Israels geheimer Krieg gegen den Internationalen Strafgerichtshof – und sein Scheitern

Netanjahu im September 2023 vor Vereinten Nationen in New York. Bild: noamgalai / Shutterstock.com

Guardian, +972 decken massive Kampagne auf. IStGH-Chefankläger und -Mitarbeiter wurden ausspioniert, verleumdet, mutmaßlich bedroht. Chronik eines Skandals.

Israel soll einen fast zehnjährigen "Krieg" gegen den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) geführt haben. Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Recherche des britischen Guardian, des israelischen Magazins +972 und des ebenfalls in Israel ansässigen Mediums Local Call.

Netanjahu "besessen" von Operation gegen IStGH

Danach sollen die israelischen Geheimdienste eingesetzt worden sein, um hochrangige IStGH-Mitarbeiter zu überwachen, ihre Kommunikation zu hacken, sie unter Druck zu setzen, zu verleumden und angeblich auch zu bedrohen, um die Ermittlungen des Gerichtshofs zu behindern.

Ein ehemaliger israelischer Geheimdienstmitarbeiter sagte laut Recherchen, das "gesamte militärische und politische Establishment" Israels habe die Gegenoffensive gegen den IStGH "als einen Krieg betrachtet, der geführt und gegen den Israel verteidigt werden muss. Der Vorgang wurde in militärischen Begriffen beschrieben."

Netanjahu hat sich sehr für die Geheimdienstoperationen gegen den Internationalen Strafgerichtshof interessiert und wurde von einer Geheimdienstquelle als "besessen" von abgefangenen Informationen über den Fall beschrieben.

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Die Recherchen können sich auf Interviews mit mehr als zwei Dutzend amtierenden und ehemaligen israelischen Geheimdienstoffizieren und Regierungsbeamten, hochrangigen IStGH-Vertretern, Diplomaten und Anwälten, die mit dem Fall und Israels Bemühungen, ihn zu unterminieren, vertraut sind.

Seit Palästina dem Gerichtshof im Januar 2015 beitrat, soll der "Krieg" begonnen worden sein. Der Beitritt wurde von israelischen Regierungsvertretern als "diplomatischer Terrorismus" bezeichnet.

Die damalige Chefanklägerin des Gerichtshofs, Fatou Bensouda, leitete kurz nach dem Beitritt Voruntersuchungen zur Lage in Palästina ein. Daraufhin sollen laut Guardian-Quellen, die mit dem IStGH-Vorgang vertraut sind, zwei Männer bei ihr Zuhause in Den Haag erschienen sein.

Sie übergaben ihr einen Umschlag mit Hunderten US-Dollar und einer Notiz mit einer israelischen Telefonnummer. Der Brief soll im Namen einer nicht benannten deutschen Frau übergeben worden sein.

Damit habe Israel der Chefanklägerin deutlich machen wollen, so die Quellen, dass man wisse, wo sie lebe. Der IStGH meldete den Vorfall den niederländischen Behörden.

Gehackte E-Mails und abgehörte Anrufe

Als später eine umfassende IStGH-Untersuchung drohte, zwischen 2019 und 2021, verschärfte Israel seine Kampagne. Der damalige Direktor des Auslandsgeheimdienstes Mossad, Yossi Cohen, zu jener Zeit enger Netanjahu-Vertrauter, sollte den Druck auf den Gerichtshof und insbesondere auf Bensouda verstärken.

Man hatte bereits über die Jahre zuvor bei geheimen Treffen von hochrangigen israelischen Delegationen mit Vertretern des IStGH versucht, Einfluss zu nehmen, um zu erreichen, dass die Chefanklägerin den Fall nicht weiter verfolgt. Dabei konnte Israel auf gehackte E-Mails und abgehörte Anrufe zurückgreifen.

Fünf Quellen, die mit den Aktivitäten des israelischen Geheimdienstes vertraut sind, sagten den Journalisten vom Guardian und +972, dass dieser routinemäßig die Telefongespräche von Bensouda und ihren Mitarbeitern mit Palästinensern ausspioniert.

60 Personen unter verdeckter Überwachung

Insgesamt sollen 60 Personen überwacht worden sein, zur einen Hälfte Palästinenser, zur anderen Hälfte Vertreter aus anderen Ländern, darunter UN-Beamte und IStGH-Mitarbeiter.

Eine der Quellen erklärte, der israelische Inlandsgeheimdienst Shin Bet habe sogar Pegasus-Spähsoftware auf den Telefonen mehrerer palästinensischer Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie zweier hoher Beamter der Palästinensischen Autonomiebehörde installiert.

Auf diese Weise wollte man herausfinden, um welche spezifischen Vorfälle es bei einer zukünftigen Strafverfolgung durch den IStGH gehen könnte, um den israelischen Ermittlungsbehörden die Möglichkeit zu geben, in diesen Fällen "rückwirkend Ermittlungen einzuleiten".

Der IStGH befasst sich im Unterschied zum Internationalen Gerichtshof, der ebenfalls in Den Haag sitzt, mit Verbrechen von Einzelpersonen, aber nur, wenn sie nicht bereits Gegenstand von ernsthaften Ermittlungen und Strafverfahren vor anderen Gerichten sind. An diesem Punkt setzte die israelische Führung an, um den IStGH zum Einlenken zu bewegen.