Das Ohr der NSA in der Europäischen Kommission
Angeblich ist das Verschlüsselungssystem der Kommission NSA-überprüft und sicher
Die französische Tageszeitung "Libération" ließ gestern die Bombe platzen: Die Europäische Kommission lässt regelmäßig von der US-amerikanischen Geheimdienstbehörde NSA ihre Verschlüsselungssysteme überprüfen. Der für die Verschlüsselungssysteme der Kommission zuständige europäische Beamte Desmond Perkins sagte: "Ich hatte immer sehr gute Kontakte mit der NSA in Washington. Sie überprüft für mich regelmäßig unsere (Verschlüsselungs-) Systeme, um zu sehen, ob sie gut abgesichert sind und ob sie gut gepflegt und korrekt benutzt werden."
Der 65-jährige britische Beamte ließ sich zu dieser Aussage vor dem nicht-ständigen Echelon-Untersuchungsausschuss am 6. Februar hinreißen. Perkins sollte über die Verschlüsselungssysteme aussagen, die von der Kommission benutzt werden, um mit ihren über 60 Außenstellen in Genf, Washington, Moskau oder Peking zu kommunizieren.
Auf Nachfragen versicherte Perkinsr, dass die NSA-Agenten es nicht geschafft hätten, innerhalb von zwei Wochen in die Verschlüsselungssysteme einzubrechen. Darüber sei er "sehr zufrieden". Die Frage ist nur, so die Libération, ob die US-amerikanischen Agenten im Erfolgsfall Perkins darüber auch informiert hätten. Beruhigend fügte er hinzu, dass es sich bei der von ihm behandelten Information nur um "sehr kurzfristiges politisches Zeug" handele.
Angesichts dessen, dass die Europäische Union sich auch mit Sicherheits- und Verteidigungsfragen befasst, scheint dies für Brüssel durchaus eine sehr ernste Affäre zu sein. Immerhin kümmert sich die EU schon lange nicht mehr nur um Agrarfragen, sondern auch um strategische Verhandlungen innerhalb der Welthandelsorganisation WTO oder um Kartellfragen, die US-amerikanische Unternehmen betreffen. (siehe Die Militarisierung Europas)
NSA würde ohnehin alles mitlesen
Die laxe Haltung von Perkins geht auf ein fatales Verhältnis zur amerikanischen Informationshoheit zurück: "Die Amerikaner lesen dank ihrer Satelliten alles. Es spielt keine Rolle, was hier passiert", sagte er vor dem Untersuchungsausschuss. Auf die Frage, warum die NSA engagiert worden war, antwortete er, "weil dort Verwandte von mir arbeiten. Das ist schlicht der Grund."
Offensichtlich ist der Wille der Kommission und des Europäischen Rates stärker, Informationen vor seinen eigenen Bürgern zurück zu halten, als vor dem Nato-Bündnispartner USA. In Sachen Informationsfreiheit legten Rat und Kommission einen restriktiven Vorschlag nach dem anderen auf den Verhandlungstisch: Alle greifen tief in die Bürgerrechte ein. (siehe Zur Lage der Informationsfreiheit in Europa)
Der Berichterstatter des Untersuchungsausschusses, der deutsche Sozialdemokrat Gerhard Schmid, nahm dies immerhin so ernst, dass er den Vorgesetzten von Perkins darüber informierte: Diese Stellungnahmen seien während einer öffentlichen Veranstaltung gemacht worden, die Kommission müsse sich auf "schwere Kritik" gefasst machen. Die Kommission versuchte die Angelegenheit herunter zu spielen und antwortete Gerhard Schmid, dass die Aussagen von Perkins nicht gleichzeitig bedeuteten, dass die NSA auch in Besitz der Verschlüsselungscodes wäre.
Der Libération liegt eine interne Notiz vom 6. Februar vor, aus der hervorgeht, dass die Kommission sich im höchsten Alarmzustand befindet. Notiert wurden folgende Fragen: Falls die für Verschlüsselung zuständige Person wußte, dass die Amerikaner die Kommunikation der Kommission abhören können, warum wurde dann nichts unternommen, um dies abzustellen? Warum wurde unsere Ausrüstung von der NSA anstatt von europäischen Behörden überprüft? Und schließlich: Wie werden die Mitgliedsstaaten reagieren?
Alles nur Missverständnis
In einer kurzen Stellungnahme wies die Kommission gestern die Vermutung zurück, Washington habe die Sicherheit ihre Kommunikationssystemes durchbrochen. "Dies war ein größeres Missverständnis", sagte ein Sprecher der Kommission der britischen Tagesezitung "The Guardian". "Das System wurde von der NSA nicht geknackt und die EU-Kommission öffnete ihre Systeme nicht gegenüber Dritten."
Nach Angaben des Kommissionssprechers habe Siemens, Herstellerin der Anlage, beim Kauf angegeben, dass die NSA bereits vergeblich versucht habe sie zu knacken - die Anlage wurde von der Kommission vor zehn Jahren installiert. Ein anderer Beamter sagte dem Guardian, "es gibt keine amerikanische Behörde, die mit der Überprüfung unserer Systeme beauftragt wurde. Die benutzten Codes werden alle 24 Stunden gewechselt, so dass das System jeden Tag erneut entschlüsselt werden müßte." Waren die regelmäßigen Besuche der NSA-Mitarbeiter in der Verschlüsselungszentrale der Kommission also reine Freundschaftsdienste?
Bei den zwei Verschlüsselungssystemen der Kommission handelte es sich laut Guardian um eines namens "Savil" für "Top-Secret"-Kommunikationen, sowie um eines namens "Kryptofax" für die "Geheim"-Dokumente. Die Beamten sagten zudem, dass die Kommission von Perkins Verwandtem bei der NSA wusste, bevor sie ihn 1976 einstellte. Perkins entschuldigte sich bei seinem Chef, in dem er behauptete, seine Aussagen seien verdreht worden.
Gegenüber Telepolis sagte ein Sicherheitsexperte der Bundesregierung, dass Savil ursprünglich zuerst im Vietnam-Krieg zum Einsatz kam und seitdem als sicher gilt. Savil werde heute noch in den Behörden eingesetzt. Angriffspunkte gäbe es dennoch direkt an den Geräten: Bei der Eingabe des Klartextes, sowie bei der Ausgabe des Klartextes. Hier können Wanzen den Klartext übermitteln, es reicht aber auch schon ein lockeres Kabel, dessen Abstrahlung über 400 bis 500 Meter weit noch eingefangen und analysiert werden kann. Um so etwas zu realisieren brauche man jedoch direkten Zugang zum Gerät.