Freedom", mit der man den Irakern Freiheit und Demokratie bringen könne.
Nun gibt es offensichtlich Interesse daran, China in den Fokus zu rücken. Ob über die Taiwan-Frage oder direkt, die Thematisierung ist im vollen Gang – denn natürlich gäbe es viele Taiwans in der Welt. Der Indo-Pazifik ist der Interessenraum der Zukunft, dort sind bereits seit dem Zweiten Weltkrieg US-Basen stationiert und nun ziehen die Chinesen nach – das kann man verurteilen, aber man sollte es im Kontext der über 700 Militärbasen weltweit tun, die außerhalb von US-Territorium unterhalten werden.
Mehr Kontext kann auch helfen, die Überwachungsfrage – die einst mit Namen wie NSA oder Facebook verknüpft war – nicht 1:1 auf TikTok und Huawei zu übertragen. Die jetzt erörterten Regulierungsabsichten könnten später ebenfalls als Vorspiel zum Aufbau eines neuen Feindbilds erkannt werden. USA und Nato gehen voran, die EU stolpert hinterher.
Man traut China jetzt oder schon länger jeden bösen Plan zu und etabliert systematisch einen Sicherheits-Frame der Abwehr von Gefahr. Das verstärkt den Eindruck, man müsse sich schützen – natürlich allein vor China, während wirtschafts- und energiepolitisch gerade ganz andere Abhängigkeiten verstetigt werden. Zudem lässt sich anknüpfen an die Dämonisierung des Landes in der Corona-Krise.
Propaganda braucht Gegenstimme
Wer eine Diskursmaschine am Laufen halten will, ist dankbar für jede Gegenstimme. Sie ermöglicht das Wiederholen, das man zum Überzeugen braucht. Sonst könnte ein aufgebrachtes Thema schnell versanden.
Das ist eine Aufmerksamkeitsfalle – die Diskursfalle, die für die Besorgten und Besonnenen aufgestellt wird. Widerspruch ist fest eingeplant. Eine gewichtige Gegenstimme erklärt bisweilen erst die Themensetzung für relevant und macht sie wirkmächtig.
Das aufziehende Dilemma ist erkennbar: Wer nicht widerspricht, akzeptiert das neue Feindbild. Wer widerspricht, bedient es ebenfalls. Gemein und gefährlich an dieser Konstellation ist, dass Aufklärung darüber "Wie China wirklich ist" oder dergleichen mehr, dem Interesse derjenigen zuarbeitet, die Aufmerksamkeit auf China lenken wollen.
Das Einladen von China-Experten in Talkshows wird den Darüber-müssen-wir-jetzt-Reden Frame noch verstärken. Jede Aufklärung, so gut sie auch sein mag, verstärkt den Eindruck, dass es ein Problem mit China gäbe, dass die Situation im Land besonders relevant sei – obwohl nichts anders ist, als in den Jahren zuvor, als es noch nicht von Interesse war, darüber zu sprechen.
Ich will niemandem ein ehrliches Interesse ausreden – aber es muss uns klar sein: Wir brauchen nun nicht erst Sinologie zu studieren und auch nicht schon lange zu dem Raum geforscht haben, um die Welt der Geostrategie zu verstehen. Und nein, wir brauchen uns nicht mit kulturellen Eigenheiten und anderen Landeseigenschaften zu befassen, jedenfalls nicht jetzt, denn die sind schon immer dagewesen – auch als es noch niemanden interessierte, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken.
Natürlich wird man bei den Fundstücken mindestens Verwunderung erzeugen und die Kluft des sogenannten Wertewestens zur Autokratie verstärken – denn wir sind ja die Guten, die zwar demokratische Prozesse beginnen, auszuhebeln (vgl. Frankreich, Polen, Bayern), aber mit dem Verweis auf andere Demokratiedefizite immer noch gut dastehen (wollen).
Es wurde schon an einige Framing-Fetzen aus der Vergangenheit anknüpft, wo das Reich der Mitte als Global Player bereits kritisiert wurde – wegen der Verletzung von Menschenrechten oder expansionistischer Wirtschaftspolitik. Mit Fakten lässt sich besonders gut lügen, wenn man die gleichen Verbrechen anderswo nicht kriminalisiert und weiter am "Wandel durch Handel"-Konzept festhält – führendes Beispiel hierfür bleibt die Kooperation mit Saudi-Arabien.
Tatsächlich scheuen dabei einige Medienmachende nicht, auf die Werte westlicher Entwicklungshilfe zu verweisen, während China ja nur aus Großmachtinteressen handele – etwa auf dem afrikanischen Kontinent.
Sicher käme man in der Recherche zur Glaubwürdigkeitskrise, die die ehemaligen Kolonialstaaten und die USA in den sogenannten Schwellenländern haben, weiter, wenn man Heuchelei und Doppelstandards aufdecken würde, anstatt sich über eine Loyalität gegenüber China und auch Russland zu wundern; das vielleicht mehr vom "Feind meines Feindes" hat, als uns lieb ist.
Hier deutet sich bereits ein Diskursmuster an, das es zu diskutieren lohnt, wenn man nicht wie 2003 zum nützlichen Idioten von Geostrategen werden möchte, nämlich das Ausweiten des Blickfelds, die Erweiterung des Fokus.
Gerade die gut informierte Friedensbewegung muss sich zusätzlich zu ihrer kontinuierlichen Dokumentation und Faktensammlung von Kriegs- und Propaganda-Lügen auch mit Kommunikationsstrategien auseinandersetzen und kritisch mit den eigenen.