Das Ungleichgewicht der Informationen - Information Inequality
Ein Interview mit Herbert I. Schiller
Herbert Schiller ist ein Kritiker mit klarem politischem und soziologischem Blick auf Medienfragen. Er war Professor für Kommunikation an der University of California in San Diego und ist mit "Mass Communications and American Empire" und anderen Werken über den amerikanischen Kulturimperialismus bekannt geworden. Man kann Schiller als Vermittler zwischen der US-aussenpolitischen Medienkritik eines Noam Chomsky und den konservativeren, moralkritischeren Analysen eines Neil Postman sehen. Schiller vereinigt in seinem Werk Elemente beider Positionen. Ähnlich wie bei Chomsky verstört Schillers lückenhaftes Wissen über die Geschichte der Sowjetunion, über den Stalinismus, die Vernichtung von Menschen, Städten, Ländern und Umwelt durch den Sowjet-Kommunismus. Aber das gilt für eine Reihe von Alt-Linken, die selbst letztlich Produkte des Kalten Krieges sind (ob sie nun von beiden Seiten Europas kommen, aus der USA oder der "3.Welt"). Netzkritik ist eine "89-er" Bewegung und steht meiner Ansicht nach im Geist des Mauersturzes und des Endes der Ost-Diktaturen. Alle Kritik am US-Imperialismus, welche die unglaubliche Tragödie "Sozialismus" ignoriert, erklärt sich selbst für bankrott.
Aber dies war nicht Thema unseres Gesprächs. Glücklicherweise ist die materialistische Kritik an den Konzernen immer richtig - das gilt auch für Schillers letztes Buch "Information Inequality". Es behandelt solche Themen wie die Selektionsmenchanismen in der Kulturindustrie, den Ausverkauf öffentlichen Eigentums wie Schulen, Bibliotheken und Wahlen, die Unterschlagung von Informationen, Methoden zur Steigerung der Zuschauerquoten, die weltweite Rolle amerikanischer Pop-Kultur und natürlich die Datenautobahn, als die "neueste Sackgasse". Überarbeitete Auszüge seiner Kritik am Internet veröffentlichte Schiller in dem französischen Magazin "Le Monde Diplomatique".
Dieses Interview fand am 20. Februar 1997, während der Burda-Konferenz "Internet und Politik" statt.
GL: Geert Lovink
HS: Herbert Schiller
GL: Können Sie uns etwas über die Vorgeschichte des Cyberspace erzählen? Wann begegneten Sie der Cyber-Ideologie zum ersten Mal?
HS: Einer der Ersten in diesem Bereich war Daniel Bell, der über das "Ende der Ideologien" und die "postindustrielle Gesellschaft" schrieb. Produktion zählte seiner Ansicht nach nicht mehr - alles würde zur Dienstleistung, verstreut in verschiedene Informationsbereiche, werden. Den Cyberspace behandelte er nicht. Andere knüpften aber daran an und begannen über die "Informationsgesellschaft" als die postindustrielle Gesellschaft zu schreiben. Einer davon war Alvin Toffler, der dieses Thema in den frühen 70gern abhandelte. Ausser der Kritik von Bell und Toffler gab es in dieser Zeit keine bemerkenswerte Medienkritik, die beiden schufen fraglos die Basis. Die akademische Elite kritisierte Toffler für seine zu "populäre" Art des Schreibens, aber das war nicht ernst zunehmen. Beide Autoren prägten die Form der Kritik.
Das Medium, das diese Werke letztlich behandeln, ist um einiges jünger. ARPANET und das Internet als akademisches Netz wurden ohne grosse Vorüberlegungen realisiert. Es ist noch nicht einmal 10 Jahre her, dass es sich auch in der breiteren Öffentlichkeit ausbreitete. Meiner Ansicht nach wurde diese Entwicklung vorsichtig von den üblichen Kräften - wie zum Beispiel dem Nationalen Wissenschaftsausschuss durch die ausgewählte Unterstützung der Softwareentwickler vorangetrieben. Das war sehr besonnen und motivierend - nichts war ziellos, zufällig oder ungeplant, wie es oft dargestellt wird.
GL: Wie fügt sich Marshall McLuhan in dieses Szenario ein?
HS: McLuhan ging vor allem in seiner Beschäftigung mit dem Medium als solchem auf. Seine Betonung der Medienfrage aus seinem narzistischen Antrieb heraus machte ihn bei den Medienleuten überaus beliebt. Man fand in ihm jemanden, der die Sache Medium überaus bedeutsam erscheinen liess. Ich sehe ihn nicht als Cyberspace-Guru oder gar in direkter Verbindung mit dem aktuellen Geschehen. In seinen frühen Arbeiten wie zum Beispiel in "The Mechanical Bride" war er ein ziemlicher Materialist, ein Sozialkritiker. Aber dann entschwand er in esoterische Sphären.
GL: George Gilder glaubt, dass die alten Massenmedien-Monopole durch die erstarkenden Möglichkeiten des Einzelnen durch die sogenannten interaktiven, many-to-many Medien mit der Zeit zerfallen werden. Das hat keine Ähnlichkeit mit Ihrer Kritik an den grossen Medienkonzernen. Können Sie uns das bitte erläutern?
HS: Man muss sich nur umsehen. Sehen Sie irgendwelche Anzeichen einer Neuerung? Die Monopole sind stärker denn je und diese Machtkonzentrierung geht weiter. Das umfasst inzwischen ein grosses Gebiet, nicht nur die "Medien". Alle Formen der Kommunikation sind in diesen Konzern-Konglomeraten konzentriert. Time Warner, hat ein Barvermögen von über 20 Milliarden Dollar, ist im Bereich Radio, Plattenstudio, Filmstudio, in der Fernsehprogramm-Gestaltung und zunehmend auch im Einzelhandel tätig, wo sie die Sachen verkaufen, die sie zuvor in ihren Filmen vorführen. Disney ist ein anderes gigantisches Konglomerat. Dann gibt es noch Viacom, denen MTV gehört und die eine bemerkenswerte Arbeit beim Verkauf von Populärkultur leisten, die den Kids langsam das Denken abgewöhnt. Mit eingeschlossen sind Computer- und Telefonkonzerne. Die Telefonnetze gehören allesamt Mega-Konglomeraten. CBS gehört Westinghouse, NBC gehört General Electric. ABC wurde erst kürzlich von Disney gekauft und Fox gehört zu Murdoch. Zu meinen, dass alles das zerfällt, ist unrealistisch.
Wir müssen vorsichtig sein, den Ausdruck "Globalisierung" in diesem Zusammenhang zu benutzen. Es mag so aussehen, dass an der Globalisierung jeder beteiligt ist und wer es nicht ist, versucht den Anschluss zu kriegen. Die Globalisierung ist aber eine Sache der Konzerne. Sie brauchen die ganze Welt, um ihre Produkte verkaufen zu können und penetrieren jeden Winkel dieser Erde. Aber es ist ein grosser Unterschied zwischen dem, was die Konzerne wollen und dem, was die Weltbevölkerung will.
GL: Ideologiekritik alleine reicht nicht mehr aus. Zum Verständnis dieser expandierenden Branche braucht es auch wirtschaftliche Analysen.
HS: Man muss überprüfen, wie die Dinge funktionieren. Man muss sich der "Versachlichung" der Information zuwenden. Was frei war, wird zur Ware. Was man untersuchen muss, ist, in welche Richtung sich das Netz entwickelt. Das Netz wird zum Privatbesitz. Eine anderes Sache ist, wie man Fernsehen und Nachrichten in das Netz bringen wird. Das bringt natürlich auch kommerzielle Werbung mit sich. Das Netz wird nicht mehr lange offen, frei verfügbar und kostenlos sein.
GL: In welcher Beziehung stehen die Sendemedien zu dem schnell wachsenden, aber nach wie vor kleinem Cyber-Medium? Noam Chomsky scheint nicht sonderlich am Netz interessiert zu sein. Möglicherweise erkennt er nicht die strategische Bedeutung des Netzes.
HS: Man muss dies anhand der Entwicklung der Dinge überprüfen. Dieser Bereich wird ständig untersucht und überwacht. Alles was sie im Bereich des Fernsehens und Films erkennen können, findet sich im Netz wieder. Die Merkmale wiederholen sich. Wir leben keineswegs in dem, was man als "Informationsgesellschaft" bezeichnet. Diese Bezeichnung beschönigt die Realitäten. Das Gerede über das "Neue" lenkt vom Bestehenden ab. Wir leben in einer Zeit der Unsicherheit und des Ausverkaufs von Werten. Die Menschen suchen verzweifelt nach Sinn, ethnischer und geschlechtlicher Identität. Das ist legitim, aber je besessener die Leute werden, umso weniger werden sie die zugrundeliegenden Kräfte, die Ursachen erkennen können. Verdrängung spielt in dieser Art und Weise, wie man über die "Informationsgesellschaft" spricht und ob man schon drin sei, eine grosse Rolle. Aber die Leute sind ernstzunehmen, das sind keine Idioten.
GL: Was ist ihrer Meinung nach die Aufgabe der "cultural studies" in all dem?
HS: Ich finde das sehr komisch. Ich habe immer versucht, die kulturelle Komponente miteinzubeziehen. Ich war mir der Bedeutung vom Anfang an bewusst, als ich begann, über den Kulturimperialismus zu schreiben. Nun erscheinen überall "kulturelle Studien" und greifen die politische Ökonomie als zu engstirnig und ausschliesslich an. Erst kürzlich hat in den USA die Hauptbewegung der Kulturwissenschaftler die Berechtigung einer wirtschaftspolitischen Analyse der Massenmedien angezweifelt. Das unterstützt die vorherrschende Ideologie, wie ich sie wahrnehme. Sie wollen nicht die zugrundeliegenden Wahrheiten der Botschaften und Bilder erkennen, die sie sich ansehen. Die sogenannte "Verantwortung des Publikums" bringt Leute wie mich in eine merkwürdige Lage. Ich behaupte nicht, dass jeder ein Opfer der Kulturmaschinerie ist. Aber ich kann nicht akzeptieren, wie man den Widerstand des Publikums charakterisiert. Wenn Frauen Groschenromane lesen, ist das ein Ausdruck ihres Widerstandes? Möglicherweise ist das ein Ausdruck, aber sonderlich weit bringt uns diese Art der Gegenwehr nicht.
GL: Wo sehen Sie die Ansatzpunkte einer politischen Ökonomie der Medien?
HS: Diese Wissenschaft hat noch keine lange Geschichte, letztlich ist sie erst ein paar Dekaden alt. Ich versuche aufzuzeigen, wie wichtig die Grundlagen der materialistischen Philosophie für ein Verstehen nach wie vor sind. Studenten müssen etwas über die Entwicklung der sozialen Verhältnisse vom frühen Kapitalismus bis heute wissen, Begriffe wie Lohnarbeit und Arbeit verstehen. Die Bedeutung ist nicht verschwunden. Man kann den Materialismus sehr gut auf den Fall Internet anwenden. Ich glaube nicht, dass das abwegig ist. Man muss sich nur mal die Aktiväten der grossen Konzerne in all den verschiedenen Bereichen ansehen. Die Leute können selbst einige Zusammenhänge erkennen. Jeder sieht die Verbindung zwischen Profisport und der Bekleidungsindustrie, die Mützen und Fussballtrickots und den Rest herstellt. Die Kulturindustrie geht ihren Geschäften unverhohlen, offensichtlich nach.
GS: Meinen Sie, dass das Internet ein Massenmedium wird?
HS: Das wird der Fall sein. Aber das ursprüngliche Konzept der Medienindustrie ist ein anderes als in den späten Dreissigern und frühen Vierzigern. Damals war es der elitäre Blick, der auf die Massen runtersah. Der Begriff selbst ist ja schon ideologisch. "Überzeugen" war ein grosses Thema in den Dreissigern, aber als die Massenmedien etabliert waren, löste man sich von diesem Begriff, da der Begriff "Überzeugen" einen schlechten Beigeschmack bekam. Man bezeichnete das Ganze dann als "Kommunikation". Aber das ist eine andere Sache.
GL: Was denken Sie über die Gleichsetzung von Internet und amerikanischem Imperialismus? Verschiedene Gruppen in Europa sind beim Thema "Anti-Amerikanismus" nicht sonderlich weit gekommen. Was meinen Sie zu diesem Thema?
HS: Ich beobachte das Phänomen des Kulturimperialismus seit langem. Das ist keine Sache der Neunziger. Zur Zeit sind die Amerikaner an der Reihe, aber es gab einen französischen, einen britischen, einen holländischen Imperialismus. Was wir uns fragen müssen ist: Unterwandert das Internet die Verhältnisse oder stärkt es diese? Ich versuche zu verdeutlichen, das es Schlüsselfiguren in Schlüsselpositionen in den USA gibt, die das Internet als ein praktisches Instrument für ihre imperialistischen Bestrebungen sehen. Das soll uns ein Alarmsignal sein. Wenn das Internet Hauptmedium für eine weltweite Konzernwerbung wird, ist es mehr als gerechtfertigt über die Ausweitung des Kulturimperialismus in das Internet zu sprechen.
Herbert I. Schiller, Information Inequality, The deepening social crisis in America, Routledge, New York/London, 1996
ISBN 0-415-90765-9
Aus dem Englischen übersetzt von Roya Jakoby