Das Pentagon sucht verzweifelt nach "Stabilitätsoperationen" im Irak

Die Bush-Regierung scheint umzudenken, das Pentagon will sich vermehrt auf das bislang abgelehnte Nation Building konzentrieren und hat über USAID 1,3 Milliarden für entsprechende Konzepte und Programme für "10 strategische Städte" ausgeschrieben

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Die Konzeptionslosigkeit beim Nation Building im Irak scheint nun allmählich bei der Bush-Regierung angekommen zu sein. Ebenso planlos wie man im Irak einmarschiert ist und hoffte, dass dann alles von selbst mit dem Sturz von Hussein, der Aussicht auf Freiheit und reichlich fließenden Ölmilliarden gut werden, scheint man jetzt mit dem Druck auf Abzug der Truppen umzugehen. Klar ist jedoch, dass ein vollständiger schneller Abzug das Land und die Region vollends in einen Bürgerkrieg stürzen könnte. Klar ist aber auch, dass die schnellen militärischen Siege durch hochgerüstete Einsatztruppen keine Lösung darstellen, sondern erst der Anfang eines langsamen Prozesses sind, bei dem militärische Operationen keine primäre Rolle spielen. Im Weißen Haus hatte man sich das ganz anders vorgestellt.

Dass weder die Koalitionstruppen noch die irakische Armee oder Polizei die Städte kontrollieren können, zeigte die kurzzeitige Besetzung von Ramada nach der Irak-Rede von US-Präsident Bush, in der er den "vollständigen Sieg" verkündete. Die Aufständischen beschossen die in ihrem Stützpunkt eingeschlossenen US-Soldaten und hielten mehrere Stunden zu Hunderten die Hauptstraßen in der Stadt besetzt. Anschließen verschwanden sie wieder.

Fast jeden Tag sterben amerikanische Soldaten im Irak, die irakischen Sicherheitskräfte, Milizen, Aufständische, Terroristen und kriminelle Banden kämpfen um Einfluss. Die Lage ist chaotisch. Keiner weiß, wie viele Gruppen von Aufständischen und Terroristen es im Land eigentlich gibt und wie sie untereinander vernetzt oder gegeneinander aufgestellt sind. Einige Dutzend, mindesten 100 seien es im Irak, berichtete unlängst die New York Times. Der Widerstand ist nicht zentral in hierarchischen Gruppen organisiert, sondern flach und nur lose verbunden. Trifft man eine Zelle, so stört dies die Handlungsfähigkeit kaum. Oft weiß man auch gar, ob es die Gruppen überhaupt gibt, die Verantwortung für einen Anschlag oder eine Entführung übernehmen. Viele der Terrorgruppen werden al-Qaida zugerechnet, dann folgen die Gruppen, die Ansar al Sunna zugeordnet werden. Manche agieren in ganz Irak, manche nur lokal. Ihre Aktionen suchen nicht nur den Feind zu treffen, sondern auch Sympathisanten zu finden und Gelder aufzutreben. Neben den Gruppen, die mit terroristischen Mitteln vorgehen, gibt es aber noch die zahlreichen Milizen, die teilweise auch das Militär und die Polizei unterwandert haben und so ihren mitunter tödlichen Geschäften nachgehen.

Am 30.11., an dem Tag, als Bush die "Strategie für den Sieg im Irak" vorstellte, hat die US-Entwicklungshilfebehörde USAID, die auch für den wegen der Sicherheit und Korruption bestenfalls schleppend vorankommenden Wiederaufbau des Irak verantwortlich ist, eine Ausschreibung veröffentlicht. Dieses Mal geht es nicht um einen normalen Auftrag, es handelt sich eher um eine Art Hilferuf. Über eine Milliarde Dollar werden im Rahmen der Strategic City Stabilization Initiative (SCSI) über zwei Jahre investiert, um Konzepte und Realisierungen für ein "soziales und wirtschaftliches Stabilisierungsprogramm" für zehn Städte zu vergeben, die "von der US-Regierung als entscheidend betrachtet werden, den Widerstand im Irak zu besiegen". Zusätzlich kann die USAID weitere 300 Millionen US-Dollar für diesen Zweck vergeben.

Die Namen der zehn Städte werden nicht genannt. Zwei Tage zuvor wurde vom Pentagon, das offenbar und wenig verwunderlich zunehmend unter politischem Druck gerät, die Direktive "Military Support for Stability, Security, Transition, and Reconstruction (SSTR) Operations" herausgegeben, die "Stabilitätsoperationen" im Irak entwickeln und umsetzen soll. Darunter versteht das Pentagon:

Militärische und zivile Aktivitäten, die von Frieden bis zum Konflikt reichen, um eine Ordnung in Staaten oder Regionen herzustellen oder zu bewahren.

Nach dem Pentagon haben solche Stabilitätsoperationen Vorrang vor militärischen Einsätzen. Zudem sollen sie nun, das hätte man im Pentagon 2001 weit von sich gewesen, überall integriert werden, in jede Doktrin, bei allen Pentagon-Organisationen, in Übungen und bei der Planung. Der Zweck ist, eine Ordnung einzurichten, die die Durchsetzung von "US-Interessen und –Werten" erleichtert. Primäres Ziel ist, dies so schnell als möglich heimischen Kräften anzuvertrauen, die die Arbeit vor Ort leisten sollen. Aber es sollen auch alle anderen Kräfte von Einzelpersonen über Unternehmen bis hin zu amerikanischen, regionalen oder internationalen NGOs eingebunden werden. Zuständig für dieses Programm, das nicht nur den Irak umfassen soll, ist der für Politik verantwortliche Vizeverteidigungsminister Gordon England, aber auch alle anderen Pentagon-Abteilungen sind zur Kooperation verpflichtet und sollen Informationen und Vorschläge liefern.

Damit deutet sich eine Umorientierung der Politik im Weißen Haus an. 2003 wurde das 1993 eröffnete Institute for Peacekeeping der U.S. Army geschlossen. Damit wollte sich nicht nur das Pentagon oder Rumsfeld, sondern auch die gesamte Bush-Regierung von der Clinton-Zeit und den friedenssichernden Maßnahmen absetzen. Im Wahlkampf hatte damals Bush noch seine Haltung gegen seinen Konkurrenten Al Gore so verdeutlicht:

Er glaubt an Nation Building. Ich denke, die Rolle des Militärs besteht im Kämpfen und im Gewinnen von Kriegen und daher primär darin zu verhindern, dass Kriege überhaupt entstehen.

So gesehen stellt die Pentagon-Direktive ein Scheitern des politischen Ansatzes der Bush-Regierung dar, der auch dem Krieg gegen den globalen Terrorismus zugrunde lag.