Russland dominiert nach Charkiw-Offensive zunehmend die Gefechtsfelder in der Ukraine
- Russland dominiert nach Charkiw-Offensive zunehmend die Gefechtsfelder in der Ukraine
- Russische Rüstungsindustrie überrascht Experten
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Russlands Armee zwingt Ukraine in die Defensive. Angriff bei Charkiw stockt, an anderen Abschnitten ist Kiew auf dem Rückzug. Steht eine Ausweitung der Front bevor?
Der Vormarsch der russischen Streitkräfte in der Region Charkiw ist zum Stillstand gekommen. Selbst in der schwer umkämpften Stadt Woltschansk konnten ukrainische Truppen den östlichen Teil des Stadtzentrums und Stellungen nördlich von Lypzi zurückerobern.
Russische Offensive in Charkiw: Ukrainische Truppen unter Druck
Im östlichen Teil des Stadtzentrums von Woltschansk scheinen die ukrainischen Truppen nun jedoch operativ eingekesselt zu sein, da russische Verbände die Kontrolle über die einzige verbliebene Brücke über den Fluss Wowtscha erlangt haben. Der Nachschub für die ukrainischen Soldaten muss jetzt über den Fluss erfolgen.
Die ukrainischen Streitkräfte haben offenbar zumindest einen Teil ihrer strategischen Reserven aus Kiew für den Gegenangriff bei Charkiw eingesetzt. Ferner scheinen sie Truppen aus anderen Frontabschnitten zusammengezogen zu haben. So sollen Truppenverbände aus der Region Cherson in Richtung Charkiw abgezogen worden sein.
Mit spürbaren Folgen: Die ukrainischen Streitkräfte hatten seit Herbst letzten Jahres einen kleinen Brückenkopf über den Dnepr halten können, Zentrum dieser Militäraktion war das Städtchen Krynky. Ohne belastbare Logistik waren dort monatelang Kontingente von Marinesoldaten stationiert.
Inzwischen haben die ukrainischen Streitkräfte das Dorf nach monatelangen, aussichtslosen Kämpfen geräumt. Bei den Kämpfen hat die Ukraine einen spürbaren Teil ihrer Artillerie verloren. Diese sollte eigentlich die Operation am linken (östlichen) Ufer des Dnepr unterstützen, fiel aber zu einem großen Teil dem russischen Gegenbatteriefeuer zum Opfer.
Die Lage bei Cherson bleibt jedoch unübersichtlich, so sollen die ukrainischen Streitkräfte jetzt nur wenige hundert Meter westlich von Krynky eine neue Landungsoperation durchgeführt und wieder einen kleinen Teil des östlichen Dnepr-Ufers besetzt haben.
Russlands massive Truppenverlegung nach Charkiw: Experten beobachten große Konvois
Auch Russland scheint große Mengen an Material in Richtung Charkow zu transportieren. Die brasilianische Militärexpertin Patricia Marins kommentiert dies auf X:
Die Russen verlegen massiv Ausrüstung und Truppen an die neue Front in Charkow. Seit 2022 haben wir keine Konvois mehr gesehen, wie sie in den letzten Tagen auf dem Weg nach Charkow beobachtet wurden.
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Es sei nochmals daran erinnert, dass nach Einschätzung des Autors das Ziel der Operation Charkiw nicht die Eroberung von Landmasse ist, sondern die Überdehnung der militärischen Fähigkeiten der Ukraine unter den besonderen Bedingungen eines Abnutzungskrieges, wie hier ausführlich beschrieben.
An fast allen anderen Frontabschnitten scheint Russland seine Offensivbemühungen verstärkt zu haben, an den südlichen Frontabschnitten rücken russische Streitkräfte vor und können beachtliche Erfolge vermelden.
Russlands Geländegewinne im Süden: Ukrainische Sommeroffensive zurückgeschlagen
Am bemerkenswertesten ist wohl die Rückeroberung von Klischtschijiwka und Andriiwka durch die russischen Truppen. Die Einnahme des Dorfes Klischtschijiwka war einer der größten Erfolge der ukrainischen Sommeroffensive. Das Dorf liegt auf einem Bergrücken. In Richtung Bachmut fällt das Gelände ab.
Trotz topographischer Vorteile aufseiten der ukrainischen Streitkräfte gelang es den russischen Truppen, ein weiteres Vordringen der ukrainischen Truppen zu verhindern. Ukrainische Pioniere errichteten nordwestlich des Dorfes auf einer Anhöhe umfangreiche Verteidigungsanlagen. Nach monatelangen Kämpfen gelang es den russischen Truppen, sowohl das Dorf als auch diese Befestigungen einzunehmen.
Damit ist die Lage für die ukrainischen Streitkräfte östlich des Siwerskyj-Donez-Donbas-Kanals äußerst schwierig geworden. Mit der Eroberung von Klischtschijiwka gelang es den russischen Streitkräften nicht nur, in diesem Abschnitt die stärkste Verteidigungsanlage westlich des Kanals zu erobern, sondern mit dem Vorrücken der russischen Truppen westlich von Iwaniwske wurden die ukrainischen Verteidiger von festen Übergängen über den Kanal und damit von einer leistungsfähigen Nachschublogistik abgeschnitten.
Bei Donezk gelang die Einnahme von Netailowe. Weiter südlich im Abschnitt Zaporizhzhya konnten die russischen Streitkräfte weitere Geländegewinne in den Dörfern Staromajorske und im angrenzenden Urozhaine melden. Beide Dörfer waren während der gescheiterten Sommeroffensive ebenfalls von Kiewer Truppen erobert worden.
Damit sind fast alle von der ukrainischen Armee erzielten Gewinne von russischen Truppen zurückerobert worden. Auch im hart umkämpften Robotyne konnten russische Truppen das Dorf nun vollständig zurückerobern.
Russlands unkonventionelle Taktik: Mit Geschwindigkeit gegen Drohnenbedrohung
Eine auffällige Entwicklung auf russischer Seite ist der vermehrte Einsatz von gänzlich ungeschützten Mini-Geländewagen und Motorrädern. Insbesondere der chinesische Desertcross scheint für die russischen Streitkräfte eine immer wichtigere Rolle zu spielen. Telepolis berichtete bereits frühzeitig über die Beschaffung durch die russischen Streitkräfte.
Mittlerweile sollen über 2.000 der leichten und schnellen Fahrzeuge in der Ukraine im Einsatz sein. Wurde das Fahrzeug anfangs hauptsächlich für den rückwärtigen Truppentransport eingesetzt, so ist mittlerweile ein verstärkter Einsatz im Sturmangriff zu beobachten.
In der neuesten Version soll der offene Geländewagen eine Geschwindigkeit von 150 km/h erreichen. Und genau diese Geschwindigkeit ist der Grund für den vermehrten Einsatz: Die größte Bedrohung für russische Truppen ist der massenhafte Einsatz von kleinen FPV-Drohnen.
Diese haben jedoch Schwierigkeiten, ihre Ziele zu treffen, wenn sie sich mit einer Geschwindigkeit von über 100 km/h bewegen. Als Antwort auf die Bedrohung durch FPV setzt die russische Militärführung daher derzeit auf Geschwindigkeit statt auf Fahrzeugschutz.
Deutschlands Luftverteidigungsinitiative: Produktionsengpässe bremsen Unterstützung für Ukraine
Schlechte Nachrichten gibt es für die ukrainische Führung im Bereich der Luftverteidigung. Die von Deutschland groß angekündigte Luftverteidigungsinitiative scheint bisher nicht von Erfolg gekrönt zu sein. Deutschland bemüht sich, primär Patriot-Systeme und Raketen für die Ukraine zu beschaffen. Doch die Produktionsraten der Waffe sind so gering, dass die anvisierten Länder befürchten, nicht schnell genug Ersatz von der US-Rüstungsindustrie zu bekommen, so Fabian Hoffmann in einem Artikel der Springer-Publikation Politico:
Außerdem sind die Länder nicht bereit, die Schwächung ihrer eigenen Luftverteidigung in Kauf zu nehmen, die notwendig wäre, um die Lieferungen an die Ukraine zu ermöglichen, so Fabian Hoffmann, Forscher für Raketentechnologie an der Universität Oslo. "Deutschland gerät durch seine Unterstützung der Ukraine in eine große Fähigkeitslücke", so Hoffmann. "Die Bestellzeiten für Patriot-Batterien werden immer länger."
Durch die häppchenweise Lieferung von Flugabwehrsystemen an die Ukraine kann diese von Russland sukzessive bekämpft werden, ohne dass die ukrainischen Streitkräfte die notwendige Massierung zur Bekämpfung russischer Kampfflugzeuge erreichen können.
Die Folgen sind zum einen eine Entmilitarisierung der Nato-Staaten, ohne auf dem Schlachtfeld in der Ukraine etwas bewirken zu können. Zum anderen bedeutet dies, dass russische Raketen und billige Einwegdrohnen zunehmend die kritische Infrastruktur der Ukraine zerstören können.
Russlands Angriffe auf kritische Infrastruktur: Ukraine vor großen Herausforderungen
Das hat schlimmste Folgen für die ukrainischen Truppen, deren Regenerationsfähigkeit dadurch extrem gestört wird. Die Energieinfrastruktur wird weiterhin systematisch zerstört, Reparaturbemühungen werden zunichtegemacht. Trotz zunehmend kleinteiliger Produktion auch mit Notstromaggregaten wird eine ausreichende militärische Produktion dadurch erheblich erschwert. Mittlerweile sollen nach ukrainischen Angaben 40 Prozent aller Kraftwerke in der Ukraine zerstört sein.
Auch die für die Kriegslogistik so wichtige Eisenbahninfrastruktur wird durch russische Langstreckenwaffen systematisch funktionsunfähig gemacht. Die fehlende Luftabwehr hat zudem zu einem dramatischen Rückgang der Abfangquoten geführt. So führt der Kyiv Independent aus:
In den letzten sechs Monaten wurden rund 46 Prozent der Raketen abgefangen, gegenüber 73 Prozent in den vorangegangenen sechs Monaten. Im letzten Monat wurden 30 Prozent der Raketen abgefangen. Auch die russischen Drohnenangriffe von Shahed-Drohnen haben sich in den letzten sechs Monaten fast verdoppelt.
In einem Abnutzungskrieg sind das Indikatoren für eine baldige Niederlage.