Das Runde soll ins Eckige - aber nicht im digitalen Satellitenfernsehen

Bezahlfernsehen, ARD und die nächste Fußball-WM

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Eine furchtbare Vorstellung: Wir haben das Jahr 2002, und in Japan laufen Männer über den Rasen und jagen einem Ball hinterher. Die Welt starrt gespannt auf die Bildschirme - nur in Deutschland schaut niemand zu bei der Fußball-WM.

So ungefähr sah das Horrorszenario noch vor wenigen Wochen aus, als sich ARD und ZDF beharrlich weiteren Verhandlungen über die Fußball-Weltmeisterschaftsrechte 2002 mit Leo Kirch verweigerten. Zu teuer und gegenüber dem Gebührenzahler durch nichts zu rechtfertigen, hieß es in Intendantenkreisen, eine Meinung, der sich auch so einige Kritiker der öffentlich-rechtlichen Sender durchaus anschließen konnten.

Aber da hallte der Aufschrei der Empörung bereits durch die Republik. Und zwar so laut, dass manche Stimmen gar forderten, die jüngste Gebührenerhöhung zurückzunehmen. Kein Fußball, kein erhöhter Finanzbedarf, so die Rechnung. Als müssten wir ausschließlich deshalb mehr Geld bezahlen, weil alle paar Jahre überbezahlte Sportler gegen Bälle treten!

Wie dem auch sei - die Politik nahm sich des Fußballs an. Die Gegner setzten sich erneut an die Tische und wurden sich schließlich einig: für viel Geld dürfen ARD und ZDF die WM im Fernsehen übertragen, und zwar auf allen Verbreitungswegen. Über die gute alte Zimmerantenne, über Kabel und Satellit.

Alle hätten zufrieden sein können, wäre nicht plötzlich den ARD-Oberen die Tinte im Signier-Füller geronnen, als irgendjemandem im Vertragswerk die Klausel auffiel, dass die digitale Satelliten-Übertragung der Fußballspiele verschlüsselt werden muss. Na und? Man kann die WM doch im herkömmlichen, sprich analogen Fernsehen sehen. Und außerdem: was geht die Öffentlich-Rechtlichen das digitale Fernsehen an?

Nun, erstens steigt langsam aber sicher die Zahl der Zuschauer, die über einen digitalen Satelliten- oder Kabelempfänger verfügen. Die Verschlüsselung aber würde einen Teil der Zuschauer vom Empfang ausschließen. ARD und ZDF strahlen darüber hinaus bereits seit 1997 digital aus. Doch die Geschichte des digitalen Fernsehens in Deutschland ist die Geschichte eines heftigen Zanks, der 1996 begann, als Leo Kirch mit dem Start von DF1 das digitale Fernsehland besetzte. 1997 brach der Krieg aus, als die ARD zur IFA ebenfalls mit der digitalen Übertragung startete. Das weiß nur niemand, und so finden sämtliche Kampfhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Niemand kennt sich wirklich aus in dem sich krampfhaft entwickelnden Wirrwarr der Standards und Quasi-Standards. Wer soll sich da noch zurechtfinden?

Machtkampf der Set-Top-Boxen

Denn dass ARD und ZDF ihr normales Programm auch digital ausstrahlen, kostenlos, frei empfangbar und unverschlüsselt natürlich, hat von den Gebührenzahlern fast keiner gehört. Und das ist nicht ihre Schuld. Bisher war zumindest der ARD immer daran gelegen, bloß niemanden wissen zu lassen, dass Gebührengelder für die digitale Verbreitung ausgegeben werden.

Umstritten war - auch in der ARD - vor allem die Ausstrahlung von zwei Zusatzprogrammen, die über das bisher bekannte Fernsehen hinausgehen und Interaktion mit dem Zuschauer ermöglichen sollen. Zum Empfang dieser sogenannten Applikationen wird eine digitale Set-Top-Box mit einem bestimmten Betriebssystem benötigt - doch o weh, der Großteil der digitalen Zuschauer in Deutschland ist Pay-TV-Abonnent, und das kommt mit der d-box ins Haus. Die hat zwar auch ein Betriebssystem, aber - richtig - ein anderes. Mit der d-box kann man zwar bekanntermaßen fernsehen; nur nicht die Zusatzprogramme von ARD und ZDF. Die kann man nur mit einer OpenTV-Box empfangen, einem Betriebssystem, für das sich die öffentlich-rechtlichen Sender entschieden, um nicht von einem einzigen Marktanbieter, dem Hersteller der d-box, abhängig zu sein. Es herrscht also nicht nur Konkurrenz zwischen den Programmanbietern, sondern auch zwischen den Set-Top-Boxen, die den digitalen Empfang erst ermöglichen.

Fernsehen, einfaches, gutes, altes Fernsehen - immerhin - kann man mit allen Boxen. Dafür sorgt ein Standard namens DVB, Digital Video Broadcasting. Fernsehen also, ganz normales, wird im DVB-Standard ausgestrahlt. Und den verstehen alle. Aha! Wenn man fernsehen kann, dann sollte das mit dem Fußball doch geklärt sein.

Weit gefehlt! Denn die Öffentlich-Rechtlichen sollen sich verpflichten, den Fußball verschlüsselt auszustrahlen, so, wie Kirch das mit seinem Pay-TV-Programm praktiziert. Jeder Abonnent erhält mit seiner d-box auch eine Entschlüsselungskarte, eine sogenannte Smartcard. Bisher aber gibt es diese nur für die d-box. Theoretisch zwar ist es möglich, die Boxen mit anderen Betriebssystemen ebenfalls mit Zusatzkarten zu versorgen ... doch daran zeigte der d-box-Hersteller betaresearch bisher herzhaft wenig Interesse. Das heißt unter'm Strich: Nur unverschlüsseltes Fernsehen kann derzeit mit allen Boxen gesehen werden.

Der WM-Fußball aber nicht. Zwar können die d-box-Besitzer Kicken gucken, aber nicht die, die eine Open-TV-Box oder eine stinknormale DVB-Box zu Hause herumstehen haben. Und das sind schon ein paar. Nach einer "konservativen Schätzung" des ARD-Vorsitzende Fritz Pleitgen verfügen rund 250 000 bis 400 000 Haushalte nicht über die Möglichkeit, verschlüsselte digitale Daten auch wieder zu entschlüsseln. Kein Schlüssel, kein Fußball! Punkt.

Man könnte sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass maximal 400 000 Empfänger zur Fußball-WM 2002 dann eben leer ausgehen oder doch in die Kneipe nebenan umsiedeln müssen. Nur: ausgerechnet die ARD, die - wenn sie es überhaupt erwähnte - für ihr digitales Bouquet mit dem Claim warb "Nicht mehr fernsehen, sondern mehr vom Fernsehen" muss nun unter Umständen zusehen, wie sie mitverantwortlich zeichnet für schwarze Mattscheiben vor grünem Rasen, für weniger Fernsehen nämlich.

Und Kirch? Nun, ihm selber bleibt, unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten, gar nicht viel anderes übrig, als die verschlüsselte, digitale Ausstrahlung zu verlangen. Immerhin hat er für die europäischen Fernsehrechte an der WM 2002 und 2006 insgesamt 1,7 Milliarden Mark bezahlt. Eine rote Zahl mit vielen Nullen; und Kirch muss nun versuchen, das Komma durch den Rechte-Verkauf an Fernsehveranstalter langsam weiter nach links zu rücken. Aber digitale Daten machen schon längst nicht mehr halt an Ländergrenzen. ARD und ZDF sind digital in ganz Europa zu empfangen. Verkauft Kirch an diese, ohne die digitale Ausstrahlung zu begrenzen, sinken seine Chancen, in anderen europäischen Ländern noch mehr Geld für die Exklusivausstrahlung einzufahren.

Jetzt hat der Kirch-Konzern sich auch noch die WM-Fernsehrechte 2002 und 2006 für die Ausstrahlung in den USA gesichert. Zwar ist Fußball nicht der Megasport in den USA, aber es wird dennoch Geld in die Kassen des Kirch-Konzerns spülen.

Zusätzlich zu den 250 Millionen, die die Öffentlich-Rechtlichen bald überweisen. Am 9. Mai nämlich wurde nach monatelangem Gezerre endlich der Vertrag für die Übertragung von mindestens 24 Spielen der WM 2002 unterzeichnet. Für 2006 muss später verhandelt werden. Klar jedenfalls ist: Auf die digitale Ausstrahlung, so ist's jetzt druckreif, wird verzichtet.