Das Gesicht des digitalen Kinos
Als photo-realistischer Animationsfilm sorgt "Final Fantasy" für eine Debatte rund um die Zukunft der Traumfabrik
Vollständig auf Festplatte entstanden zu sein, ist für einen Mainstream-Film mittlerweile kein Novum mehr. Längst gibt es andere Ziele. Nachdem Landschaften, Naturgewalten, Städte und Kriege erfolgreich simuliert werden konnten, gilt das als nächster zu erklimmender Gipfel. Wie die zwischen New York und Los Angeles aufgekeimten Debatten um "Final Fantasy" zeigen, kann es da zu Missverständnissen kommen.
Aufgeladen war das Szenario im Vorfeld allemal. Die andauernden Streiks der Screen Actors Guild, ließen eine Stimmung aufkommen, die jederzeit sensationslüstigen Meldungen einen Nährboden verschaffen würde. Flugs rangen in den letzten Wochen Schlagzeilen um unsere Aufmerksamkeit, die angesichts der neuen digitalen Schauspieler-Elite Furcht und Schrecken im Lager herkömmlicher Leinwand-Stars heraufbeschworen. "I am very troubled by it," wurde etwa Tom Hanks von der New York Times zitiert, ohne auch nur einen Schimmer von Hoffnung aufkommen zu lassen.
Diese technophob geprägte Stimmung, vor deren Hintergrund lebhafte Auseinandersetzungen um die Zukunft der Arbeit im Filmgeschäft stattfinden, scheint einer technikbegeisterten und durchwegs utopisch gesinnten Diskussion um Realismus vs. Photo-Realismus diametral entgegenzustehen. Wer jedoch genau guckt, wird bald aufhorchen: Beide Diskurse sind nicht nur komplementär, sie ergänzen sich und bedingen einander. Wer von Arbeitsrecht spricht, meint Filmästhetik. Anders gesagt: Die digitale Oberfläche ist Austragungsort des Klassenkampfes in der Traumfabrik.
Paul Verhoeven verpackte diesen Zusammenhang in ein pompöses Actionspektakel: "Hollow Man" featurte einen Star, der nicht nur größtenteils unsichtbar bleiben musste. Kevon Beacon wurde von einer Software der Rang abgelaufen und er musste dafür auch noch schuften. Im angeblich härtesten Dreh seines Lebens zwängte er sich in hochentwickelte Verkleidungen, die die Technik am besten zur Geltung kommen lassen würden. Dieser Rollentausch - von einer Wegrationalisierung des Schauspielers kann nicht die Rede sein - steht für einen Paradigmenwechsel in Hollywood, der in zahlreichen Produktionen bereits nachvollzogen wurde.
"Spider-Man" zum Beispiel ist, im Gegensatz zu Batman und Superman, nur in seiner bürgerlichen Haut ein Job für Tobey Maguire. Sobald er sein inoffizielles Arbeitskostüm überzieht, treten Filmtechniker auf den Plan, um einen photo-realistisch animierten Superhelden Netze zwischen den Wolkenkratzern von New York spannen zu lassen. In Andrew Niccols noch in Produktion begriffener "Simone" (stellvertretend für Sim One) wird eine leibhaftige Moderatorin durch eine virtuelle Figur ersetzt. Aus der Not wird eine Tugend, und die digitale Krücke ein Star. Interessant daran sind aber auch die Spekulationen auf seiten der Fans. Wird Simone ein durch und durch virtueller Charakter sein? Oder wird sie von einer Schauspielerin gespielt?
Strukturwandel am Arbeitsplatz des Schauspielers
Polemiker führen an dieser Stelle finanzielle Aspekte ins Feld. Sie preisen die digitale Schauspielerzunft und rechnen vor, dass man mit virtuellen Stars weder Schwierigkeiten noch Umstände hätte; sie seien zuverlässiger und kostensparender. Absurd ist dieses Argument angesichts der Tatsache, dass Final Fantasy in einem 40 Millionen US Dollar teuren Studio entstanden ist, wo zahllose Angestellte rund um die Uhr vier Jahre lang an der Fertigstellung des 150 Millionen US Dollar teuren Streifens arbeiteten.
Die Story um eine in der nahen Zukunft um die Rettung der Erde besorgte Aki Ross soll dabei Kritikern zufolge weniger durch die Geschichte verblüffen, als vielmehr durch die technischen Tricks:
"And as was true of "Tron," you may find yourself staring at this film's special effects to gauge their realism - a much more diverting endeavor than following the story line." NYT
Dies widerspricht wiederum nicht nur einer Erkenntnis, die Programmierer neulich auf einem Symposium in Cannes hatten, sondern auch einer Zwischen-den-Zeilen-Lesart. Spannend bei Final Fantasy lesen sich nämlich die Credits:
Dr. Aki Ross (Ming-Na), Capt. Gray Edwards (Alec Baldwin), Ryan (Ving Rhames), Neil (Steve Buscemi), Jane (Peri Gilpin), Doctor Sid (Donald Sutherland), General Hein (James Woods), Council Member No. 1 (Keith David), Council Member No. 2 (Jean Simmons) und Major Elliot (Matt McKenzie).
Hironobu Sakaguchis aus einem Video-Spiel hervorgegangenes Regie-Debut definiert ganz beiläufig den All-Star-Film in Zeiten des digitalen Kinos neu. Dabei sind die Markennamen der Stars auf Unterschriften in Form ihrer Stimmen reduziert. Steve Buscemi, Donald Sutherland, James Woods - auf lukrativer Basis leihen sie den in ihren Körperbewegungen meist noch eher unbeholfen wirkenden Software-HeldInnen ihre Stimme und arbeiten somit hinter den Kulissen daran, die Reagenzglasgeburten lebendig erscheinen zu lassen. Grundsätzlich sehen Vertreter der Screen Actors Guild eigentlich auch keine wirklichen Gefahren für ihre Schützlinge.
SAG-Sprecher Greg Krizman gibt zu bedenken, dass die meisten CGI-Charaktere sowieso wesentlich teurer sind, als normalsterbliche Schauspieler und sieht darin eigentlich nur den Neuigkeits-Bonus: "It's probably good for publicity and marketing, but I'm not too concerned about it taking jobs." Chris Koseluk skizziert in einem Text über Digital Acting auf der SAG-Homepage dementsprechend auch die Vorteile dieses neuen Marktes und sieht für Schauspieler eine Reihe von neuen Einkommensquellen entstehen. Ganz so rosig muss die Zukunft im Digital Hollywood dann vielleicht doch nicht aussehen. Schauspieler im Dienst der Technik könnten zu Sklaven einer um ständige Optimierung des Menschlichen bemühten SFX-Industrie werden. Die Bemühungen der SAG würde dies um siebzig Jahre zurückwerfen, als noch Produzenten das Arbeitsleben des Schauspielers diktierten.
Synthetic Actors Guild
Abgesehen von ausschließlich im Rechner entstandenen Filmen kommt die 1989 von Jeff Kleiser als Synthespians benannte Zunft meist noch eher am Rande des heutigen Films zum Einsatz. Statistenrollen fallen ihnen zu, wie in Ridley Scotts "Gladiator", als es zum Beispiel darum ging, die Zuschauerränge im Kollosseum mit Menschenmassen aufzufüllen; gefährliche Stunts werden von ihnen professionell sowie ohne Verletzungsrisiko absolviert. Und während abseits des Rampenlichts digitale Schauspieler längst die Sets unbemerkt und ohne großen Aufhebens zu bevölkern begonnen haben, rückt "Final Fantasys" Hauptdarstellerin Aki Ross in ein Vakuum, das Kyoko Date und andere Virtual Babes hinterlassen haben. Besonders an Ross ist, dass sie nicht auf ihre Rolle in Sakaguchis Film reduziert werden möchte. Virtuelle Fotoshootings machen immer wieder die Runde, weitere Rollenangebote sind im Gespräch.
Aki Ross wäre somit vielleicht der erste Synthespian, der nun Anspruch auf Mitgliedschaft erheben könnte, was Jeff Kleiser zusammen mit Diana Walczak im Rahmen eines Experimentalfilms als Synthetic Actors Guild nicht nur begrifflich umschrieben hatten. Der nach Nestor Sextone, seinem digitalen Protagonisten, benannte Film, war in erster Linie nämlich nicht ein politischer Film, dem es um Rechte und Ansehen der Synthespians ging. Nestor Sextone, der darin als Präsident der Synthetic Actors Guild kandidiert und Max Headroom stark dafür kritisiert, dass er lediglich ein Mensch mit Make-Up sei, artikuliert in diesem mittlerweile legendären Steifen ein ästhetisches Programm. Wie Kleiser es selbst neulich sagte:
"Systems currently exist for rendering convincing hair and clothing and the facial textures can be simulated through photographic studies and sophisticated texture mapping, but the animator of the future will need to be a talented actor if he or she intends to create a dramatic performance in a synthetic actor. I don't believe that performances that include this level of dramatic impact can be routinized to the level that a programmer could use for an automated animation system."
Sich den Schauspieler als Programmierer vorzustellen, bringt Puppenspieler in Erinnerung. Die einzelnen Seile dürfte man sich dabei als Codes einer entsprechenden Programmiersprache vorstellen, doch wie findet ein Transfer jener Fähigkeiten statt, die man in mühsamer Arbeit auf einer Schauspielschule erlernt? "Final Fantasy" und die damit verbundene Debatte um Photo-Realismus scheint genau an diesem Punkt einer Auseinandersetzung zu harren. Synthespians möglichst lebendig erscheinen lassen zu wollen, kann offensichtlich nicht an photo-realistischen Maßstäben entlang gedacht werden - das hat auch "Shrek" gezeigt.
Was Schauspieler als Handwerk schließlich mit auf den Weg bekommen, ist die Fähigkeit, möglichst perfekt in einer Illusion aufzugehen. Sie arbeiten Hand in Hand mit einem Team von Profis an der mittlerweile digital bearbeitbaren Oberfläche des Films, um Kinobesucher in einen kinemathographischen Raum hineinzuziehen, der sie für eine Zeit lang die Realität vergessen lässt.
Klassenkampf auf der filmischen Oberfläche
Dass auf der filmischen Repräsentationsebene etliche Streitpunkte angesichts photo-realistischer Digital-Animationen liegen, zeigt auch die heimliche Sorge der Stars, zukünftig auf der Leinwand mit ihren Digital-Doubles konfrontiert zu werden. Zwar ist rechtlich geregelt, dass Bilder von Berühmtheiten selbst 70 Jahre nach ihrem Tod von ihren Nachkommen verwaltet werden. Doch können Silhouetten, wie neulich ein Film in Seattles neuem RockŽRoll Museum mit einem dramatisch verjüngten James Brown bewies, ungeschoren gesamplet werden.
So sehr es den post-modernen Puppenspielern darum gehen wird, Synthespians die Logik der Leinwand einzuhauchen - die Frage bleibt, ob es ihnen gelingen kann, die Geheimnisse der Seele eines Stars (man spricht bekanntlich auch von der Seele einer Marke) auf ihre Schützlinge zu übertragen. Aki Ross sieht zwar aus wie Bridget Fonda, doch erinnert sie Filmfans auch an deren leibliche Mutter, Jane "Barbarella" Fonda?
Die Frage, wer eigentlich Modell gestanden hat, kann aber auch ganz andere Probleme nach sich ziehen. Jeff Kleisers Partnerin Diana Walczak, die als klassisch trainierte Künstlerin mit den Fähigkeiten eines Bildhauers ihren ersten Synthespian aus individuell geformten Körper- und Gesichtsteilen zum Leben erwecken konnte, hat sich wenige Jahre später der Aufgabe angenommen, das Logo der "Final Fantasy"-Vertriebsfirma neu zu designen. Bis Kleisers und Walczak sich der so genannten Columbia-Lady annahmen, durchlief die uns seit 1924 auf der Leinwand als Statue Begegnende eine turbulente Geschichte. Sie wurde vielleicht ein Dutzend mal neukonzipiert bis sie 1975 ganz verschwand, um 14 Jahre später - mit den Kurven einer Coca-Cola-Flasche ausgestattet - wieder aufzutauchen. Strittig ist dabei die Anfangsphase. Gleich mehrere Schauspielerinnen wollen für das Orginal Modell gestanden haben.
Wenn solche Spuren verwischen, wird dem Kinobesucher der Identifikationsprozess mit Software-HeldInnen nicht gerade erleichtert. Doch ob herkunftslose Synthespians den Nerv ihres Publikums treffen, bleibt nicht nur davon abhängig, wie post-human man sich gerade so fühlt. Dass eine goldene Michael-Jackson-Statue in einem Musikclip von Kleiser und Walczak plötzlich ein Eigenleben entwickelt, scheint nicht ganz zufällig auf unheimliche Weise extrem glaubwürdig - es hat sicherlich auch etwas mit dem Modell zu tun...