Das Echo der Stahlgewitter
Militärroboter in Realität und Fiktion
Kathryn Bigelows beeindruckender Kriegsfilm "The Hurt Locker" (USA 2008) beginnt mit der Untersuchung einer Sprengfalle durch US-Soldaten irgendwo im Irak. Mithilfe eines ferngesteuerten Roboters verschafft sich das Räumkommando einen ersten Überblick und beschließt, selbst Sprengstoff einzusetzen, um die Bombe unschädlich zu machen. Dafür wird ein Wagen an den Roboter gehängt, doch auf dem Weg knickt ein Rad ab, der Wagen bleibt liegen. Nun muss doch ein Mensch die Entschärfung übernehmen - und kommt dabei ums Leben.
Bei dem Roboter handelt es sich um das Modell HD-1 des US-Herstellers Remotec, das zur Produktionszeit des Films gerade neu entwickelt worden war. Remotec-Chef Mike Knopp war mit der Inszenierung insgesamt sehr zufrieden, hielt diese Szene dann aber doch für "etwas unglaubwürdig".
Die Zuverlässigkeit von Militärrobotern gehört zu den wohlgehüteten Geheimnissen. Wie viele Sprengfallen "entschärft" werden, indem ein Roboter sich einfach mit ihnen in die Luft sprengt, welche Drohnen wie oft abstürzen oder Fehlfunktionen haben, ist unbekannt. Es kursieren Geschichten, dass Roboter zur Bombenentschärfung möglichst nicht um Straßenecken herum gefahren werden, weil die teuren Maschinen schnell geklaut würden, sobald sie außer Sicht sind. Ein gebrochenes Wagenrad wirkt da nicht besonders abwegig - zumal es zu den Bildern passt, die sich dem Zuschauer bei Roboterwettbewerben bieten. Da ist ein fehlerfreier Lauf eher die Ausnahme als die Regel. Immer wieder bleiben Roboter liegen, verlieren ihre Antriebsketten oder kippen um und müssen von Menschen geborgen werden. Wer ein wenig mit dem Einsatz mobiler Roboter vertraut ist, dürfte Kathryn Bigelows Darstellung daher eher als ausgesprochen realistisch einstufen.
Tatsächlich können fiktive Geschichten der Realität häufig näher kommen als dokumentarische Darstellungen, die sich womöglich noch juristisch absichern müssen, insbesondere wenn es um das Erlebnis einer Situation, wenn es um Gefühle geht. In der politischen Debatte haben sie dennoch einen schweren Stand. Roboter in Film und Literatur sind Sache des Feuilletons, das Politikressort interessiert sich nur für die realen Maschinen. Wer ernst genommen werden möchte, meidet die Nähe zum Terminator. Das gilt interessanterweise für Militärvertreter ebenso wie für Friedensbewegte. Bei der Ausblendung zentraler Aspekte des Themas sind sich die Kontrahenten erstaunlich einig.
Nun mögen manche einwenden, dass in "The Hurt Locker" immerhin noch ein realer Roboter in einem realen Krieg dargestellt wird, viele Roboterfilme aber in den Bereich der Science-Fiction gehören. Tatsächlich wird es humanoide Roboter, die so kraftvoll, beweglich und vor allem intelligent sind wie Arnold Schwarzenegger in "Terminator" (USA 1984), aller Voraussicht nach auf absehbare Zeit nicht geben, ganz sicher nicht bis zum Jahr 2029, wie es der Film behauptet. Die heute bereits eingesetzten Militärroboter sehen ganz anders aus, bewegen sich eher unbeholfen mit Rädern und Ketten statt mit Beinen, fliegen durch die Luft oder schwimmen im Wasser - und werden größtenteils von Menschen ferngesteuert.
Dennoch sind die Filme keine pure Fantasie, die man achtlos beiseite lassen kann. Selbst wenn sie sich bei der Gestaltung der Technologie wie bei der Einschätzung ihres Entwicklungstempos viele Freiheiten nehmen, erzählen sie doch Geschichten, die in der Realität wurzeln, transportieren wichtige Erfahrungen und verhandeln die entscheidenden ethischen Fragen - und das auf eine Weise, die Jedem zugänglich ist, ohne Fußnoten und Expertenkauderwelsch.
Zudem sind die Begriffe "Roboter" und "Robotik" ohnehin Erfindungen der Science-Fiction. Als Isaac Asimov in seiner 1941 erschienenen Kurzgeschichte Liar! erstmals von Robotik schrieb, war er sich allerdings gar nicht bewusst, einen neuen Begriff erfunden zu haben. 20 Jahre zuvor hatte der tschechische Schriftsteller Karel Capek für sein Bühnenstück "R.U.R." den Ausdruck "Roboter" für künstliche Arbeitssklaven geprägt. Das Stück erzählt davon, wie diese Roboter gegen die Menschen rebellieren und sie vernichten. Es wurde 1921 uraufgeführt, im gleichen Jahr, in dem auch der erste Roboter auf der Leinwand erschien. In L’uomo meccanico (Italien 1921) versetzen zwei metallene Ungetüme, praktisch die Großväter des Terminators, erst die Menschen in Angst und Schrecken, bis sie schließlich gegeneinander antreten und beim finalen Fight die Einrichtung eines Opernhauses zerlegen.
Es ist kein Zufall, dass diese Visionen von der Machtübernahme der Maschinen kurz nach dem Ersten Weltkrieg entstehen. Dieser Krieg wird mittlerweile als der erste vollständig industrialisierte angesehen, es war ein Gemetzel der Maschinen, die den Soldaten aus Fleisch und Blut unerbittlich den Takt vorgaben. Entscheidend war nicht, wer am besten schoss, sondern wer am meisten Munition produzieren und verteilen konnte. Während die preußische Artillerie in der Schlacht bei Sedan im Jahr 1870 noch 33.134 Schuss abfeuerte, verschossen die Briten allein in der Woche vor Beginn der Sommeschlacht am 1. Juli 1916 bereits eine Million Schuss, das heißt rund 20.000 Tonnen Metall und Sprengstoff. Die Franzosen, die ursprünglich mit einem Verbrauch von 10.000 75-mm- Granaten gerechnet hatten, mussten die Tagesproduktion im Jahre 1915 auf 200.000 steigern.1
Edlef Köppen, der als Freiwilliger an die Front gegangen war, schildert in seinem Roman "Heeresbericht" eindrucksvoll, wie die Soldaten diesen Krieg der Maschinen erlebten: Die Front war für sie "eine einzige unaufhörliche, niemals abgeschwächte, unaufhaltsam gleichmäßige donnernde Wolke. Ohne Details. Ohne Crescendo. Ohne Steigerung und Gefälle. Zuweilen freilich will ein machtvoller Ton ausbrechen, sich selbst behaupten, geschwollen von seiner überragenden Stärke. Aber die Woge duldet so etwas nicht. Hier gibt es kein einzelnes Aufbrüllen. Hier gilt kein einzelner Schuß. Hier arbeitet kein Kolben einer Maschine gesondert! Der Horizont feindwärts ist eine einzige rollende Feuerwalze."2
Ab 1917 setzten die britischen Truppen eine neue Waffe ein: Tanks. Köppen erfährt auf einem Truppenübungsplatz bei Valenciennes erstmals von den
vielen neuen Kampfmitteln, von denen man in Rußland nur sagenhaft hatte läuten hören. Gasmunition, Tankabwehrgeschosse. Wozu?
Es wurde exerziert. Und es wurden, für die Offiziere aller Stäbe und Batterien, Kurse abgehalten.
Nach jedem Vortrag wurde es klar: der Kampf der Maschinen wird immer entscheidender sein, die Artillerie wird das letzte Wort haben. Man lernte um. Man lernte neu. Alle alten Reglements wurden ersetzt. Jeder Offizier lief mit Büchern unter dem Arm herum, Ausbildungsvorschriften, Schießanleitungen, Gefechtsparagraphen.
Eine unangenehme Stimmung griff weit um sich. Das alles war zu wenig geheuer, man witterte -
Als die Tanks, für die es damals noch nicht die deutsche Bezeichnung "Panzer" gab, sich bald darauf auf dem Schlachtfeld zeigen, ist die Begegnung kaum weniger unheimlich:
Drei Stunden später. 5 Uhr früh. Die beiden Posten auf dem Eingang der Höhle liegen auf dem Bauch. Sie dämmern. In einer Stunde werden sie eingezogen.
Da bewegt sich, wie sie beide an den Rand des Horizontes gegen den Feind hin sehen, die Erde. Es heben sich gegen das fahle Grau des Himmels an sechs, acht Stellen des Frontabschnittes schwärzliche Blöcke. Oder schwärzliche Berge. Oder Häuser, mit übermannshohem Giebel, der langsam emporsteigt.
Die beiden Posten haben in ihrem Leben keinen Tank gesehen. Sie wissen: Das sind Tanks.
Da, wo die schwarzen Blöcke jetzt kriechen, wenige Sekunden nach ihrem Auftauchen, da ist unsere vorderste Infantrielinie.
Warum schießt die Infanterie nicht?
Es gibt für die Posten des Tankabwehrzuges eigentlich nur einen Befehl, sobald ein Tank sichtbar wird: "An die Geschütze."
Die beiden Soldaten greifen in den Erdboden, glotzen nach vorn.
Da einer, ein Tank, da noch einer, fünf, acht, elf, da noch zwei.
Das ist unfaßbar.
Nein, das ist faßbar: Es beginnt ein Feuerüberfall des Feindes. Er muß auf die Sekunde genau von einigen Dutzend Batterien gleichzeitig eröffnet worden sein. Es pfeift, brüllt, klatscht, hagelt. Einer der ersten schweren Schüsse haut vor den Eingang der Höhle.
Die beiden Posten fliegen im Bogen hoch, liegen platt, springen in den Eingang. Brüllen: "An die Geschütze."
In der Höhle ist alles verwirrt. Die beiden Posten stehen vor Reisiger: "Herr Leutnant, sie sind da."
Ein Feuerstrahl schlägt in den Eingang. Der Telephonist fliegt mit seinem Gerät beinahe gegen die hintere Wand. Der Tisch bäumt sich.
Da ist alles wach. Aber das Denken setzt noch einen Augenblick aus. "Wer ist da?" Reisiger sieht den Posten an, dreht sich um zu Leutnant Schmidt. "Aha - ein ganz anständiges Trommelfeuer."
"Herr Leutnant - Tanks!"
Es ist dieses Erschrecken vor den Kriegsmaschinen, das die Idee des Roboters geprägt hat und das noch heute in den packenden Materialschlachten der "Terminator"-Filme zu spüren ist. So liest sich auch diese Passage fast wie eine Beschreibung des zukünftigen Krieges zwischen Menschen und Maschinen, wie ihn die "Terminator"-Filme zeigen. Es ist ein realer Schrecken, ausgedrückt mit den Mitteln des Actionkinos, aber keine Fantasie. Darf eine Debatte über den militärischen Einsatz von Robotern solche Erfahrungen einfach ignorieren?
Bei Militärvertretern und Rüstungsgegnern gleichermaßen scheint die Auffassung vorzuherrschen, dass die Visionen der Science-Fiction mit den Auseinandersetzungen um reale Militärroboter nichts zu tun hätten. Und tatsächlich lassen sich die als Geschichten formulierten Gedanken nicht ohne weiteres in politische Prozesse der Willensbildung integrieren, die sich bevorzugt auf quantifizierbare, in Tabellen darstellbare Daten stützen. Belanglos sind sie deswegen aber nicht. Wer wissen will, wie es sich anfühlt, wenn ein Roboter oder Computer Macht über Leben und Tod hat, erfährt das nirgendwo besser als im Kino.
Auch die wichtigen ethischen Fragen werden regelmäßig zuerst von der Science-Fiction aufgeworfen. So hat ein Film wie "Colossus - The Forbin Project" (USA 1970) schon vor über 40 Jahren davor gewarnt, künstliche Intelligenz zu bewaffnen. Beruhend auf einem Roman von Dennis Feltham Jones erzählt er davon, wie die Amerikaner ihr Atomwaffenarsenal der Kontrolle eines Supercomputers anvertrauen. Der nutzt diese Macht, um die Menschheit seiner unerbittlichen Logik zu unterwerfen. Einmal aktiviert, lässt er sich nicht mehr stoppen. Mit emotionsloser Stimme prophezeit er am Ende seinem Schöpfer, Dr. Forbin: "Mit der Zeit wirst du mich nicht nur mit Respekt und Ehrfurcht betrachten, sondern mit Liebe." Dem bleibt nur noch die Erwiderung: "Nein, niemals."
Wer diese mit erbarmungsloser Konsequenz durchdeklinierte Geschichte gesehen und erlebt hat, weiß hinterher genauer, was ein "slippery slope" ist. Wörtlich übersetzt bedeutet das "rutschiger Abhang", gemeint ist, dass eine vermeintlich harmlose oder sogar positive Handlung einen unerwünschten und sehr negativen Prozess in Gang setzen kann, der sich nicht mehr stoppen lässt. In der Realität wird der "point of no return" in der Regel nicht so deutlich zu erkennen sein wie in einer dramaturgisch zugespitzten fiktiven Geschichte. Umso mehr Vorsicht ist geboten. Mit der energisch vorangetriebenen Bewaffnung von Drohnen steuert die Menschheit gerade auf so einen Abhang zu, ist womöglich schon ins Rutschen gekommen.
Dass es sich bei Drohnen gegenwärtig noch um ferngesteuerte Flugroboter handelt, kann da wenig beruhigen. Denn deren Intelligenz wird notgedrungen zunehmen: Bei der Fernsteuerung über Satelliten kommt es unweigerlich zu Verzögerungen im Sekundenbereich. Das reicht, um fahrende Autos am Boden anzugreifen, aber nicht, um im Kampf gegen andere Flugzeuge zu bestehen. Drohnen für den Luftkampf müssen innerhalb von Sekundenbruchteilen über den Waffeneinsatz entscheiden können. Das geht nur autonom.
Sobald es aber autonom feuernde Flugroboter gibt, sind die Tage der Kampfpiloten gezählt. Denn während ein Mensch kurzzeitig maximal das Neunfache der Erdschwerkraft (9 G) aushalten kann, ohne ohnmächtig zu werden, können unbemannte Flugzeuge Manöver fliegen, bei denen Beschleunigungskräfte bis zu 35 G auftreten. Wer daher heute Drohnen bewaffnet, nimmt in Kauf, dass die Lufthoheit bald an Maschinen übergehen könnte.
Das ist Science-Fiction? Ja, gewiss. Mit anderen Worten: Es muss also sehr ernst genommen werden und unbedingt in den Prozess der politischen Willensbildung einfließen. Das ist sicherlich nicht einfach, schließlich sind die Institutionen der parlamentarischen Demokratie eher auf den Umgang mit juristischen Texten und Tabellen ausgerichtet und können mit künstlerisch oder literarisch formulierten Gedanken zumeist nichts anfangen. Doch spricht das gegen diese Gedanken? Oder nicht doch eher gegen die politische Kultur, die sie nicht zulässt? Muss sich der Staat dem Leben anpassen oder das Leben dem Staat?