Das Dilemma der zweifelhaften Geldpolitik der EZB

EZB in Frankfurt. Bild: Sfintu1, CC BY-SA 4.0

Die Europäische Zentralbank jongliert angesichts ihres leeren Werkzeugkastens freihändig und kauft nun faktisch die Haushaltsdefizite aller Euro-Länder auf

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Es sind große Worte, mit denen die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, seit März zu verhehlen versucht, dass das Kreditinstitut auch in den Jahren des Aufschwungs nach der Finanzkrise einen Ausbau des Handlungsspielraums verpasst hat. Die EZB stand deshalb angesichts der sich anbahnenden "schlimmsten Rezession des Jahrhunderts" (Auch Billionen werden die schlimmste Rezession des Jahrhunderts nicht verhindern) mit fast leeren Händen da. "Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliches Handeln", twitterte Lagarde im Frühjahr, um zu überspielen, dass sie die Politik des Vorgängers Mario Draghi nicht durchbrochen, sondern fortgesetzt hatte.

Als die umstrittene und vorbestrafte (Massive Kritik am EU-Posten-Karussell) ehemalige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) den EZB-Chefposten vor gut einem Jahr übernahm, fuhr die Draghi-EZB noch immer im Krisenmodus. Null-Leitzinsen, Negativzinsen für Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB und umstrittene Anleihekäufe bestimmten weiter das Bild. Und mit der Übernahme von Lagarde wurde die Geschwindigkeit beim Gelddrucken sogar wieder erhöht.

Zunächst wurden monatlich wieder 20 Milliarden Euro an neuen Staatsanleihen in die Bilanz der EZB übernommen, die damals schon gut 2,5 Billionen Euro an Anleihen aufgekauft hatte (Lagarde übernimmt die EZB und neue Anleihekäufe beginnen).

Im März legte die Lagarde-EZB angesichts der sich längst deutlich abzeichnenden Krise (Negative weltwirtschaftliche Folgen durch Coronavirus werden deutlicher) allerdings nur ein schwächliches Aufkaufprogramm auf. Sie wollte bis zum Jahresende "nur" Anleihen im Umfang von weiteren 120 Milliarden Euro aufkaufen. (Turbo für die Notenpresse bei einer planlosen Europäischen Zentralbank) Damit wurde klar, dass die "Experten" in der Lagarde-EZB die Lage völlig falsch eingeschätzt hatten.

Der Kurs wurde angesichts dessen, was auf die Eurozone mit der Coronaviruskrise zurollte, eiligst und heftig korrigiert. Die freihändig jonglierende EZB weitete ihre Anleihekäufe plötzlich sogar um 750 Milliarden Euro aus. (Wenn die Europäische Zentralbank freihändig jongliert) Erstmals in der Geschichte der EZB sollten seither auch kurzfristige Unternehmensanleihen gekauft werden, die besonders gefährlich sind.

Lagarde übernahm nun eilig den Leitspruch ihres Vorgängers Mario Draghi, der mitten in der Eurokrise im Jahr 2012 angekündigt hatte, die Notenpressen könnten auch unbegrenzt zum Einsatz kommen. "Whatever it takes", erklärte Draghi damals (Notenbank will unbegrenzt Staatsanleihen kaufen). Da die umstrittenen Anleihekäufe angesichts von Null- und Negativzinsen fast als einziges wirksame Mittel blieb, dass die EZB noch zur Verfügung hat, treibt sie nun die Gesamtsumme auf immer neue Höhen.

Mit PEPP in die Staatsfinanzierung

Schon im Oktober wurde das Programm mit dem euphemistischen Namen "Pandemic Emergency Purchase Programms" (PEPP) auf 1.350 Milliarden Euro fast verdoppelt ("Großer Wendepunkt für Europa"). Und weil es so schön war, will man die Notenpressen nun auf Hochtouren laufen lassen.

Nicht einmal zwei Monate nach der letzten großen Ausweitung legte die EZB am vergangenen Donnerstag erneut nach, obwohl doch angeblich wegen der Impfstoffe Entspannung für die Wirtschaften in Sicht sein soll. Nun soll aber die Geldschwemme noch einmal um eine halbe Billion auf nun schon 1,85 Billionen Euro ausgeweitet werden. Das Laufzeitende wurde "mindestens" um weitere neun Monate auf März 2022 verlängert. Der Leitzins von null Prozent wurde genauso wenig verändert, die der Negativzins von 0,5 Prozent für Einlagen bei der EZB.

Die Banken hat die EZB natürlich auch wieder bedacht. Sie wurden mit weiteren gut 50 Milliarden Euro über auf drei Jahre ausgelegte langfristige Kreditgeschäfte (TLTRO III) versorgt. Von solchen Bedingungen, wie sie die Geschäftsbanken erhalten, können deren Kunden allerdings nur träumen. Denn sie bekommen nun sogar Geld von der EZB geschenkt, wenn sie sich Geld von der EZB leihen. Dafür wird der Einlagesatz von minus 0,5 Prozent angesetzt und die Prämie kann sogar auf ein Prozent steigen. Diese Konditionen sind nun zwölf Monate länger bis Mitte 2022 gültig.

Privatkunden zahlen dagegen allerdings bei einigen Banken schon Zinsen für ihr eingelegtes Geld, statt Zinsen darauf zu erhalten. Darüber findet längst eine schleichende Enteignung der Sparer statt (Negativzinsen für alle?).

Auch in der EZB ist der Kurs heftig umstritten. So gab es keine Einigkeit in der EZB-Ratssitzung zu den neuen Maßnahmen. Nachfragen dazu ging Lagarde zwei Mal aus dem Weg. Aus der Notenbank ist aber zu vernehmen, dass es keine Einstimmigkeit gab. Bundesbank‑Präsident Jens Weidmann halte die Aufstockung des Programms für unnötig früh. Der Rat lasse sich einmal mehr von den Erwartungen der Finanzmärkte treiben und die EZB könne nun schneller in Probleme geraten, gewisse Kriterien für die Wertpapierkäufe nicht mehr einzuhalten.