Das Horrorkabinett des Dr. Herold
Terrorfahndung bis zum Bruch des Grundgesetzes
"Bundesfahndungstage", Abriegelungen ganzer Städte, Täuschung und Manipulation der Bevölkerung, Spiele mit der Angst: Was die Spitzen bundesdeutscher Sicherheitsbehörden während der Zeit des RAF-Terrors an Fahndungsmethoden ersonnen und ausführen ließen, gleicht den Überlegungen eines Horrorkabinett. Allen voran Dr. Horst Herold, damals Leiter des BKA, dachten sich die Führungsgremien von Politik und Polizei die abstrusesten Aktionen aus. Bin hin zum Bruch des Grundgesetzes.
Als sei es ein Signal zum Aufbruch ins Uferlose gewesen, begann das Stuttgarter Innenministerium wenige Tage nachdem die CDU 1972 die baden-württembergischen Landtagswahlen mit 52,9 Prozent gewonnen hatte, eine Aktion, die bislang vor der Öffentlichkeit geheimgehalten wurde. Observationstrupps des LKA starteten zur Beobachtung eines Tübinger Rechtsanwalts, den sie der Unterstützung der damals noch "Baader-Meinhof-Bande" genannten RAF bezichtigten.
Doch nicht nur der Mann selber, auch seine Freunde gerieten in den Sog der Ermittlungen. Darunter eine Freundin des Anwalts, bei deren Observation die Beamten gegen das im Grundgesetz verankerte Trennungsgebot von Geheimdiensten und Polizei verstießen. Hand in Hand arbeiteten in diesem Fall Schlapphüte und LKA-Beamte zusammen.
Schlimmer noch: Die Kriminalbeamten waren dem Verfassungsschutz sogar unterstellt, ihm gegenüber also weisungsgebunden. Hier der Wortlaut des dem Autor vorliegenden, internen Schreibens (Die Namen der Betroffenen sind der TP-Redaktion bekannt): "Abt. III - SG, - Soko BM, Bundeskriminalamt, z. Z. München, den 21. Mai 1972. Betr.: Ermittlungsverfahren gegen RA XY, geb. 14. 3. 1940 in X, wohnh. in Tübingen, X-Str., wegen Verdachts der Unterstützung einer krim. Vereinigung u. a. Hier: Sporadische Observation vom 9. 5. bis 11. Mai 1972 in Stuttgart und Tübingen. a) RA XY, b) RA C, c) MM. Lage: Nach vertraulichen Angaben hatte die MM über RA XY Kontakt mit BAADER und ENSSLIN bekommen. Sie erhielt den Auftrag, eine geeignete Wohnung für die Bande in Stuttgart anzumieten. Von diesem Auftrag trat sie schließlich zurück und teilte den Entschluss dem RA XY mit.
Die Observation wurde bis zum 9. 5. 1972 durch das LfV Baden-Württemberg durchgeführt. Den Observationskräften waren Angehörige des LKA Baden-Württemberg zugeordnet. Die Einsatzleitung der kriminalpolizeilichen Observation lag in den Händen des LfV."
Zudem hatte sich die AG Kripo, eine Arbeitsgemeinschaft aller LKA-Chefs und der BKA-Leitung, eine Aktion "Rotlicht/Schranke" ausgedacht, bei der im Fall der Fahndung nach Terroristen allen Ernstes sämtliche Bahnschranken einer Stadt geschlossen sowie alle Ampeln zeitgleich auf Rot geschaltet werden sollten, um die Gesuchten an der weiteren Flucht zu hindern. Dabei nahmen die Teilnehmer der Runde auch das Steckenbleiben von Krankenwagen im Verkehr in Kauf. Erst als ihnen dämmerte, dass bei dem so entstandenen Chaos auch die Polizeifahrzeuge nicht mehr durchkommen würden, ließen sie von dem Gedanken ab.
Dafür ersann Horst Herold Mitte der 70-er Jahre ein Szenario, das möglicherweise auch in die Tat umgesetzt wurde. Mit Hilfe der Geheimdienste und der psychologischen Kriegsführung der Bundeswehr sollten Falschmeldungen über die RAF verbreitet werden, um Verunsicherung in die Bevölkerung zu tragen. Selbst an staatlich gelenkte Anschläge, deren Urheberschaft der RAF zugeordnet werden sollte, war gedacht worden. Herold zu den Teilnehmern der AG Kripo: "Das hat ein erhöhtes Gefühl der Eigenbedrohung bei der Bevölkerung zur Folge und erhöht die Akzeptanz für weitere polizeiliche Maßnahmen."