Das Schwert der Erkenntnis
"Xenoblade Chronicles" von Nintendo für die Wii
Epische Rollenspiele sind eine Ausnahmeerscheinung auf der Wii. Nintendos Xenoblade Chronicles steht wie sein Director Tetsuya Takahashi in der Tradition der großen JRPGs (japanische Rollenspiele) der neunziger Jahre. Spielerisch orientiert es sich dabei eher an modernen, aktionsreicheren Titeln.
Tetsuya Takashi, der Director von „Xenoblad Chronicles“ und Chef der Entwicklerfirma Monolith Soft, hat - angefangen als Grafiker - an vielen der großen japanischen Rollenspielen mitgearbeitet - darunter Chrono Trigger, dem vierten bis siebten Teil der "Final-Fantasie"-Serie und den "Xenosaga"-Titeln. So verwundert es wenig, dass die Hintergrundgeschichte von „Xenoblade Chronicles“ viele Klischees enthält:
Shulk muss erleben, wie seine Heimat von den feindlichen Mechons angegriffen wird. Der elternlose Junge hat die Gabe das mystische Schwert Monado zu schwingen. Mit diesem schlug einst Dunban, der Held seiner Heimat, eine Invasion der Mechons zurück. Doch forderte der stete Einsatz des Schwerts seinen Tribut: Dunban ist nicht mehr in der Lage seinen rechten Arm oder gar das Schwert zu benutzen.
Neben dem Schwert verbindet Fiora die beiden Figuren. Sie ist Dunbans Schwester und seit ihrer Kindheit mit Shulk befreundet. Sie wird zu Beginn der Geschichte zum Opfer der Mechons und damit zu Shulks Inspiration im Kampf gegen die übermächtigen Feinde.
Die Heimat der Helden ist nicht etwa ein Planet, sondern der Gigant Bionis, der im ewigen Duell mit seinem Widersacher Mechonis erstarrt ist und deren auf ihnen lebenden Bewohner den Kampf zwischen menschlichem Leben und mechanischer Technik weiter führen. Hinzu kommen noch eine niedliche Händlerrasse und der unverzichtbare, erfahrene ältere Kämpfer. Figuren, Setting und Geschichte könnten aus den besten Zeiten der JRPGs stammen.
Eine inhaltliche Tugend der früheren Games, die „Xenoblade Chronicles“ wiederbelebt, ist die große, offene Welt, die dem Spieler zumindest eine gefühlte Freiheit gibt. In den letzten Jahren, in denen vor allem Actionspiele sich stärker vom linearen Verlauf verabschiedeten und „Open World“ zum Konzept machten, wurden viele japanische Rollenspiele, immer geradliniger. Das manifestiert sich besonders an der „Final-Fantasy“-Serie. Der siebte Teil, der wohl zu den besten und fesselndsten Videospielen gehört, lud den Spieler zum Erkunden der Umgebung ein. Er musste das nächste Ziel finden. Gleichzeitig kehrte er auf der Suche nach besonderen Fähigkeiten zu bereits besuchten Regionen zurück.
Völlig anders kommt das zuletzt erschienene Final Fantasy XIII daher, in dem der Spieler sich im Vergleich wie auf Schienen bewegt. Die Landschaft wirkt zwar offen, der zugängliche Bereich besteht aber überwiegend aus vorgegebenen Wegen, die linear durch einen Teilbereich zum nächsten führen. Lediglich im letzten Spieldrittel gibt es einen relativ offenen Bereich, den der Spieler aber im Endspurt zum Finale bereits wieder verlässt.
Die Welt von „Xenoblad Chronicles“ ist im wahrsten Sinne des Wortes gigantisch: Der Titan Bionis als Setting besteht aus unterschiedlichen Regionen mit Wiesen, Wüsten und Seenlandschaften. Zu Beginn erreichen die Protagonisten nur die Umgebung ihrer Heimatstadt. Im weiteren Verlauf erkunden sie stets neue Regionen, dürfen aber jederzeit zu besuchten Gebieten zurückkehren. Die Handlung dient dabei als roter Faden, der den Spieler zum nächsten Ereignis in ein neues Gebiet schickt. Dabei darf jeder selbst entscheiden, ob er möglichst schnell voran schreitet oder sich Zeit nimmt, die letzten Ecken mit verborgenen Schätzen und Aufgaben zu entdecken.
Überall warten Figuren mit optionalen Missionen. Diese erinnern größtenteils an die typischen Quests von Online-Rollenspielen. Meist sollen die Helden eine bestimmte Anzahl Monster besiegen, Gegenstände suchen oder einen besonderen, stärkeren Gegner bezwingen. Darüber hinaus gibt es Missionsserien, die mehr oder weniger umfangreiche Nebengeschichten erzählen und einzelne Figuren charakterisieren. Als Belohnung winken Geld, Ausrüstung und natürlich Erfahrungspunkte, die mit der Zeit die Eigenschaften der Figuren stärken. Wie in nahezu allen Rollenspielen steigt der Level der Figuren durch Kämpfe und sie lernen mit der Zeit neue Fähigkeiten. Als materieller Bonus winkt nach jedem Kampf eine Schatzkiste. Neben den normalen Truhen, darf sich der Spieler über die seltenen, schon optisch edleren Kisten freuen, die außergewöhnliche Ausrüstung enthalten.
Erledigte Aufgaben belohnt das Spiel sofort. Das oft nervige Pendeln zwischen Auftraggebern und Monstern entfällt somit, sofern Quests nicht aufeinander aufbauen. Das ist eines der Beispiele für Stellen, an denen die Entwickler dem Komfort Vorzug vor Realitätsnähe geben. Den meisten Gamern wird das gefallen, lediglich einige Hardcore-Rollenspieler enttäuschen.
Auch das Reisen ist nur während des Erkundens zeitraubend und potenziell gefährlich. Bei der Rückkehr zu bereits besuchten Regionen helfen Reisepunkte. Hat der Spieler einen dieser Markierungen entdeckt, darf er jederzeit über die Karte die Gruppe direkt und gefahrlos dorthin zurück bringen.
Ebenso bequem erfolgt der Wechsel zwischen Tag und Nacht. Bestimmte Figuren und Monster sind nicht rund um die Uhr vorhanden. Im üblichen Verlauf wechseln sich die Tageszeiten fließend ab, aber das Menü ermöglicht jederzeit den manuellen Wechsel und erspart mehr oder weniger sinnloses Umherlaufen zum Voranschreiten der virtuellen Zeit.
Beim Erkunden der Landschaft lauern freilich überall Monster, die den Helden potenziell gefährlich werden. Zufallsbegegnungen hat „Xeonbolade Chronicles“ glücklicherweise nicht aus den Neunzigern herüber gerettet, sondern lehnt sich an Online-Rollenspiele oder Titel wie „Final Fantasy XII“ oder „White Knight Chronicles“ (vgl 32285) an. Die Gegner sind in der Landschaft und auf der Minikarte sichtbar. Visiert der Spieler einen Gegner an, erkennt er dessen Stärke und Angriffslust.
Nicht alle, aber die meisten Wesen sind aggressiv. Viele greifen an, sobald sie die Heldengruppe sehen, andere orientieren sich nach dem Gehör, was eine andere Vorgehensweise beim Vorbeischleichen erfordert. Vereinzelte Wesen reagieren auf den Einsatz magischer Fähigkeiten, was Kämpfe in deren Nähe erschwert.
Immer wieder treffen die Helden auf ungleich stärkere Monster. So warten bereits am Knie von Bionis, das die Gruppe sehr früh mit einem Level von etwa 10 erreicht, Monster deren Level jenseits der 70 liegt. Diese kann sie freilich zunächst nicht besiegen, sondern muss sich an ihnen vorbei schleichen. Teils müssen die Kämpfer auch ebenbürtige Gegner, die sie für Neben-Quests benötigen, von stärkeren weg locken. So darf der Spieler fast nie unvorsichtig durch eine vermeintlich sichere Gegend schlendern, sondern muss stets ein Auge auf die Monster der Umgebung haben.
Die Kämpfe laufen in Echtzeit ab. Bis zu drei Figuren kämpfen gleichzeitig. Der Spieler steuert nur den zuvor ausgewählten Anführer. Anfangs laufen die Auseinandersetzung als simple Mischung aus dem automatischen, normalen Angriff und dem Einsatz spezieller Fähigkeiten ab. Relativ früh lernt der Spieler jedoch, wie Attacken kombiniert werden und muss diese Möglichkeit bald nutzen. So sind beispielsweise die Mechons weitgehend immun gegen normale Waffen. Stolpern sie jedoch, sind sie ebenso verwundbar wie herkömmliche Gegner. Dafür müssen zwei Kämpfer ihre Angriffe verketten. Je nachdem, wen der Spieler steuert, eröffnet er die Kombo oder reagiert auf die Eröffnung mit der passenden Ergänzung.
Die Mitkämpfer handeln weitgehend clever und reagieren ihrerseits auf Kombinationsmöglichkeiten, heilen geschwächte Gruppenmitglieder und schläfern überzählige Gegner vorübergehend ein. In den aktionsgeladenen Scharmützeln muss sich der Spieler somit nur auf seine Fähigkeiten konzentrieren. Dabei spielt auch die relative Position zum Monster eine Rolle: Einige Attacken sind im Rücken des Gegners besonders effektiv oder haben von der Seite eine zusätzliche Wirkung.
Als Ausnahme der in Echtzeit ablaufenden Kämpfe, halten besondere Angriffsketten den Spielverlauf an und ermöglichen dem Spieler für die beteiligten Figuren Fähigkeiten auszuwählen, die diese nacheinander ausführen und so entsprechende starke Kettenreaktionen zu erreichen.
Gelegentlich gibt es eine Form von Quick-Time-Events innerhalb der Kämpfe. Durch perfektes Timing verbessert sich damit die Harmonie der Gruppenmitglieder, was sich positiv auf die Zusammenarbeit in späteren Kämpfen auswirkt. In Auseinandersetzung mit stärkeren Gegnern kommt zudem eine Besonderheit des Monados zum Tragen: Das Schwert beschert Shulk gelegentlich Visionen, in denen er starke Attacken vorher sieht. Diese kann er dank der Vorahnung verhindern, indem er rechtzeitig passend reagiert.
Das Kampfsystem verbindet diverse Elemente zu einer durchweg interessanten Mischung. Dank der unterschiedlichen Angriffe gegen verschiedene Monster, den verketteten Attacken und schließlich den Quick-Time-Events und Visionen, erreichen die Echtzeitkämpfe bald eine recht hohe Komplexität, in die der Spieler aber sanft innerhalb der ersten Spielstunden hinein wächst.
Die Steuerung ist durchweg eingängig. Die Bewegungssensoren der Wii Mote kommen nicht zum Einsatz. Am besten eignen sich der Classic Controller oder der Classic Controller Pro, den Nintendo wie bei Monster Hunter Tri auch in einer Special Edition im Bundle verkauft. Die Steuerung mit Wii Mote und Nunchuk ist ebenso möglich, aber weniger komfortabel.
Die Grafik gehört vielleicht zu den schwächsten Punkten von „Xenoblade Chronicles“. Das fehlende HD stört deutlich mehr als bei Titeln wie „Super Mario Galaxy“ (vgl 32918). Teils wirkt das Spiel als sei es eigentlich für eine HD-Konsole entwickelt und erst später den Kompromissen für die Wii-Grafik zum Opfer gefallen, also eher herunter gerechnet als optimiert. Zum Glück lenkt das aktionsgeladene Geschehen recht schnell von den Mängeln ab. Der Soundtrack ist sehr typisch für ein JRPG, dynamisch, angenehm und gut gelungen. Die sich zu oft wiederholenden Kommentare der Helden während der Kämpfe sind ein leider weit verbreitetes Rollenspiel-Übel.
„Xenoblade Chronicles“ ist das beste JRPG seit langer Zeit und kann sich durchaus mit den Großen des Genres messen. Es verbindet alte Tugenden mit neuen Möglichkeiten und ist vor allem dauerhaft fesselnd. Das Kampfsystem ist aktionsreich, aber dennoch komplex. Die Hauptgeschichte entwickelt sich interessanter als anfangs zu vermuten wäre. Beinahe wichtiger ist aber das Drumherum: Es gibt hunderte Side Quests, Kollektionen und ein Handwerkssystem zum Schmieden von Juwelen, deren Einsatz die Ausrüstung verbessert. Die Spielzeit sollte – je nach Herangehensweise – im hohen zweistelligen Stundenbereich liegen. Die stete Entwicklung der Fähigkeiten und Talentbäume sowie das Suchen und Finden verbesserter Gegenstände, runden das Bild des herausragenden epischen Rollenspiels ab.