Das Ende des Holzwegs
Anstatt den neuen digitalen Kuchen ins Auge zu fassen, klammern sich viele Autoren an die Krümel, die ihnen ein überkommenes Urheberrecht zusteht
Der Untergang des Abendlands steht mal wieder kurz bevor. So jedenfalls könnte man meinen, wenn man den flammenden Heidelberger Appell zur Kenntnis nimmt, in dem Verleger, Autoren und Journalisten von der kostenlosen Verfügbarmachung wissenschaftlicher Texte im Internet das Urheberrecht und die Freiheit von Literatur, Kunst und Wissenschaft bedroht sehen.
Anlass des Appells ist der von der "Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen" (Wissenschaftsrat, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Leibniz-Gesellschaft, Max Planck-Institute u.a. ) geforderte "Open Access" für wissenschaftliche Texte, der Wissenschaftlern ein schnellen und umfassenden Zugang zu Forschungsergebnissen ermöglichen soll. Gegen die „unakzeptable Unterstellung“ des Appells, mit der Förderung eines freien elektronischen Zugangs zu Artikeln die Publikationsfreiheit und das Urheberrecht beschneiden zu wollen, haben sich die Wissenschaftsorganisationen massiv verwahrt. „Open access“, der freie Zugang zu Publikationen, werde ausschließlich von Forschungsergebnissen gefordert, die aus Steuermitteln finanziert und „damit zum Nutzen der Forschung und Gesellschaft insgesamt erarbeitet wurden“.
Eine solche Differenzierung, die die “Open Access”-Forderung unmittelbar einleuchten lässt, haben die Heidelberger Appellanten wohl nicht von ungefähr unterlassen. Genauso wie ihre Verteidiger in den Feuilletons. Wenn öffentliche Mittel für eine Straße, eine Forschungsarbeit oder ein Gedicht eingesetzt werden, muss die Öffentlichkeit auch das Recht haben, in den Genuss dieses Produkts zu kommen.
Hier eine Untergrabung des Urheberrechts, der Presse- und Publikationsfreiheit, ja der Verfassung zu insinuieren, ist unlauter und davon gar als Open Enteignung zu sprechen, wie der taz-Autor Rudolph Walther schlicht unsinnig. Weil sich mit der Selbstverständlichkeit, dass den Steuerzahlern auch gehört, was sie bezahlen, kein Alarm machen lässt, werden im zweiten Satz des Appells pauschal die Monster GoogleBooks und YouTube an die Wand gemalt, die “geistiges Eigentum…. seinen Produzenten in ungeahntem Umfang und ohne strafrechtliche Konsequenzen" entwenden.
Ich kenne zwar niemanden, der je auf Youtube ein Buch gelesen hat, aber statt auf Differenzierungen kommt es den Verteidigern des alten Urheberrechts denn auch eher auf ein pauschales Bedrohungsszenario an: Hier die digitale Hölle des Internets mit dem gefrässigen Oberteufel Google - da die hehren Werte “geistiges Eigentum”, “Freiheit der Kunst und Wissenschaft” und “Verfassung” mit ihren Hütern aus der ehrbaren Verlags- und Buchbranche. Fast wundert man sich, warum nicht auch noch Kispi und Kipo - die aktuellen Sündenböcke “Killer-Spiele” und “Kinder-Pornos” - in das Horrorszenario Einlass fanden, so simpel ist das Schwarz/Weiß dieses alarmistischen Appells und seiner Apologeten von taz bis FAZ gestrickt. Noch mehr wundert man sich freilich, dass keineswegs nur viele Verleger unterschrieben haben, sondern noch mehr Autoren – also jene Glieder der Verwertungskette Buch, denen nach dem derzeitigen Urheberrecht der geringste Anteil an den Produkten zugestanden wird, die es ohne sie gar nicht gäbe.
Von 10 Euro, die ein Taschenbuch im Laden kostet, landen 9,40 Euro bei Händlern, Zwischenhändlern, Großhändlern, Herstellern, Druckern, Verlegern und als Steuer beim Staat. Von den 60 Cent, die dem Autor bleiben, muss er möglicherweise noch 10 Cent an den Agenten abgeben, der den Verlagsvertrag vermittelt hat, und er muss das Ganze dann noch als Einkommen versteuern.
Dagegen scheint das Angebot von GoogleBooks, einem Autor für das Einscannen eines nicht mehr lieferbaren Buches 60 Dollar zu zahlen und ihn mit 60% an den damit erzielten Einnahmen zu beteiligen, nachgerade fair. Deshalb kann ich nach jahrzehntelangen Erfahrungen sowohl als Buchautor als auch als Verlagsmitarbeiter zwar die Verlegerseite dieses Appells gut verstehen – es ist die alte Klage der Steinmetz-Innung nach der Erfindung des Papiers, der Kinobranche nach Erfindung des Fernsehens, der Musikindustrie nach Erfindung des Downloads –, doch wie man als Autor, Künstler, Kreativer ein Urheberrecht verteidigen kann, das einen mit einem Trinkgeld abspeist, will mir nicht in den Kopf.
Die Politik steht in der Pflicht, den individualrechtlichen Ansprüchen, die sich an die Herstellung von künstlerischen und wissenschaftlichen Werken knüpfen, auf nationaler wie internationaler Ebene Geltung zu verschaffen.
Heidelbeger Appell
Wenn die Bundeswehr schon vor Somalia Piraten jagt, darf ich dann als Autor künftig ein kleines Sondereinsatzkommando erwarten, um den “individualrechtlichen Ansprüchen” an meinem Werk “Konspirasi, Teori-teori Konspirasi & Rahasia 11.9.” (Jakarta 2003) in Indonesien weiterhin Geltung zu verschaffen ? (Keine müde Rupie kam seitdem bei mir an, obwohl der Verschwörungsstoff dort garantiert rennt wie nichts. Die deutsche Ausgabe dieses Buchs erschien im Übrigen erst, nachdem die größten Teile zuvor schon kostenlos auf Telepolis (Link auf /tp/r4/special/wtc.html) zu lesen waren – und wurde mit einer Auflage von über 120.000 dennoch ein Bestseller.)
Nicht die Urheber, nur die Verwerter müssen die digitale Welt fürchten
Dass technologische Umbrüche nicht ohne Verwerfungen vor sich gehen, war schon so, als Texte noch in Stein gemeißelt oder in Ton gebrannt wurden. Doch das Beharren auf einem System , das noch dem Staat mit 7% Umsatzsteuer mehr zubilligt als dem Autor eines Taschenbuchs, wird das Abendland so wenig retten wie durch die bizarre, aber ernstgemeinte Forderung des “Börsenvereins des Buchhandels”, für elektronisch ausgelieferte e-books denselben Preis zu verlangen wie für die gedruckte Ausgabe.
Vielmehr geht es darum, die individualrechtlichen Ansprüche von Autoren im Zeitalter digitaler Reproduzierbarkeit neu zu formulieren und an die stark verkürzte Verwertungskette vom Autor zum Leser anzupassen. Weder Verlage, Lektoren und Redakteure noch Distributoren oder Händler werden durch das e-book (und die Online-Publizistik insgesamt) überflüssig, doch werden ihre Aufwendungen und Kosten erheblich reduziert. Zu Gute kommen muss das den Lesern, die weniger bezahlen - und den Autoren, die besser bezahlt werden müssen. Deutlich geringere Preise für ein e-book im Vergleich zur gedruckten Ausgabe - und 50/50 zwischen Autor und Verlag, der das Werk direkt distribuiert, scheinen da eine angemessene Perspektive.
Es sind nicht die Urheber - die Autoren und Kreativen -, die die neue digitale Welt fürchten müssen, es sind allein ihre Verwerter. Schöpferische Leistungen werden auch in Zukunft honoriert werden. Denn einher gehen mit dem langsamen Ende des Holzwegs wird zwangsläufig auch ein Ende des kostenlosen Internets, das seit seinen Anfangsjahren als Parasit der Papierwelt lebte und soeben - siehe Zeitungssterben - dabei ist, seinen Wirt ums Leben zu bringen. Mit der Konsequenz, dass für Qualität künftig auch im Internet bezahlt werden muss, denn sie ist kostenlos einfach nicht zu haben. Es sei denn, sie wurde mit öffentlichen Geldern schon bezahlt, weil dann der Öffentlichkeit ein “Open Access” ohne Frage zusteht, ganz gleich ob es sich um Forschungsarbeiten, Dokumentationen oder um die Gedichte handelt, die ein von Steuergeldern honorierter Stadtschreiber gedrechselt hat. So plant die britische BBC folgerichtig, ihr gesamtes Filmarchiv unter eine “Creative Commons”-Lizenz zu stellen und ihren Gebührenzahlern (die dieses Archiv schließlich bezahlt haben) die kostenlose Nutzung zu gewähren.
Es gibt zur Zeit noch kein Patentrezept, wie die anstehende Transformation zu leisten ist. Sicher ist nur, dass das alte System der Wissensdistribution – und damit auch die Strukturen des Verlags- und Buchsgewerbes - von einem neuen abgelöst werden. Auch wenn es noch in hundert Jahren Bücher geben wird, kommt das Ende des Holzwegs – vom Baum über das Papier zum Leser – langsam in Sicht. Und damit auch das Ende eines überkommenes Honorierungssystems, das den kreativen Urheber mit ein paar Krümeln abspeist, während der Kuchen von anderen verschlungen wird. Möglich war das nur, weil die Autoren in der Verwertungskette von Baum zum Buch das schwächste Glied darstellten.
Durch die digitale Verbreitungsmöglichkeit ihrer Werke, die durch die kommenden mobilen Lesegeräte weiter vorangetrieben wird, verstärkt sich die Position der Autoren deutlich und damit ihre Möglichkeiten für eine angemessene Beteiligung am Kuchen. Die vielen Autoren-Unterschriften des Appells zeigen unterdessen, dass vielen diese Chancen noch nicht bewusst sind und sie deshalb lieber auf alten, unvorteilhaften Strukturen beharren, anstatt sich neue zu erschließen.