Das Transformationsgeschäft mit der Ukraine

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Das Oakland-Institut hat 2014 im oben zitierten Bericht – sowie später im Zusammenhang mit einer "unternehmerischen Übernahme" des ukrainischen Agrarsektors – bereits auf Artikel 404 des EU-Assoziierungsabkommen hingewiesen, welcher darauf abzielte, das ukrainische Anbauverbot gentechnisch veränderter Lebensmittel (GMOs) aufzulösen.

Ende Oktober 2022 kündigte das ukrainische Ministerium an, die GMO-Gesetzgebung einer Generalüberholung zu unterziehen. Das neue Gesetz sieht eine Angleichung an die Standards der EU vor.

Diese hatte ihrerseits 2021 eine Lockerung der Gesetzgebung in Bezug auf gentechnisch veränderte Pflanzen angekündigt. Die Biotechnologie-Lobby argumentiert damit, dass GMOs eine "nachhaltige" Alternative zur konventionellen Landwirtschaft darstellen.

Das gilt besonders, aber nicht nur, für die Dürre-geplagten Länder Afrikas: Wie das Agrar-Nachrichtenportal latifundist im Oktober berichtete, zeigen sich auch Vertreter des Bayer-Konzerns in der Ukraine gegenüber einer Liberalisierung der Gesetzgebung bereits aufgeschlossen.

Privatisierung, Deregulierung und der mutmaßliche Umbau des Agrarsektors sind nicht die einzige Transformation, die der Ukraine bevorsteht – und die Ukraine nicht das erste Land, dessen Transformation im Zeichen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen steht.

Mit der App Diia ("der Staat und ich") hat die Ukraine 2020 einen gewaltigen Schritt in Richtung dieser Transformation unternommen. Die App erfüllt die inzwischen weltweit verfolgte Vision eines digitalen Staatsapparats inklusive digitaler Identität und digitalem Geld. Blackrock-CEO Fink hatte im März 2022 bereits angekündigt, dass der Krieg sich positiv auf das Projekt der digitalen Währung auswirken wird.

Ein in die Zukunft gerichtetes Werbevideo, das zur Vorstellung der Diia-App beim Davoser Treff des Weltwirtschaftsforums im Mai 2022 gezeigt wurde, bestätigt die Befürchtungen mancher, dass sich hinter der Fassade von Fortschritt und Bequemlichkeit der UN-konformen Smart Cities eine technokratisch-totalitaristische Gesellschaft verbirgt. Das Szenario:

Die Geschichte der neuen Ukraine wird auf der ganzen Welt studiert, weil die Ukraine das digitalste und bequemste Land der Welt wurde. […] wir waren das erste Land, das das Papiergeld abgeschafft hat. […] Die ukrainischen Gerichte werden von künstlicher Intelligenz gesteuert, und alle notariellen Urkunden werden online erstellt. […] Tapfere Militärs und Zivilisten erhalten mit modernen Fernüberwachungs- und E-Health-Systemen eine hochwertige Behandlung. […]

Die ukrainische Regierung ist digital, mehr wie ein IT-Unternehmen in Bezug auf die Effizienz der Umsetzung von Entscheidungen. [...] Die Ukraine ist am freiesten und digitalsten, weil internationale Partner und die weltweit führenden Technologieunternehmen […] sich zusammengeschlossen haben, um der Ukraine zu helfen, sich durch die Digitalisierung zu erholen und gemeinsam eine neue Ukraine aufzubauen.

Diia-Werbevideo

Die US-Entwicklungbehörde USAID, die sich rühmt, das Projekt seit der Gründung des ukrainischen Ministeriums für Digitale Transformation 2019 finanziell zu unterstützen, versprach Mitte Januar, die App in weitere Länder zu tragen.

Der ukrainische Digitalminister Mykhailo Fedorov ergänzte Anfang Februar, dass "mehr als fünf Länder" interessiert seien. Estland ist schon einmal nicht darunter, denn das macht mit der Diia-Kopie mRiik bereits eigene Gehversuche.

Dass die Entwicklungsbehörde USAID nicht nur Hilfe zur Selbsthilfe leistet, sondern proaktiv auf eine konkrete Gesellschaftsform hinarbeitet, zeigt sich für kritische Beobachter zum einen in der gemeinsam mit der UN gegründeten "Better Than Cash Alliance" um Bill Gates und Mastercard, zum anderen in der langen Tradition, die USAID mit der entwicklungspolitischen Strategie der USA verknüpft.

Wie Telepolis an anderer Stelle herausgearbeitet hat, ist diese Strategie nicht ohne die strukturellen Krisen des Kapitalismus und dessen Wettbewerb mit alternativen Systemen zu erklären. Und zurückverfolgen lässt sie sich bis zum viel zitierten Vorbild des ukrainischen Wiederaufbaus: dem Marshallplan.