Das Gift der "Inquisition light"

Wen oder was will der Kölner Erzbischof, Kardinal Joachim Meisner, ausschwitzen lassen?

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"Die christliche Religion ist die eigentliche Religion der Wollust" (Novalis).

Kardinal Meisners PR-Berater können nicht allesamt im Himmel sitzen. Denn dann wäre er Theologe geblieben und hätte geschwiegen. So aber redet er und der fast vergessene Geist eines weltfremden, sexualitäts- und wissenschaftsfeindlichen Klerus durchweht wieder eine Gesellschaft, die "weiß Gott" andere Probleme hat, als sich vom Kanzelwissen über den Wolken leiten zu lassen. Der Kardinal sieht die europäische Werteordnung durch Terroristen, Drogensüchtige und Wissenschaftsgläubige gefährdet.

Aber das Tintenfass, in das Niklas die bösen Buben und Mädel steckt, um sie als Schwarze der etwas anderen Art zu beschämen, hat noch mehr Platz für "Perverse" aller Sorten. Zugleich richtete Meisner nämlich zum wiederholten Male seinen gestrengen Blick auch auf Homosexuelle.

Der Tatsache, dass es den einen Menschen in zwei Grundausstattungen gibt, nämlich als Mann und Frau, geht eine Botschaft aus, nämlich, dass der Mann auf die Frau hin geordnet ist und die Frau auf den Mann, dass sie sich in der Ehe gegenseitig ergänzen und in der Familie fruchtbar werden, sodass der Fortbestand der Menschheit damit gesichert ist. Homosexualität etwa ist in der Schöpfungsordnung nicht vorgesehen.

Erzbischof Joachim Meisner

Das Erzbistum Köln bestätigte im Anschluss an ein ominöses Referat Meisners in Budapest über Europa und seine Lebenswerte anlässlich einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Hanns-Seidel-Stiftung, dass der europäische Werteordner indirekt damit auch die Homosexualität verurteilt habe. Denn die - das ist ohnehin des Kardinals Dauererkenntnis, die er auch anderenorts gerne jederzeit direkt mitteilt - widerspreche der göttlichen Schöpfungsordnung. Schon 1998 hatte der Kardinaltugendwahrer Homosexualität als "Fehlform sexuellen Tuns" geoutet. Für den Fall einer Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe wollte Meisner zum Bundesverfassungsgericht gehen. In seinem Erzbistum versagte er die Erlaubnis zu katholischen Gottesdiensten für Homosexuelle.

Der Kölner Lesben- und Schwulentag e.V. (KLUST) zeigte Meisner nun an, weil er Homosexuelle mit Terroristen verglichen habe. Aber selbst Pater Norbert vom "Kloster zum guten Hirten" erstattete Anzeige gegen den Schwulengegner Meisner wegen Volksverhetzung und Diffamierung von Minderheiten. Einen guten Hirten scheint Meisner jedenfalls dringend nötig zu haben, wenn man dem Begründungsmuster seiner Tirade gegen die "Todeskeime" in unserer Gesellschaft nachspürt.

Des Kölner Erzbischofs "Eintopf-Theorie" wider die Todeskeime der Gesellschaft

Es fehlt in der europäischen Gegenwart der Bezugspunkt, den das Absolute - nämlich Gott - für diese Werte darstellt. Wenn nun aber die humanistischen Werte und Ideen Europas auf sich selbst gestellt sind und nicht mehr um diesen gemeinsamen Bezugspunkt, um diese Verbindung mit dem transzendenten Absoluten wissen, dann ist dies nicht einfach nur bedauerlich, sondern höchst gefährlich. Sie scheiden dann nämlich gleichsam auf natürliche Weise giftige Stoffe aus, die langsam das lebendige Gewebe unseres christlichen Abendlandes verseuchen und vergiften und schließlich zerstören, sodass die abendländische Gesellschaftsordnung kollabieren muss.... Unsere europäische Gegenwart trägt darum auf vielfältige Weise solche Todeskeime in sich, die den gesunden Organismus vergiften, ja zum Kollabieren kommen lassen.

Von welchem gesunden Organismus redet Meisner da? Von pädophilen Priestern? Von der verschwiemelten Sexualität in der katholischen Kirche, die den Trieb ihrer Würdenträger Gott, aber weder Frauen noch Männern zum Geschenk macht? Redet der Erzbischof von der heiligen Ehe, die nur im Vollzug der Fortpflanzung, nicht aber des Triebes ein Sakrament bleibt? Meint er die "Haushälterinnen-Konkubinate" hinter den Türen des Pfarrhauses? Oder sollte er vom Elend unehelicher Priesterkinder reden, die heute verleugnet werden und zu Zeiten von Urban II. ausgesetzt wurden, während ihre Mütter als Sklavinnen verkauft wurden?

Nein, von alledem redet Meisner nicht. Die Verteufelung des Triebs als Teil der dunkelsten Kirchengeschichte, einer Geschichte unsühnbarer Verletzungen menschlicher Würde und Vernunft, kommt in Meisners bornierter Epistel nicht vor. Stattdessen meditiert er über theo-physiologische Fragen, die schon in der Wortwahl so klebrig wie undelikat sind: "Kann der europäische Mensch aus eigener Kraft all diese Gifte ausschwitzen oder überwinden". Das Bild des europäischen Ausschwitzers ist an bitterer Komik schwer zu übertreffen, zudem doch gerade diese Kunst die erste Eignungsvoraussetzung der Zölibatäre zu sein scheint.

Meisners Rede ist einmal wieder zum ehesten geeignet, jenen unbiblischen Glauben zu provozieren, dass die unbewusste Abwehr latenter Homosexualität die Ächtung dieser Gruppen motiviert. Der Sturm der Empörung veranlasste den Kardinal nun seiner Rede eine beschwichtigende Interpretation nachzuschicken:

Misstrauisch hätte schon die Bemerkung stimmen müssen, dass ich beim Wort "Ausschwitzen" Homosexuelle nicht ausdrücklich erwähnt hätte. Warum wohl? Aus Feigheit? Das werfen mir selbst meine erbittertsten Gegner nicht vor. Könnte es nicht sein, dass ich das absichtlich getan hätte, weil ich nämlich der Auffassung bin, dass es eine geradezu abartige Idee wäre, irgendwelche Menschen 'auszuschwitzen'.

Doch das klärt längst nicht die dunklen Passagen der Kardinalspredigt zum europäischen Humanismus und der notwendigen Reevangelisierung:

Dazu gehört eine wesentliche Grundkategorie des Christentums, das sich darin eins weiß mit der gesamten "vormodernen" Menschheit, nämlich, dass im Sein des Menschen immer ein Sollen liegt, dass der Mensch nicht selbst aus Zweckmäßigkeitberechnungen Moral erfindet, sondern er Moral im Wesen der Dinge vorfindet.

Diese vormoderne Erkenntnis verbindet der Kardinal aber mit dem ausdrücklichen Wissen, dass Homosexualität in der Schöpfungsordnung nicht vorgesehen ist. Zumindest bleibt Meisners giftiges Gesellschaftsbild auch nach dem Dementi der Schwulenhatz durch die katholische Kirche also weiterhin auslegungsfähig. Wie darf man sich das überhaupt vorstellen, wenn ein Homosexueller die Moral nicht im Wesen der Dinge vorfindet? Sitzt da so ein armer Schwuler, der um seine diabolische Widernatürlichkeit weiß und sich eine neue zweckmäßige Moral "erfindet", um ein bisschen Lust zu haben? Immanuel Kants praktische Vernunft erfährt dabei eine originelle Wendung. Denn glaubt man solchen Theo-Sexuologen, dann darf man(n) eine Erektion nie zum Zweck machen, sondern nur als Mittel der Fortpflanzung begreifen.

Meisners Erfindung einer triebgesteuerten Moralzweckmäßigkeitstheorie - dieses scholastischen Overkills für theologische Ethikseminare - ist offensichtlich so erfahrungsgetränkt wie sein Wissen um die Schöpfungsordnung. Homosexualität widerspricht der Schöpfungsordnung. Das hat bereits Paulus als Bibel-Mainstream (Röm 1, 18-28) verkündet und dabei jeder Empirie spottend unterstellt, man sei für seine Sexualität selbst verantwortlich. Thomas von Aquin schloss sich dem an:

Jeder homosexuelle Akt ist gegen die Natur und widerspricht der rechten Vernunft, denn dabei sucht der Mensch sich in einer Weise geschlechtlich zu befriedigen, die die Möglichkeit der Fortpflanzung ausschließt.

Auch die nicht auf die Bibel eingeschworenen Nazis redeten permanent von Natürlichkeit, Reinheit und dem gesunden Volksempfinden, das dann so natürlich wie widernatürlich im "rosa Winkel" endete. Das Dogma von der "Natürlichkeit" ist seit je das wissenschaftsfeindliche Instrument gewesen, der Widernatürlichkeit des vorgeblich natürlichen Empfindens Tür und Tor zur Inquisition zu öffnen. "Natürlich" und "widernatürlich" sind zu oft missbrauchte Unwörter, die niemand mehr ungeahndet in den Mund nehmen sollte, zum wenigstens jene, die ihre eigene lebensfeindliche Tradition längst nicht entsorgt haben.

Die Moderne als Todeskeim

Meisners "Eintopf-Theorie" für "Todeskeime" aller Art macht überdeutlich, wie isoliert sich die höchsten Würdenträger dieser Kirche inzwischen in einer Welt fühlen müssen, die ihrem göttlich geleiteten Vermachtungsanspruch entglitten ist. Denn Meisners vormoderner Rundumschlag richtet sich nicht nur gegen Schwule und Lesben, sondern auch gegen "Wissenschaftsgläubigkeit" und einen Humanismus, der nicht mehr auf Gott verpflichtet ist. Selbst wenn nach Meisners Klarstellungsversuch Homosexuelle nicht diffamiert werden sollten, gilt doch zumindest für die ehrenwertesten Kardinaltugenden, dass sie ohne den Bezug zu Gott "Todeskeime" sind, die es nun von allen Europäern kräftig auszuschwitzen gilt.

Der Sprecher des Kölner Lesben- und Schwulenverband (LSVD), Frank Pohl, warf Meisner vor, zu den "billigsten politischen Mitteln" zu greifen, um die Position der deutschen Bischöfe zu verbessern. Man wolle innerhalb der katholischen Kirche "durch das Image von Hardlinern und mit kernigen Parolen" an Boden gewinnen. Rom liegt bekanntlich mit Meisner auf einer Linie, auch wenn man sich in der Diktion nicht ganz so vergreift wie jetzt der Kölner Sexualmoralist.

Papst Johannes Paul II. wollte noch letztes Jahr laut "La Repubblica" Homosexuellen den Zugang zum Priesterberuf verwehren - wobei sich die Frage stellt, wie lange man sich diese Exklusivität noch leisten kann. Anlässlich des Lebenspartnerschaftsgesetzes verstieg sich der oberste Hirte zu der Aussage, dass die Toleranz des Bösen etwas ganz anderes sei als die "Billigung oder Legalisierung des Bösen". Die Christenheit habe gegen die Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften Widerstand zu leisten:

Die Ehe ist heilig, während die homosexuellen Beziehungen gegen das natürliche Sittengesetz verstoßen.

Wenn die Ehe als unkontrollierte Fortpflanzungsagentur in einer Welt mit Millionen von Kindern, die jährlich an Unterernährung sterben, so natürlich wie heilig ist, bleibt nur noch die Option für "Widernatürlichkeit". Wenigstens einige der Meisnerschen "Todeskeime" könnten gerade die notwendige Dosis Gift sein, um diesen Globus nicht noch unerträglicher zu machen.