Das Feuer der Maschine
Lifelogging - Teil 3
"Niemand entgeht dem verwandelnden Feuer der Maschine". Mit diesem Satz beginnt eines der einflussreichsten Bücher der neoliberalen Denkschule mit dem Titel "Neue Regeln für die New Economy". Autor dieses Manifests ist Kevin Kelly, gleichzeitig auch Mitbegründer von "Quantified Self", einem weltweiten Netzwerk von Selbstvermessern. Die wenigsten der QSler werden wissen, welchem Gründungsmythos sie eigentlich folgen.
Teil 2: Wille zur Kontrolle
Mit der Maschine meint Kelly etwas, das wir heute Neoliberalismus nennen. Hinter der progressiv klingenden Formel "Self-knowledge through numbers", geprägt durch den zweiten Gründer von "Quantified Self", Garry Wolf, bildet sich bei näherem Hinsehen in Reinform neoliberales Denkens ab. Nur passt das so gar nicht mit den flammenden Herzen und coolen Geschichten zusammen, die auf den QS-Meetups erzählt werden.
Mit der Maschine meint Kelly den Markt, der alles regelt. Einen Markt, der letztlich Menschen überflüssig macht, zumindest jene, die den Anforderungen nicht genügen oder sonstwie überflüssig sind. Überflüssig sind, so Kelly auch bald Piloten, denn deren Fehleranfälligkeit sei gegenüber computergesteuerten Systemen viel zu gravierend. Mag sein. Aber es gibt Situationen, in denen Erfahrungen notwendig sind oder Intuition. Beides lässt sich schlecht programmieren. Deshalb gibt es gute (und schlechte) Ärzte sowie gute (und schlechte) Piloten.
Wenn Menschen letztlich auf Fehleranfälligkeit reduziert werden, verwundert es kaum, dass die digitale Selbstvermessung so gut in den herrschenden Zeitgeist passt. Die Praxis von Lifelogging folgt dem Megatrend der Ökonomisierung des Alltags, so, wie auch von Christopher Stark in seinem wunderbar detailreichen Buch "Neoliberalyse" (Wien, 2014) beschrieben. Anhand der von Stark zusammengestellten und analysierten Beispiele wird erst die ideologische Tragweite des neoliberalen Gedankens deutlich, also der "Maschine", der niemand mehr entgehen kann. Stark findet Spuren der Unterwerfung von Lebensbereichen unter ökonomische Prinzipien in Kabarettprogrammen von Dieter Nuhr, in Schüler- und Studentenzeitschriften, in Werbung für verhütende Hormonpräparate und letztlich auch in der digitalen Selbstvermessung ("Quantified Self" - die Vermessung des Selbst).
Datenreihen sind ein untrügliches Kennzeichen der Neoliberalisierung. Sie zeugen vom verabsolutierten Wettbewerb, der in allen möglichen Lebensbereichen mit technokratischer Unerbittlichkeit geführt wird. Von der Übertragung der Idee der "Kennzahlenoptimierung" von Konzernen und Unternehmen auf den einzelnen Arbeitnehmer, der sich am Ende als "digitaler Sklave" fühlt. "Teil des Begriffs ist, dass der Herr in der Lage ist, jede Bewegung des Sklaven nach Zeitpunkt, Position, Geschwindigkeit und Richtung zu überprüfen."1
Die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" hätte ihre Freude daran. Das ist das Feuer, von dem Kelly spricht und darüber wäre auch der Effizienzexperte Frederik Taylor glücklich. Allerdings wirkt dessen Ansatz, Arbeitsabläufe und Handgriffe in Industriebetrieben mittels Stoppuhr und Notizblock zu vermessen anachronistisch gegenüber den Möglichkeiten post-tayloristischer Messmethoden, die letztlich nichts anderes darstellen, als eine Rationalisierung der Rationalisierung. "Niemand entgeht dem verwandelnden Feuer der Maschine", das bedeutet auch, dass Arbeitnehmer, die den (erhofften) Effizienzanforderungen nicht mehr genügen, aussortiert werden. Es verwundert schon sehr, dass die Gewerkschaften, das Thema Lifelogging noch nicht für sich entdeckt haben.
Gegenwärtig scheint es kaum Mittel zur Eindämmung des Feuers zu geben. Zu viele wärmen sich daran oder sind zumindest geblendet, weil sie die damit verbundenen Risiken nicht sehen wollen oder können. Vielleicht ist es ja wirklich attraktiv, seine eigenen "Leistungsdaten" wie die Umdrehungen einer Maschine einzustellen. Vielleicht lebt es sich ja gut, mit einem Kilometerzähler im Kopf und der Objektivierung von Lebensbezügen durch mechanische Aufzeichnung von Daten.
Ich möchte jedoch weiterhin Pausen machen, wann ich möchte, mein Auto selbst steuern und in einem Flugzeug sitzen, das von einem Menschen pilotiert wird, anstatt von einer Maschine. Zumindest möchte ich erst einmal mit eigenen Augen sehen, wie sich Kevin Kelly tatsächlich in ein Flugzeug setzt, das ausschließlich von einem Autopiloten gesteuert wird.
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