Das Ende des INF-Vertrags und das neue Wettrüsten
Seite 2: Kein Moratorium, kein Start?
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Teils hat es den Anschein, als könne Moskau versuchen, was es will, der Schwarze Peter wird ihm trotzdem routinemäßig zugeschoben. Denn wiederholt hat Russland deeskalierende Angebote gemacht, die aber besonders in Washington auf taube Ohren stoßen. Jüngstes Beispiel ist hier das folgende russische Angebot, über das u.a. die Zeit berichtete:
Kurz vor Ablauf des INF-Vertrages hat Russland den USA und der Nato erneut ein Moratorium auf die Stationierung von Raketensystemen mittlerer und kürzerer Reichweite in Europa angeboten. [Der russische Außenminister Sergej Rjabkow] verwies darauf, dass sich Russland einseitig ein Moratorium für solche Raketen auferlegt habe. Allerdings seien weder die USA noch die Nato bisher darauf eingegangen.
Die Zeit
Zentrale Akteure der US-Regierung, allen voran Sicherheitsberater John Bolton, sind ohnehin erklärte Gegner jeglicher Form vertraglicher Rüstungskontrolle. Aktuell hat es ganz den Anschein, als befänden sich diese Kräfte auf einem Kreuzzug, mit dem "New-Start-Vertrag" auch die letzte noch verbleidende tragende Säule der atomaren Rüstungskontrolle einzureißen.
"New Start" begrenzt die Zahl der Sprengköpfe und strategischen Trägersysteme mit einer Reichweite über 5500 km, er soll verhindern, dass eine Rüstungsspirale in Gang kommt, in der beide Seiten versuchen, eine Eskalationsdominanz in Form einer Erstschlagfähigkeit zu erlangen.
Aktuell sind die USA dabei, ihr strategisches Arsenal zu "modernisieren", um so die Durchschlagsfähigkeit und Zielgenauigkeit deutlich zu erhöhen. Hierfür sollen laut jüngeren Schätzungen des "Congressional Budget Office" im nächsten Jahrzehnt fast 500 Milliarden Dollar bereitgestellt werden.
Die gesamten atomaren US-Rüstungspläne lassen wenig andere Schlüsse zu, als dass die USA tatsächlich eine nukleare Erstschlagfähigkeit anstreben, ein Ergebnis, zu dem bereits 2006 ein Artikel in der renommierten Foreign Affairs mit dem bezeichnenden Titel "Der Aufstieg der USA zur nuklearen Vorherrschaft" gelangte:
Streben die Vereinigten Staaten mit Absicht die nukleare Dominanz an? […] Die Natur der vorgenommenen Veränderungen bezüglich des Arsenals und der offiziellen Politik und Rhetorik stützen diese Schlussfolgerung. […] Mit anderen Worten, die gegenwärtigen und künftigen Nuklearstreitkräfte der USA scheinen dafür konzipiert zu sein, einen präemptiven Entwaffnungsschlag gegen Russland oder China zu führen.
Foreign Affairs
Etwas mehr als zehn Jahre später legten die beiden Autoren, Keir A. Lieber und Daryl G. Press, in der International Security noch einmal nach, in der sie argumentierten, durch die Modernisierung der US-Atomwaffen würden die USA noch einmal deutlich näher in Richtung einer Erstschlagfähigkeit gegenüber Russland rücken.
Augenblicklich stehen dem aber noch die Begrenzungen durch "New Start" im Weg, der aber am 5. Februar Jahr 2021 ausläuft. Hier dürfte wohl der Grund liegen, weshalb bisherige Versuche Russlands, eine Verlängerung hinzubekommen, von den USA abschlägig beschieden wurden. Befragt, wie er die Chancen für eine Verlängerung von "New Start" einschätze, antwortete Sicherheitsberater John Bolton vor wenigen Wochen: "Es wurde noch keine Entscheidung getroffen, aber ich denke sie ist unwahrscheinlich."
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Vor diesem Hintergrund sieht der Ex-Chef des NATO-Militärausschusses Harald Kujat die jüngsten russischen Rüstungsbemühungen - u.a. auch die Entwicklung von Hyperschallwaffen - als eine Reaktion auf die US-Versuche, die Eskalationsdominanz durch eine Erstschlagfähigkeit zu erlangen: Es gehe Moskau um die "Aufrechterhaltung des strategischen Gleichgewichts mit den Vereinigten Staaten".
Man muss diese Versuche ja deshalb noch lange nicht gutheißen, die dahinterliegende Motivation und Dynamik aber sollte verstanden werden, anstatt, wie viele der tonangebenden Stimmen hierzulande, mit völlig einseitigen und in dieser Form extrem zweifelhaften Schuldzuweisungen den Eintritt in einen neuen Rüstungswettlauf zu fordern.