Das Vermächtnis Donald Trumps

Amerika nach den Präsidentschaftswahlen: Wohin gehen die USA? - Teil 2

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Teil 1: Wunden lecken nach der Wahl

Wie wird Trump in die Geschichte eingehen?

Laut dem US-Demokratietheoretiker Larry Diamond und europäischen Analytikern wie Robert Sata und Pawel Karolewski brachten die 2000er Jahre mittels wiederholter System-Krisen eine "Ceasareische Politik" hervor - nun auch in Demokratien weltweit. Trump wird als ein Teil dieser Phase der "Politik der postmodernen Caesaren" in die Geschichte eingehen, das heißt der neuen starken Männer sowohl in Demokratien wie - nun umso stärker - in den vielen aufsteigenden Nichtdemokratien, allen voran China und Ländern, die sich von Demokratie abwenden wie die Türkei. Caesareische Politik ist eine Reaktion auf das "Zeitalter der Beschleunigung", wenn auch in sehr unterschiedlichen Weisen. Verschiedene Demokratien bringen unterschiedliche Spielarten hervor. Diamond schreibt dazu wörtlich:

Dies ist eine Zeit der Cäsaren und der demokratischen Unzufriedenheit. Das Problem wird durch die schlechten Winde, die in letzter Zeit überall in der Welt gegen die Demokratie geweht haben, noch verschlimmert: durch den schädlichen Einfluss der sozialen Medien, die Empörung und emotionales Engagement in den Vordergrund stellen und daher eine natürliche Affinität zur Desinformation haben; durch die vielfältigen technologischen, wirtschaftlichen und ökologischen Störungen, die das Selbst- und Sicherheitsgefühl der Menschen bedrohen; durch den Aufstieg Chinas und das Wiedererstarken Russlands als autoritäre Mächte, die die Degradierung und Destabilisierung der Demokratie als existenzielle Notwendigkeit ansehen; und durch den Rückzug jenes Landes, das in den vergangenen Jahrzehnten der Hauptverteidiger umkämpfter Demokratien war - der Vereinigten Staaten - aus der globalen Verantwortung. Jetzt erleben die Vereinigten Staaten ihre eigene demokratische Krise.

Die dünne, aber widerstandsfähige Membran, die das Rückenmark der amerikanischen Demokratie schützt - die Umarmung gegenseitiger Toleranz und Zurückhaltung, das unerschütterliche Bekenntnis zu den Regeln des demokratischen Spiels - ist stark ausgefranst. Unabhängig davon, ob ein besiegter Trump versucht, die Ergebnisse des Wahlkollegiums vor Gericht oder im Kongress zu kippen, wird die amerikanische Demokratie auch im Januar [bei Amtsantritt Bidens; die Amtseinführung ist seit 1937 üblicherweise jeweils am 20. Januar, Anmerkung R.B.] noch in ernsthaften Schwierigkeiten stecken. Und nur das amerikanische Volk kann sie lösen.

Larry Diamond

Das haben die Wähler jetzt mit dieser Wahl getan. Sie sahen Trump nach vier Jahren letztendlich eher als Ausdruck und Symptom dieser Problematik an denn als deren Lösung. War Trump 2016 Symptom des Wunsches nach einem klaren Systembruch mit einem - in der Wahrnehmung etwa der Hälfte der Amerikaner - elitären und politisch korrekten Zirkel in Washington, der in Zusammenarbeit mit den Medien liberale Meinungsmacht zum Alleinbesitz erklärte, dabei zunehmend weniger Widersprüche duldete und so die Diskussionsfreiheit immer weiter verengte, so war Biden 2020 der Wunsch nach Normalisierung, Wiederherstellung und Systemstabilisierung. Dazu trugen sowohl die Extreme der Trump-Ära wie Verunsicherung durch die Covid-19 Pandemie bei. Kann Biden dem gerecht werden?

Joe Biden wird jetzt zeigen müssen, dass Caesareische Politik nicht auf Dauer in den USA Fuß fasst - und vor allem, dass er selbst nicht Teil davon ist. Zugleich wird er eine Partei führen müssen, die durch die Trump-Jahre radikalisiert und innerlich zerrüttet ist - und zudem stärker als je zuvor, ja bis in existentielle Fragen hinein von den ihr gewogenen Mehrheits-Medien, Silicon Valley und deren Geldgebern in Wall Street abhängig ist, die als Systemstabilisatoren ihre eigenen Interessen verfolgen und eben deswegen das System stabilisieren wollen.

Das in vollem Umfang aufgezeigt zu haben, ist ebenfalls ein entscheidendes Vermächtnis Trumps. Es ist einer seiner größten und bleibenden Siege: dass offenbar alles mit Vorurteilen (bias) belastet ist, ja aus diesen erst in die Existenz hervorgeht - auch politische Korrektheit und sogar Gesellschaftsbefriedung. So wie es postmoderne Vordenker wie Michel Foucault, Jacques Derrida oder Jean-Francois Lyotard, die alle zeitweise in den USA (Berkeley, Cornell und University of California at Irvine) unterrichteten und dort eine Trumpianische Entwicklung (ohne den Kandidaten Trump zu kennen) früher oder später kommen sahen und bereits seit den 1970er bis Anfang der 2000er Jahre philosophischen vorweggenommen hatten: der Trumpismus ist die Auflösung der Welt der Demokratien in Konstrukte, die keiner besonderen Regel folgen und zwischen denen Machtspiele stattfinden, vor allem mittels Sprache(n) und Symboliken.

Diese Sprach-, Symbol und Stellvertreterspiele zeigen sich radikal inkommensurabel, weshalb Demokratie in der Verständigung zwischen Unverständigen besteht - was ein sensibler Tanz auf der Rasierklinge ist. Wenn man so will, war Trump die paradoxale Realisation dieser Betrachtungen - allerdings ganz anders, als es sich die (durchwegs linken) Postmodernen erwartet oder erhofft hätten. Eine Bewusstseinszunahme in diese "de-konstruktivistische" Richtung, und damit indirekt auch für die Mechanismen und den Wert von Demokratie, war die Trump-Ära allemal. Obwohl rechtslastig, war sie vielleicht die Vollendung der Postmoderne und ihrer Vorstellung einer Welt von "Spiegeln in Spiegeln".

Ein weiteres, politisch praktischeres Vermächtnis von Trump ist, dass Biden sehr wahrscheinlich ein Übergangspräsident sein wird, der seine ganze Amtszeit sowohl mit den Verlierern als auch den Gewinnern hadert.

Biden wurde eher aus Verlegenheit erkoren, weil er am ehesten die Radikalisierung der Demokratischen Partei verdeckte, eine populistische Alternative zum Meister-Populisten darstellte und für die US-Mittelklasse den "einigenden Opa" spielen konnte, der er im Grunde so nie war. Er wird denn auch die angeschlagene US-Demokratie nicht auf einmal heilen können, sondern muss in einer erst noch sorgfältig zu findenden Mischung aus Realismus und Idealismus, innen - bei den Demokraten - und außen - im Verhältnis zu den Republikanern - zugleich ansetzen.

Das wird ein schwieriger Balanceakt, in den in den kommenden vier Jahren viele Fallen eingebaut sein werden. Unter anderem wegen Trumps und der Republikaner Rachegelüsten. Dazu muss er, in Zusammenarbeit mit allen politischen Lagern, den Realismus der Republikaner re-idealisieren; und umgekehrt den überzogenen Idealismus der Demokraten in einen neuen Realismus überführen. Die generationalen Probleme innerhalb beider Parteien werden das nicht gerade erleichtern.

Auf der anderen Seite besteht Trumps Vermächtnis in den 3 P’s des Populismus: Provokation, Personalisierung und Popularitätsausrichtung. Unter Trump wurden diese gemeinsam nach und nach zu einer politischen Kultur-Ikonographie, die gerade in ihren Abweichungen vom Mainstream der Infotainment-Industrie sowohl in die Hände spielte wie ihr perfekter Ausdruck war. Da sich Kultur am langsamsten von allen sozialen Parametern ändert, wird dieses Erbe auch nicht so schnell verschwinden, wie es sich manche erhoffen.

Darunter ist an erster Stelle die Personalisierung, die Trump wie kein anderer zuwege brachte - nicht zuletzt durch das Dauerfeuern jedes Mitarbeiters, der zu wichtig wurde und ihm die Sonne stahl, oder auch als Opfergaben. Was Amerika als Reaktion auf dieses Vermächtnis des "einen Gesichts", das sich über vier Jahre tief in die US-Imagination eingebrannt hat, jetzt braucht, ist vor allem eines: über die Fixierung auf die Person Trump wie das Kaninchen auf die Schlange hinauszugehen. Oder wie es Stephen Kotkin von Princeton und Harvard in seiner Bewertung der Trump-Jahre im April 2020 ausdrückte:

Es ist sehr schwer, in diesen Tagen in Amerika über die Trump-Präsidentschaft zu sprechen. Wie Sie wissen, sind die Menschen reflexartig gegen Trump und leidenschaftlich dagegen, und dann sind viele andere Menschen reflexartig für Trump und leidenschaftlich dafür. Wenn Sie etwas über Trump sagen, was als die geringste Kritik empfunden wird, dann werden 49% des Landes verrückt. Wenn Sie etwas über Trump sagen, das möglicherweise wie ein Lob klingt, werde die anderen 49% des Landes verrückt. [Wir sollten versuchen], über die Trump-Präsidentschaft zu sprechen nicht als etwas, das man beschimpfen oder loben sollte, sondern um zu sehen, wo wir stehen, wie wir hierher gekommen sind und wo wir vorankommen könnten…

Wir sprechen seit langem über die Einmischung Russlands in unsere Wahlen. Wir sprechen nicht über unsere selbst geschaffenen Probleme. Wir sprechen nicht über unser eigenes Versagen. Wir sprechen darüber, wie jemand anderes unsere Probleme verursacht. Jemand scheint hier vor einiger Zeit vom Mond aus mit dem Namen Trump gelandet zu sein, aber er ist es nicht. Das ist so… keine Art der Selbstprüfung. Es ist keine ernsthafte Analyse der Tendenzen in unserem Land, wo wir uns befinden und welche Chancen sich uns bieten.

Stephen Kotkin

Deshalb kommt im Gegensatz dazu Kotkin in seiner "neutralen" Bilanz zum Schluss:

Trump ist eine Übergangsfigur. Er legte seinen Finger auf die Zügellosigkeit der Eliten. Das hat er während des Wahlkampfes sehr erfolgreich getan. Und er ist ein Meister der politischen Manipulation gesellschaftlicher Zersplitterung. Das ist ein Teil des Geheimnisses seiner politischen Intuition. Er zeigt uns also in vielerlei Hinsicht, wo wir stehen. Und deshalb ist die Antwort kein Gegengift gegen ihn als Person. Die Antwort ist, sich von dem glänzenden Objekt zu entfernen, sich von den polarisierten 49% gegen 49% zu entfernen. Und die Wiederherstellung eines Gefühls der sozialen Einheit, die Wiederherstellung eines Gefühls dafür, wie unser politisches Sinnsystem funktioniert. Es funktioniert durch Kompromisse. Die Art und Weise, wie unsere Gründer unser politisches System aufbauten, sollte es schwierig machen, etwas zu erreichen. Es sei denn, die Menschen kamen in der Mitte zusammen. Es gibt eine Gewaltenteilung, bei der alle möglichen Mechanismen existieren, um Mehrheiten daran zu hindern, eine Tyrannei über eine Waffe auszuüben.

Eine Koalition der Zusammenarbeit ist erforderlich, um die Dinge dauerhaft zu erledigen. Nicht, um mit 50 Prozent plus eine Stimme etwas zu verabschieden, was die nächste Regierung mit ihren 50 Prozent plus eine Stimme kippt. Und so sehe ich Trump als eine Einladung an uns alle, zu den ersten Prinzipien zurückzukehren, um wieder zu entdecken, wer wir sind und warum wir so erfolgreich sind, und um dieses Mojo zurückzugewinnen und diesen Kampf nicht endlos zu führen. Als wäre es der Dritte Weltkrieg, als wäre es das Ende der Zivilisation, wenn die eine Seite gewinnt oder die andere. Aber es ist nicht das Ende der Zivilisation. Es ist nicht der Dritte Weltkrieg.

Stephen Kotkin

Trotz dieser Worte, die zu einer realistischen Betrachtungsweise der Trump-Ära hinführen, haben der Wahlprozess und vor allem Trumps Verhalten viel Schaden angerichtet. Wie steht es um die amerikanische Demokratie?

Der Verlierer der gnadenlosen Auseinandersetzung, die auch nach den Wahlen zum Teil an Rache- und Kriegsrhetorik erinnerte, ist, wie Thomas L. Friedman zu Recht bemerkte, in erster Linie die amerikanische Demokratie selbst. Mit dieser Rhetorik hat in dieser Form erst Trump begonnen. Aber die Demokraten haben rasch nach- und durchaus gleichgezogen. Ja, sie haben Trump, wie etwa im jahrelangen, ergebnislosen Amtsenthebungsverfahren, ab Tag eins an oft sogar an Untergriffen überboten.

Man darf es mit der Betonung dieses Aspekts nicht übertreiben, da eine solche Analyse Realität nie nur abspiegelt, sondern auch ein Stück weit mit herstellt. Aber die aktuelle Situation ist schon aus diesen Gründen radikaler gegenseitiger Diskreditierung und Blockade (mit der die Republikaner in der Obama-Ära in dieser Form begonnen haben, was Obama zwang, per Dekret zu regieren wie wenige Präsidenten vorher) zwar kein Weltkrieg, aber doch eine Wegscheide der US-Demokratie, wie etwa Foreign Policy schrieb.

Man kann nur hoffen, dass aufgrund von Trumps Klagen auf Detail-Nachuntersuchungen nicht wirklich Unregelmäßigkeiten auftreten, seien sie nun real oder konstruiert - denn das wäre ein Schritt näher an den Abgrund. Und wer sich über die Selbstzerstörung des US-Systems ins Fäustchen lacht ist China, der Todfeind Trumps. Und bis zu einem bestimmten Grad auch gewisse islamistische Mächte und die "Kleptokratie" Russland, wie es der führende FBI-Agent Peter Strzok im Juli 2018 bei seinem - für das Hintergrundverständnis der Trump-Jahre wichtigen - Kongress-Hearings wegen seiner privaten Anti-Trump-E-Mails trotz Leitung wichtiger Aspekte der Muller-Untersuchung zur Verwicklung Russlands in den US-Wahlkampf 2015-16 herausarbeitete.

US-Zeitschriften schreiben auch, die wichtigste Vermächtnis Trump sei es, seinen Nachfolger Biden für dessen gesamte Amtszeit 2021-2025 diskreditiert zu haben. Was ist an dieser Aussage dran?

Eine der Lehren aus der Ära Trump ist es, dass er gezeigt hat, wie man nicht nur ein gesamtes institutionelles Gefüge gegen sich aufbringt (darunter auch das FBI und den militärischen Generalstab), um "alles" am System in Bewegung zu versetzen, wenn man es positiv ausdrücken will. Sondern auch, wie man traditionelle demokratische Parteien ruiniert, indem man sie außerhalb jeder Norm und Gepflogenheit vor sich hertreibt und sie dadurch immer radikaler und sich selbst ähnlicher macht - was Trump sowohl im Hinblick auf seine eigenen Republikaner wie die Demokraten beispiellos gelungen ist.

Es ist nicht auszuschließen, dass er die kommenden vier Jahre damit verbringen wird, immer wieder die Mär von der "gestohlenen Wahl" aufzuwärmen und bei jeder Gelegenheit ins Tagesgeschehen einzubringen. Dies nicht zuletzt, um sich auf eine Wiederkandidatur 2024 vorzubereiten, sozusagen als Rächer der Enterbten - wo ihm der Zuspruch seiner Basis aus heutiger Sicht erneut sicher wäre. Viel wird jedoch von der inneren Entwicklung der Republikanischen Partei und den Taten Bidens abhängen, ebenso wie vom Ausgang der Steuer- und Betrugsprozesse, die Trump nun wohl über Jahre erwarten.

Viel wird auch davon abhängen, wie weit Biden die Demokratische Partei im Gefolge der Trump-Jahre entradikalisieren kann. Seine Aufgabe ist es, nicht die Republikaner, sondern vielmehr seine eigenen Demokraten zu "enttrumpisieren". Was nicht die leichteste Aufgabe sein - und wohl die vollen vier Jahre seiner Amtszeit in Anspruch nehmen wird.

Biden wird als Erbe der Trump-Ära auch in seiner eigenen Partei der Spitzname "Sleepy Joe" bleiben, den Trump unaufhörlich mit mentalen Schwächen in Verbindung brachte, im Wahlkampf ergänzt von Trump-Freund Sean Hannity von Fox News um den Kosenamen "Hiden Biden" wegen Bidens Vorsicht während der Coronavirus-Phase. Zweitens: Der Verdacht wird bleiben (und von den Rechtsmedien bei jeder Gelegenheit weiter geschürt werden), Biden sei nur eine Puppe der radikalen Linksfraktion der Demokraten, was Trump ebenfalls zum Mantra erhoben hat. Der Gedanke, dass Parteien selbst nur Puppen von Interessen sind, ist ein wichtiger Bestandteil der Trump-Ära, der sich noch über Jahre durch das amerikanische Unbewusste ziehen wird.

Noch wichtiger: Biden erscheint den knapp 50% Republikaner-Wählern als korrupt, weil es vom Trump-Team immer wieder erneuerte und bestärkte Gerüchte über die Verwicklung seiner Familie in große Geschäfte mit der chinesischen Regierung gibt - Geschäfte, die Bidens Sohn Hunter während des laufenden Handelskrieges zwischen den USA und China angebandelt haben soll, ebenso wie undurchsichtige Aktionen in der Ukraine.

Schon wegen dieser Gerüchte wird es Biden schwer mit Versöhnung haben - wenn sich die Vorwürfe erhärten sollten, umso mehr. Wer auf dem Gehaltszettel des totalitären China stünde, wäre unglaubwürdig, Chinas globalen Einfluss einzudämmen und vielleicht auch Ursprünge der Coronavirus-Krise angemessen einzuordnen - zumindest in Teilen der öffentlichen Wahrnehmung. Biden hat diese seine Achillesferse erkannt und fährt nach anfänglichem Zögern nun eine "härtere" China-Linie, bezeichnet China wie so die Europäische Union inzwischen als "Wettbewerber" und "systemischen Rivalen".

Der Niedergang der US-Demokratie ist seit Trump sprichwörtlich…

Der Niedergang amerikanischer Demokratie geht tiefer als nur Donald Trump. Es war ein schleichender Prozess, der ihn eigentlich erst hervorgebracht - und den er selbst dann seinerseits fleißig verstärkt hat. Biden wird das nicht auf einmal heilen können, wie das der eingangs genannte Larry Diamond zu Recht dargestellt hat. Aspekte des amerikanischen Demokratie-Verfalls waren, dass - auf beiden Seiten - drei Trends zusammenfielen: 1. der Trend zu Stammespolitiken und Stammesidentitäten (Tribal politics, political tribalism); 2. der Aufstieg von Imaginationspolitiken, also des Politikmachens mit Bildern von Erwartungen, Hoffnungen und Ängsten (Imaginal Politics); und 3. von Kontextpolitiken, also von Psychologie, Religion, Spiritualität(en) und Philosophie (Contextual Politics).

Alle drei Trends wurden gemeinsam über die Jahre nach und nach ähnlich oder gar gleich wichtig wie traditionelle Institutionen- und Parteipolitiken - was in dieser Form in der Obama-Ära noch nicht der Fall war. Trump hat alle drei massiv vereinnahmt und in seiner Person zusammengeführt - was ein "Meisterwerk" sui generis war, dessen Vermächtnis auf Dauer nicht ohne Nachahmer bleiben wird. Das hat die repräsentative Demokratie trotz der Erweiterung des Spektrums dessen, was Politik ist und ausmacht, und trotz einer gewissen Vervielfältigung von Stimmen ins Nicht-Konventionelle hinein eher geschwächt als gestärkt. Dies auch dann, wenn Trump das gar nicht gezielt systemisch angestrebt haben sollte, sondern wenn das nur der Effekt seiner einseitigen, im Kern stark narzisstisch gefärbten Zielsetzung auf Systemkampf gewesen wäre.

Vorangetrieben wurde das - oft oder sogar meist - durch die wachsende Distributionskraft der neuen sozialen Medien und den Einfluss von Algorithmen in Suchmaschinen, aber auch durch die fast völlige politische Entgleisung vordem "neutraler" oder gar im Selbstanspruch "objektiver" Medien. Dabei müssen wir allerdings auch bedenken, dass "objektiv" nicht unbedingt "politisch neutral" bedeutet oder bedeuten muss.

Trotzdem sie mit Trump Recht haben, sind die liberalen US-Mainstream-Medien im Kampf gegen ihn entgleist. Sie und haben ihre Objektivität und ihren Auftrag wegen blindem Hass oft vergessen - was nicht nur der Republikanische Senator Ted Cruz, ehemaliger Präsidentschaftskandidat gegen Trump und wahrscheinlich der intellektuellste Pro-Trump-Republikaner im heutigen Feld, genüsslich herausarbeitete und gegen die liberalen Medien zelebrierte, als er zu CNN-Anchorman Chris Cuomo sagte: "Wissen Sie Chris, Donald Trump hat euch liberale Medien wie CNN völlig gebrochen. Ihr wart einmal journalistisch; jetzt geht es nur noch um euren Hass auf Donald Trump - und sehr viele Menschen merken das ganz einfach."

Dass Suchmaschinen wie Google und vielbesuchte Portale wie YouTube bei ambivalent-offener Suche betreffend US-Politik auffällig oft "liberale" Ergebnisse voranstellen und zwar auch bei einer klar nach dem Gegenteil ausgerichteten Suche, ist eine zunächst experimentelle Erfahrung, die wenigen verborgen geblieben ist und auf verschiedene Weisen erklärt werden kann, darunter mit Lernmechanismen oder Ausklammerung unangebrachter, ungebührlicher oder demokratieschädlicher Inhalte.

Es geht hier auch nicht in erster Linie um den Einfluss der ebenfalls aus dem "extrem linken Ort" (Originalton Mark Zuckerberg) Silikon Valley gelieferten Technologie auf das Wahlverhalten, indem zum Beispiel Künstliche Intelligenz (KI) zum factcheck der Präsidentschaftsdebatten eingesetzt wurde - was umgehend den Vorwurf der Voreingenommenheit seitens des Trump-Teams hervorrief, da KI heute noch auf maschinelles Programmieren (von Algorithmen) durch Menschen angewiesen und daher keineswegs völlig "neutral" ist.

Wer aber die Jubelszenen mit aktiver und expliziter Aufgabe jeder Neutralität der wichtigen "Ankermänner" (anchorman, Vorzeigegesichter und Verkörperungen des Senders) von CNN, Chris Cuomo (Bruder des demokratischen Gouverneurs von New York und Trump-Intimfeind Andrew Cuomo) und Don Lemon gesehen hat, die nach der Niederlage Trumps von "unserem" Sieg sprachen und von ihrer Dankbarkeit, "ihre Plattform" zu haben, oder wer CNN-Anchor Van Jones live auf Sendung vor Freude weinen gesehen hat, muss den Anspruch auf objektive Berichterstattung in den USA mittlerweile zumindest für gewisse Zeit aufgeben.

Bereits vorher sah man Lemon und Cuomo in einer Art Halbstarken-Selbstermächtung live zur besten Sendezeit auf ihrem Sender darüber diskutieren, "weisst du, wir müssen das gesamte System in die Luft jagen". Das mag zwar nicht wörtlich so gemeint sein, aber das sind rhetorische Spaltungs- und Provokationselemente, die von der liberalen, angeblich "über allen Dingen stehenden", politisch korrekten und (selbst-)idealisierenden Linken massiv, täglich und unablässig in die amerikanische Spaltung einfließen.

Wer das inmitten der Polarisierung praktisch jeder Medienberichterstattung in den USA, einigermaßen unvoreingenommen verfolgt, muss, vielleicht auch ungerechtfertigt, nach dieser Erfahrung jedem Medium einen politischen und interessensgeleiteten Gesichtspunkt zuschreiben, auch den liberalen, die die Mitte während der Trump-Amtszeit "objektiv" verlassen haben. Womit sie dem ehemaligen Trump-Intimus Steve Bannon zum Sieg verholfen haben, der meinte, es gebe in der Realität von "Welt" nichts als Gesichtspunkte, und keine Information oder Berichterstattung sei ohne Gesichtspunkt.

CNN-Kommentator und Vorzeigemoralist Chris Cuomo soll sogar dem ehemaligen Trump-Intimus Michael Cohen, der offenbar als "Freund" von ihm gilt, hinter den Kulissen intime Ratschläge gegeben haben, wie er sich bei Interviews mit CNN politisch korrekt verhalten kann

Was, wenn es zutrifft, ebenfalls ein Brechen von Objektivität darstellt, das umso eklatanter anmutet, als die beiden sich offiziell moralisch und ideologisch nach Aussage von CNN diametral entgegenstehen - und die offene Kritik von Cuomo an Cohen unterläuft, der ihn öffentlich stets wegen seiner Anwaltschaft für Trump angegriffen hatte. Wer das mitverfolgt, dem wird zumindest teilweise sein moralischer und faktischer Orientierungskompass entzogen, soweit es die Information durch angeblich "neutrale" Medien betrifft.

Im Rückblick wird die Geschichte natürlich fragen, wer hier die Henne und wer das Ei war.

Hat Trump die Medien ent-neutralisiert, wie Cruz analysiert? Oder haben sie selbst unangemessen auf seinen Populismus reagiert, indem sie sich einseitig, aber oft unterschwellig und ohne es offen zu erklären einem politischen Lager zugeordnet haben und von Beobachtern zu Aktivisten wurden - und damit Trump letztendlich gegenüber seiner eigenen, noch radikaleren Basis stärkten und weiter radikalisierten? Beide Erklärungen haben eine gewisse Plausibilität, die jedoch weiterer, genauerer Untersuchungen bedarf. Biden wird jedenfalls gut beraten sein, diese Aspekte kritisch aufzuarbeiten, denn sie sind vielleicht der mächtigste Baustein des Trump-Erbes.

Auch der ehemalige Präsident Obama hat nach den Wahlen dieses Element als das entscheidende im Vermächtnis Trumps für Amerika identifiziert.

In mehreren Stellungnahmen nach der Wahl meinte Obama, dass "eine Wahl allein den amerikanischen Verfall der Wahrheit nicht stoppen" werde. Wörtlich meinte Obama:

Die USA stehen vor der gewaltigen Aufgabe, eine Kultur der "verrückten Verschwörungstheorien" umzukehren, die die Spaltungen im Land verschärft haben. Der ehemalige Präsident sagt, die USA seien schärfer gespalten als noch vor vier Jahren, als Donald Trump die Präsidentschaft gewann. Und Obama deutet an, dass der Sieg von Joe Biden bei den US-Wahlen 2020 erst der Anfang des Versuchs einer Reparatur dieser Spaltung sei. "Es wird mehr als eine Wahl brauchen, um diese Trends umzukehren", sagt er. Der Kampf gegen eine polarisierte Nation könne nicht nur den Entscheidungen von Politikern überlassen werden, sondern erfordere sowohl strukturelle Veränderungen als auch das gegenseitige Zuhören der Menschen - sich auf "gemeinsame Fakten" zu einigen, bevor man sich darüber streitet, was man dagegen tun könne. Er sagt jedoch, er sehe "große Hoffnung" in den "verfeinerten" Einstellungen der nächsten Generation und drängt junge Menschen, "diesen vorsichtigen Optimismus zu kultivieren, dass sich die Welt verändern kann" und selbst "ein Teil dieses Wandels zu sein". Wut und Ressentiments zwischen dem ländlichen und dem städtischen Amerika, Einwanderung, Ungerechtigkeiten wie Ungleichheit und "die Art von verrückten Verschwörungstheorien - das, was einige als Wahrheitszerfall bezeichnet haben", seien durch einige US-Medien verstärkt und "durch soziale Medien aufgeladen worden", analysiert Obama. "Wir sind im Moment sehr gespalten, sicherlich mehr als zu der Zeit, als ich 2007 zum ersten Mal kandidierte und 2008 die Präsidentschaft gewann", sagt der ehemalige Präsident. Er deutet an, dass dies zum Teil auf Donald Trumps Bereitschaft zurückzuführen ist, "die Spaltung zu beflügeln, weil sie gut für seine Politik war".

BBC

Wichtiger ist für Obama aber die Rolle von Medien und Information: das, was er als die Unterminierung einer Wahrheits- und Faktenkultur in offenen Gesellschaften bezeichnet.

Obama:

Etwas anderes, das enorm zu diesem Thema beigetragen habe, so Obama, sei die Verbreitung von Fehlinformationen im Internet, wo "Fakten keine Rolle spielen". "Es gibt Millionen von Menschen, die die Vorstellung, Joe Biden sei Sozialist, und die Vorstellung, Hillary Clinton sei Teil einer bösen Kabale gewesen, die in Pädophilenringe verwickelt war, akzeptiert haben", sagt er. "Ich denke, irgendwann wird es eine Kombination aus Regulierung und Normen innerhalb der Medien-Industrie erfordern, um uns wieder an den Punkt zu bringen, an dem wir zumindest einen gemeinsamen Satz von Fakten anerkennen, bevor wir anfangen, darüber zu streiten, was wir gegen diese Fakten unternehmen sollten." Obama sagt, dass viele konventionelle Mainstream-Medien in den letzten Jahren zwar die Faktenüberprüfung begrüßt hätten, um die Verbreitung von Fehlinformationen im Internet zu bekämpfen, dass dies aber oft nicht ausreiche, weil "die Unwahrheiten bereits um den Globus gegangen sind, bis die Wahrheit endlich aus den Toren kam." Er sagt, die Spaltung sei auch eine Folge sozioökonomischer Faktoren wie der zunehmenden Ungleichheit und Disparitäten zwischen dem ländlichen und dem städtischen Amerika. Solche Probleme, so fügt er hinzu, "finden… auf der ganzen Welt Parallelen", da "die Menschen das Gefühl haben, dass sie den Halt auf der Leiter des wirtschaftlichen Aufstiegs verlieren und darauf reagieren und davon überzeugt werden können, dass es die Schuld dieser oder jener Gruppe ist".

BBC

In einer Vorlesung vor Studenten bezeichnete Obama wenig später das Ergebnis dieser Entwicklung als strukturellen Zynismus, der das Vertrauen in die US-Demokratie untergrabe.

In der Tat sind die Medien selbst in den USA längst zur Vertrauensfrage geworden: Man vertraut diesem oder jenem Medium, Fox News oder MSNBC, aber nicht den Medien an sich, und zieht sich deshalb in seine eigene Blase zurück - die ständig gegen die anderen Blasen auch institutionell polemisiert und ihr die Glaubwürdigkeit abspricht, etwa Fox News gegen CNN und umgekehrt. Von den sozialen Medien und Transport-Plattformen ganz zu schweigen, in denen Polarisierung ins Extrem getrieben wird.

Insgesamt entsteht eine Komplexität und innere Widersprüchlichkeit des Informationsbereichs für den Konsumenten, die von ihm kaum zu bewältigen ist - und von dem die gegenseitige Delegitimierung als Generalverdacht, dass "alles" am Gesamtsystem einen doppelten Boden habe, bleibt. Das Ergebnis ist eine ironisch-zynische Grundhaltung gegenüber "allem" - genau wie es Teile der Postmoderne vorhergesagt und vorexerziert hatten. Genau das hat das Vertrauen in den Medienbereich als ganzen geschwächt und beispiellos polarisiert - und eben darüber, wie Obama richtig analysiert, in die Möglichkeit von "Wahrheit" von Fakten als gemeinsamer Grundlage des Dialogs und der Verständigung auf kleinstem gemeinsamen Nenner. Der kleinste gemeinsame Nenner ist in den vergangenen Jahren ständig geschrumpft und in der Wahrnehmung der meisten Amerikaner mittlerweile auf Zwergenniveau verkleinert.

Was Obama in seiner Analyse allerdings unberücksichtigt lässt: Dass dieser mediale Aufhebungsprozess von "Wahrheit" bereits seit der Entstehung neuer immaterieller Medienimperien in der Kombination von Fernsehen und Internet - mit einer immer stärkeren Verlagerung in die Echtzeit, Ubiquität und ständige umfassende Verfügbarkeit des letzteren, die Jahr für Jahr parallel zu den immensen Zuwächsen der Unterhaltungsindustrie gewachsen ist - auch immer mehr mit der "Unwahrheitskultur" einer kommerzialisierten "Verführungslogik" der Werbeindustrie zusammenhängt, die die US-Kultur seit Jahrzehnten immer effizienter und "tiefer" penetriert hat: einer sich mit ihr ausbreitenden industriellen Informations- und Deutungsindustrie und deren wachsender breitenkultureller Anreifung, Ausbreitung und Auswirkung auf tägliche Mentalitäts- und Verhaltensprozesse zu tun hat.

Es ist nicht nur, aber auch diese Werbekultur, die längst nicht mehr auf ihren professionellen Sektor begrenzt bleibt, sondern in alle Bereiche von Kultur und deren Selbstverständnis und Verfahrensweisen ausstrahlt, um sie zu durchdringen, was mit Trumps Aufstieg sowohl am tiefsten verwoben wie dann seiner Präsidentschaft wohl mit am tiefsten entgegengesetzt war. Die Werbekultur ist eine Kultur, die das Alltägliche permanent, unaufhörlich und allgegenwärtig emotionalisiert, auch das noch so Banalste. Alles soll emotional erfahren werden - um es besser zu verkaufen.

Das Unbewusste des Empfängers, des Bürgers und Wählers der Demokratie, spürt die Lüge hinter der Emotion, ist aber unfähig, ihr zu entkommen, da sie allgegenwärtig ist wie die Hintergrundmusik in Supermärkten - also arrangiert er sich damit und gewöhnt sich an sie. Damit wird die Lüge zum Kulturfaktor, der die Wirklichkeit verdoppelt - ja permanent als nicht eine, sondern doppelte und vieldeutige ausweist, der man, wenn man "zu sich kommt", weder in Formen noch Realitäten ganz vertrauen kann.

Das Opfer dieser intimen anthropologischen Prozesse ist die Vertrauenskultur, darunter an erster Stelle das Vertrauen in die Faktizität der Welt. Die Werbung lügt, aber sie wird immer besser, spielerischer, emotions- und vertrauensseliger und feiner darin, der Wahrheit zu ähneln, sie zum verosimile zu machen und sie sogar dem Kontext entsprechend politisch korrekt zu verkörpern. Es ist in offenen Gesellschaften mit den Internet-Fernseh-Informationskonglomeraten und Plattformen eine mächtige Industrie entstanden, die rund um die Uhr die Dinge umdeutet zu etwas, was sie nicht sind, und damit eine Lügenkultur etabliert hat, an die sich die Bürger längst als die neue Normalität von Information überhaupt, oder zumindest als deren wesentlichen Teil gewohnt haben.

Die Lüge als Wahrheit ist in immer feiner und feinmaschigeren, ausgeklügelteren Formen zum kulturellen Alltag offener Gesellschaften geworden, von der jeder weiß, dass sie nur Gewinninteressen verkleidet. Die Werbeindustrie, die die globalisierten Bilder beherrscht, informiert und paradigmatisch ausrichtet, auch jene der Film- und Fernsehindustrie, setzt jene Welt als reines Konstrukt erst durch, das die Postmodernen postulierten - und macht es zur permanenten, "normalisierten" Alltagserfahrung, die stündlich in ihrer Doppeldeutigkeit und Bodenlosigkeit erfahren wird. Die massenmedialisierte Werbekultur erst setzt die Lügenkultur in offenen Gesellschaften durch - und überwölbt damit wie mit einer kulturell-technologischen, allgegenwärtigen Massen-Geleemasse das Wahrheitsgerüst, dass der Humus und die unverzichtbare Vertrauensgrundlage von Demokratie ist.

Je weiter sich diese Kultur der lügenden Bilder, Worte und Produkte zur kulturellen Norm ausbreitet, desto weiter muss Demokratie in ihrem Wahrheitszentrum verkümmern. Das verändert Psychologien, auch jene von Wahrnehmung und letztlich auch Wahlverhalten. Diese Kultur macht die Menschen zugleich auch ungeduldiger und kompromissloser und "kurzatmiger", wenn sie etwas "haben" wollen. Etwas zu erreichen, wird auf dem Abkürzungsweg angestrebt, der Dialog dauert zu lange und ist im Grunde wegen fehlender Basis eher Zeitverschwendung, da ohnehin alles ein Konstrukt ist.

Es zählt, dass ich das erlange, was ich will - genau wie die Werbekultur suggeriert. Wie, ist zweitrangig - du musst es nur können. Gerade weil alles doppeldeutig und ohne "Substanz" oder, mit Obama gesprochen, ohne "Wahrheit" ist, muss notgedrungen der einzige Maßstab der Erfolg sein: das, was du mit dem Willen erreichst. Das gilt für tägliche Errungenschaften und Geld genauso wie für Wahlen und politische Ziele.

Nicht nur die Frankfurter Schule in Deutschland und ihre US-Ableger wie die New School of Social Research in New York haben das seit den 1950er Jahren herausgearbeitet, immer wieder als unterminierenden Faktor von Demokratie an ihren veritablen ideellen, geistigen und kulturell-zivilisatorischen Grundlagen bezeichnet und jahrzehntelang vor der Agglomeration dieses Bereichs gewarnt, der ihrer Ansicht nach dem militärisch-industriellen Komplex in nichts nachsteht, vor dessen Einfluss bereits Eisenhower in seiner berühmte Rede 1961 gewarnt hatte. Aber diese Betrachtungen wurden als Intellektualismus, als überzogen oder als typisch europäisch und für die Amerikaner kulturfremd abgetan.

Das Phänomen Trump hat jedoch bewiesen, dass die Kulturkritik den Kontext, in dem sich die Politik offener Gesellschaften entwickelt, früh und richtig verstanden hat. Er war in jeder Hinsicht ein Kind und Produkt des Medien-Informationssektors und seiner wachsenden Macht, die zunächst kontextpolitisch wirkte, dann direkt politisch wurde. Trump kommt aus dem Fernsehen und der Celebrity-Halbwelt und baute seine gesamte Karriere als Kapitalist von sehr früh an auf die Aufmerksamkeitsökonomie, der die Geldgeber, Banken und schließlich auch die Wähler wie durch Magie hypnotisiert folgten.

Donald Trump als Ganzes, als Marke und Performance, war bereits deutlich, wenn auch gerade in solcher Deutlichkeit vielleicht nur ein erstes Produkt dieser Kultur; und neue Trumps, die anders heißen, werden es weiterhin sein. Wir müssen verstehen: Nur die Ära Trumps ist zu Ende, nicht die des Trumpismus - der aus der Aufmerksamkeitsökonomie als Spektakel, Verführung und konsumierbares Erlebnisbild stammt, die zu Amerikas kulturellem Alltag geworden ist und sogar mit ökonomisch-sozialen Preisen bedacht wird.

Diesen tieferliegenden, von der europäischen Kulturkritik, wie gesagt, lange vor ihrer Zeit in ihrer kontextpolitischen Relevanz aufgewiesenen und von einzelnen US-Intellektuellen wie Susan Sontag oder Noam Chomsky seit jeher auch gegen die Mainstream-Linksmedien hervorgehobenen Faktor unterschätzt Obama offenbar noch: den kulturellen.

Zudem scheint Obama - eben wegen seiner eher einseitig juridischen und nicht ausreichend zivilisatorisch Aspekte einbeziehenden Betrachtungsweise - damit nur "gewisse" Rechtsmedien und soziale Mediengruppierungen zu meinen, nicht die Mainstream-liberalen Medien an sich. Damit beweist er sich als Systemstabilisator im Sinne der Eliten und des Establishments, deren Spiel er immer spielte, weil er es als karriereorientierter Harvard-Verfassungsjurist mit "dem amerikanischen System" identifizierte, wenn auch mit eigenen, zusätzlich stark zivilgesellschaftlich geprägten Schwerpunkten.

Auf der anderen Seite müssen wir bei aller Medien-Systemkritik natürlich fragen: wären wir ohne die Medien so viel besser dran? Würden wir mehr wissen, existentieller agieren? Diese Frage ist völlig offen, und ich glaube nicht an eine positive Antwort. Das genau macht es ja so schwierig mit der Beurteilung - und ist ein Grund für Obamas Zurückhaltung mit Systemkritik, seine Beschränkung auf Kritik an "bestimmten" Medien. Wer politisch denkt, darf die Hoffnung auf Objektivität nicht aufgeben. Das ist ein sine qua non, ohne das alles verloren ist. Insofern sollte man meiner Meinung nach Kritik, und sei sie noch so fundiert, in vorwärtsgerichteten Bahnen halten. Wie das geschehen kann, werden wir sehen müssen.

Trotzdem es mehr Ausdruck der Zeit als dessen Umgestaltung ist, wird das Vermächtnis von Trump insgesamt nicht in bester Erinnerung bleiben. Dies trotz (wie stets bei jedem Präsidenten) unbestreitbarer Leistungen - wie dem Aufmerksammachen auf die chinesische Jahrhundert-Herausforderung für den Weiterbestand der globalen Allianz der Demokratien, der Friedensverhandlungen mit den Taliban oder die Neubewegung der Nahost-Verhandlungen. Leistungen, die auch jemand gewiss nicht der Trump-Sympathie Verdächtiger wie der deutsche SPD-Außenminister Heiko Maas als bleibende Errungenschaften hervorhob. Dass Trump jedoch während der Stimmenauszählung diese stoppen wollte, ist einmalig in der US-Geschichte…

Denn das Heiligste einer Demokratie sind die Wahlen. Sie sind das sacrum ritum, das eigentliche Heiligtum und der sakrale Prozess: Wer während ihres Verlaufs in sie eingreift und die Stimmenauszählung während ihres Vollzugs an einer für ihn günstigen Stelle stoppen will, macht sich des Sakrilegs schlechthin schuldig und bewegt sich streng genommen in der Illegalität und bereits außerhalb der Demokratie. Und genau das hat Trump getan - wohlgemerkt als Oberbefehlshaber, Staatsoberhaupt und Regierungschef in einem.

Vielleicht wird er es später als Scherz oder Ironie abtun. Das war es aber in keinem Augenblick. Dass Trump die Auszählung der Briefwahlstimmen stoppen wollte, während sie im Gang war, um in einem günstigen Unentschieden-Moment des Wahlprozesses in Piratenart das Ganze mit "seinem" Supreme Court im Überfallsmodus zu kapern, weil ihm sein (aus seiner Sicht) üblicherweise sehr präzises Bauchgefühl sagte, er werde letztlich verlieren, ging gegen das Herz der US-Demokratie. Es war in dieser Form illegal. Wäre Trump wiedergewählt worden, wäre dieser Akt allein nun tatsächlich ein neues Impeachment wert gewesen - diesmal mit weit mehr Aussicht auf Erfolg als das erste.

Warum verharrte Trump auch nach dem Wahlverlust so beharrlich bei der Verschwörungstheorie von Wahlbetrug - womit er sich selbst unnötigerweise zu einem hohen Grad aus dem demokratischen Spektrum ausschloss?

Weil er einerseits die Geister, die er selbst rief, nicht mehr loswird. Der Mythos Wahlbetrug begann bereits am Anfang der Trump-Ära mit der stark an den verurteilten Betrüger gebundenen Roger Stone gebundenen Desinformations-Kampagne "Stop the Steal" ("Stopp dem Diebstahl"). Diese veranstaltete am 15. November eine Pro-Trump-Kundgebung und verwies dabei auf den angeblichen "Diebstahl" der Wahl, von dem die meisten Demonstranten behaupteten, sie hätten "davon gehört" und kämen, um "Freiheit und die des Landes" zu verteidigen.

Bereits in der Endphase des 2016er Wahlkampfs Clinton gegen Trump wurde von verschiedenen Quellen systematisch die Mär in sozialen Netzwerken verbreitet: Wenn Trump nicht gewinnt, haben sie die Wahl gestohlen - und wenn er gewinnt, werden sie versuchen, die Wahl zu stehlen.

Ironischerweise war es nach der Wahl eher Trump, der das versuchte. Dafür gibt es wie gesagt (siehe Teil 1) bislang keine ausreichenden Hinweise. Inzwischen haben sich praktisch alle Betrugsvorwürfe in Luft aufgelöst, wie die Mehrheit der US-Medien unter Berufung auf zuständige Sachverständige und Regierungsbeamte berichtet. Das führt dazu, dass sich immer mehr Republikaner vom amtierenden Präsidenten abwenden - was eine Wiederkandidatur 2024 unwahrscheinlicher macht. Allerdings war auch bereits Trumps Kandidatur für die Republikaner 2016 von den meisten seiner nunmehrigen Parteikollegen skeptisch bis ablehnend betrachtet worden. Parteiinterner Widerstand dürfte ihn also kaum aufhalten, wenn er die Zeit gekommen sehen sollte.

Doch Trump sieht sich - auch im Gefolge seines für ihn selbst überraschenden Wahlsiegs 2016 - als Auserwählten im Gefolge der "amerikanischen Prophezeiung" einer zyklischen Wiederholung der amerikanischen Geschichte seitens der Historiker William Strauss und Neil Howe.

Diese haben das Buch "Die vierte Wende" ("The Fourth Turning") geschrieben, das großen Einfluss auf Trumps ehemaligen engen Berater und Chefideologen Steve Bannons ausübte und hinter den Kulissen des Weißen Hauses Donald Trumps bis heute nach wie vor eine gewisse Rolle spielen dürfte. Die in dieser "amerikanischen Prophezeiung" enthaltene Grundidee ist die von Generationenzyklen im Sinn einer "ewigen Wiederkehr der Geschichte".

Alle 20 bis 25 Jahre wiederholt sich in wiederkehrender Abfolge seit den Anfängen der USA ein vierteiliger Zyklus des Aufstiegs, der Blüte, des Abstiegs und der krisenhaften, konfliktbeladenen Selbsterneuerung mittels Opfer und Krieg, der insgesamt 80 bis 100 Jahre dauert. Strauss und Howe nennen das den Frühling, Sommer, Herbst und Winter in der Politikgeschichte der USA, die sie auch als Zivilisationsgeschichte deuten, in der sich Amerikas Ideale zyklisch durch Häutungen und Tode hindurch erneuern.

Für Strauss und Howe befinden wir uns derzeit an der Grenze zwischen Herbst und Winter, das heißt in einer Phase des Niedergangs Amerikas, auf die ein 20 Jahre langer Winter folgen wird, in den die USA gerade eintreten und der voraussichtlich von Konflikten, inneren Zerwürfnissen und schließlich möglicherweise von einem großen Krieg gekennzeichnet sein wird, durch den sich Amerika "reinigt", überbordenden Egoismus und Interessensorientierung überwindet und seine nationalen Gemeinschafts-Ideale erneuert.

Diese Ideenwelt gehört klar der Rechten an, geht über reinen Konservativismus hinaus und ist eine "Große Erzählung", die zwar durch viele Beispiele illustriert wird, aber einer wissenschaftlichen Grundlage entbehrt, da diese Theorie weder falsifiziert werden kann noch mit anderen anerkannten Theorien im Austausch steht.

Howe hat im übrigen auch die Coronavirus-Pandemie in diese Richtung ausgedeutet, dass sie bereits eine Art Beginn des "Winters amerikanischer Geschichte" ist, mittels dessen sich aufgrund großer Opfer die Dekadenz zurückbesinnt auf die eigentlichen Werte und damit, wenn auch in einem längeren Prozess, zum "eigentlichen" Amerika zurückfindet. Es ist zu vermuten, dass Trump diese Deutung kennt. Einen gewissen Widerhall dieser Ideen konnte man an Trumps berüchtigter Corona-Rede nach seiner Entlassung aus dem Militärspital unter dem Einfluss von Steroiden erkennen, als er von seiner Corona-Infektion als einem "Segen Gottes" sprach, einem "Segen in den Himmeln".

Viele hielten das für wirres Gerede eines verwirrten Menschen, aber vermutlich sprach daraus auch ein gewisses Sendungsbewusstsein im Zeichen der "vierten Wende", das sich durch die direkte Nähe der Gefahr (Trump hatte vor seiner Einlieferung gefragt: "Werde ich sterben?") verstärkt haben dürfte. In jedem Fall dürfte sich Trump nach vier Jahren Amtszeit als jenen "leader" ansehen, der die USA durch die Zeit des Bruchs und der Selbsterneuerung führen muss - wie seine von ihm selbst nicht erwartete Wahl in aus seiner Sicht schicksalshafter Weise gezeigt hat. Der Winter, so wohl die Sichtweise Trumps, verlangt einen klaren "Führer", der hart ist und durch dick und dünn geht, auch gegen interne Widerstände.

Gegen wen der Konflikt genau ausgetragen wird, der Amerika letztendlich "reinigen" soll: gegen China oder den Islam ist bei Anhängern der Strauss-Howe-Theorie umstritten. Manche glauben, gegen beide zugleich, was einen umso stärkeren Willen zur Rückbesinnung auf und Erneuerung der Grundlagen verlangt. Das sind Gründe, warum Trump ein gewisses historisches Schicksalsbewusstsein für seine Person entwickelt haben dürfte, und warum er einerseits dem Konflikt mit China und dem Islam so grossen Stellenwert zuschreibt, andererseits so stark gegen "Europäisierungsversuche" seitens der linken Demokraten eintrat und dabei bis an die Grenze der Bürgerkriegsrhetorik ging.

Eben deshalb musste er auch von Betrug bei der Stimmenauszählung nicht einmal an sich, sondern der Geschichte ausgehen. Schließlich war er vor Corona mit einer der stärksten Wirtschaften aller Zeiten angesichts einer fast sicheren Wiederwahl dazu auserwählt, den begonnen Weg bis zum Ende weiterzugehen. Was sogar Träume von einer Verfassungsänderung zugunsten einer danach weiteren Verlängerung seiner Amtsführung nach Putinschem Vorbild einschloss.

Manche sehen Trumps Nachwahl-Verhalten allerdings auch viel einfacher als Fortsetzung einer notorischen Lebenslüge - wie sie etwa seine Nichte Mary L. Trump in ihrem Buch "Zu viel und nie genug" aus der Kindheits- und Lebensgeschichte des jungen Trump herleitet: Dass er immer ein Gewinner ist und sein muss, ganz egal, was das Umfeld, die Geschichte, die befreundete Umgebung, die eigene Familie oder die Fakten rückmelden. Und dass er, sollte das nicht so sein, jede Niederlage durch Unnachgiebigkeit, demonstrative Uneinsichtigkeit und Beharrlichkeit letztlich auf Dauer, und mit Hilfe unerwarteter Wendungen der Zeit, die nachträglich unvermutet Kontexte herstellen und Legitimation verleihen, in einen Sieg verwandeln kann. In dieser oder jener Weise - und sei es, dass er als "großer Mann, der unbeirrbar an etwas glaubte" in Erinnerung bleibt.

Ich würde Trumps Haltung, gemeinsam mit den wichtigeren politischen Aspekten, auch als übersteigerte Selbstprojektion von jemanden sehen, der nicht verlieren kann - und diese Haltung trotz aller Widrigkeiten in seiner biographischen Selbstwahrnehmung letztlich erfolgreich durchgezogen hat. Die Bewertung durch die Geschichte ist ihm dabei eines; noch wichtiger und als Maßstab sicherer ist das Hier und Jetzt. Trump hat einen Sinn für die Gegenwart von Geschichte in seiner Anwesenheit entwickelt, niemals aber für eine objektive Post-Betrachtung.

Das ist auch der Grund dafür, dass er öffentliche Proteste seiner Anhänger gegen das Wahlergebnis auch noch Wochen nach der Wahl duldete - entgegen der offiziellen Feststellung des Siegs Joe Bidens mit 306:232 Stimmen (also desselben Ergebnisses wie Trump gegen Clinton 2016) und einer wahrscheinlich ähnlichen Nachwahlsituation im Parlament wie zur zweiten Hälfte von Trumps Amtszeit. Trump unterstützte die Protest-Manifestationen sogar durch Vorbeifahren und Winken aus einer Limousine, darunter die sogenannte Million MAGA ("Make America Great Again") Demonstration Mitte November in Washington DC, zu der allerdings nicht eine Million, sondern nur wenige Tausend kamen. Was Trump wieder einmal ganz einfach… egal war.

Eben wegen dieser Anfechtung, den wirren Kundgebungen und dem Verhalten Trumps während und nach der Wahl warnte der ehemalige Präsident Obama zu Recht vor einer "Delegitimierung von Demokratie", weil dies einen Präzedenzfall für künftige Wahlen schaffen könnte. Und das wäre ein Aspekt des Vermächtnisses Trumps, den niemand wollen kann - nicht einmal ein Großteil der Republikaner und seiner hartgesottenen Anhänger und Bewunderer.

Warum war der Wahlausgang trotz der offensichtlich vielen Fehler Trumps, seiner zum Teil abstrusen Ideologie und trotz seiner teilweisen Inkompatibilität mit dem demokratischen System dann trotzdem so knapp?

Die Demokraten haben, teils als Reaktion auf Trump und auf der Suche nach einem neuen linken Populismus, selbst zu viele Fehler gemacht: Ihre Ideen waren vielen zu radikal. Sie drifteten unter der "lockeren" Führung der reichen liberalen kalifornischen Katholikin Nancy Pelosi zu weit nach links. Davor hatte bereits Obama im Wahlkampf gewarnt, ebenso die den Demokraten nahestehenden Mainstream-Medien wie CNN: "Dass die Demokraten versuchen, sich gegenseitig an ‚links‘ zu überbieten, ist die falsche Strategie und könnte Biden noch den sicher geglaubten Sieg kosten."

Diese Warnungen haben sich als richtig erwiesen. Sie verweisen genau auf den Kern der Krise der US-Demokratie: Radikalisierung. Diese kann sich Amerika weniger als Europa leisten, weil es nur zwei regierungsfähige Parteien hat - und darum Polarisierung und Entzweiung noch viel stärker und holzschnittartiger greift. Dazu kam der Öl-Sager von Biden bei der letzten Fernsehdebatte und vor allem der ungeklärte Skandal um seinen Sohn Hunter Biden, aber auch, wie erwähnt, Zensurversuche von Silikon Valley gegen entsprechende Meldungen und die fast schon peinliche Verschonung Bidens vor kritischen Fragen seitens der Mainstream-Medien, um ihm zur Wahl zu verhelfen.

Biden hat auch andere Fehler gemacht, die wir erwähnt haben, den Weltanschauungskampf befördern. Viele hielten ihn in Fragen wie China oder Russland oder "Kauft amerikanisch!" für den "anderen Trump". Und der Durchschnittswähler wählt nun einmal lieber den Schmied als den Schmiedl.

Doch wie sehr haben auf der anderen Seite Trump Angriffe aus den eigenen Reihen geschadet - zum Beispiel seitens der hunderten Mitarbeiter, die er entlassen hat? Darunter war zum Beispiel prominent Trumps ehemaliger nationaler Sicherheitsberater und US-Botschafter bei den Vereinten Nationen John Bolton, der sogar ein eigenes Buch vor den Wahlen lanciert hat, um Trumps Wiederwahl zu verhindern.

Dass Bolton Trump nicht wählen wollte, war letztlich eher zu des Präsidenten Vorteil. Bolton hatte - beispielhaft für viele ehemalige Trumpianer - Recht mit seiner Vorhersage, er würde nach der Wahl in jedem Fall deprimiert sein, egal wer gewinnt. Das sogenannte "Bolton-Enthüllungsbuch" ist, so wie viele andere, schnell aus der Öffentlichkeit verschwunden. Warum? Weil es ein absurd egozentrisches, besserwisserisches, in der Egomanie noch über Trump hinausgehendes, selbstgerechtes und narzisstisches Werk eines Outsiders ist, dessen einzige Botschaft ist: "Ich wäre der bessere Präsident (gewesen)".

Das Einzige, was dieser "Monolog" eines sich völlig überschätzenden Neiders gelehrt hat, ist, dass Trump offenbar wirklich keine Ahnung von Washington DC hatte und nicht "mit dem Politik-Sumpf verlinkt" war: dass er nämlich Mitarbeiter auch des engsten Kreises aufgrund Rufes, nicht Kenntnis einstellte. So Bolton, den er als "harten Kerl" einstellte, der Charakter habe, auch wenn er "schwierig" sei. Umgekehrt war Trump für Bolton immer noch zu "weich", er wollte stets noch "härtere" Politiken und am besten sofort und immer Direktkonflikt, auch mit China, wenn nötig auch durch militärische Nadelstiche.

Boltons Buch ist eine Monstrosität, die man nicht hätte verbieten müssen, weil es vor allem den Charakter ihres Schreibers offenlegt. Bolton wirft Trump in seinem Buch "Unentschlossenheit, Unwissen und Egoismus" vor. Dass dieser Mann, der ein lebendes Extrem ist, jemals US-UN-Botschafter werden konnte, ist eine Absurdität für sich - und ein Beispiel für Trumps verantwortungslose Auswahl seiner "Mitarbeiter auf Zeit", die er auch in zahllosen ähnlichen Fällen bewiesen hat, etwa mit der Auswahl Anthony Scaramuccis als Kommunikationschef des Weißen Hauses für genau elf Tage.

Was bleibt von Donald Trump?

Vor allem drei Dimensionen, die in der Tendenz tiefer reichen und überdauern werden:

- Er hat die Blickwinkelgebundenheit der Medien vor Augen geführt. Es gibt keine Neutralität, alles hat einen Gesichtspunkt.

- Außenpolitisch: Taliban-Friedensverhandlungen, Naher Osten (Heiko Maas).

- Innenpolitisch: "Make Amerika great again": Rückholung von Arbeit und Firmen, aber auch beispiellose Polarisierung und Radikalisierung sowohl der Republikaner wie der Demokraten.

Vor allem diese drei Aspekte übernimmt Biden als Erbe. Wichtig ist zugleich in der Bewertung, dass Trump nicht der letzte amerikanische Populist gewesen sein wird. Er war letztlich mehr Ausdruck als Verursacher der "populistischen Wende" der US-Demokratie, und dabei auch mehr ein Unfall als Anzeige einer wirklichen "Wende". Wie Daron Acemoglu in Foreign Affairs schrieb, muss es nun in der Biden-Ära darum gehen, die tieferen Ursachen und Gründe dafür zu verstehen und aufzuarbeiten:

Die autokratische, populistische Wende der Trump-Präsidentschaft ergab sich aus tiefen Brüchen in der amerikanischen Politik und Gesellschaft. Die Amerikaner müssen diese verstehen und angehen, wenn sie verhindern wollen, dass ähnliche Kräfte die Nation erneut an sich reißen. Die Wurzeln des Trumpismus beginnen oder enden nicht mit Trump oder gar mit der amerikanischen Politik - sie sind eng mit den wirtschaftlichen und politischen Strömungen verbunden, die [heute] einen Großteil der Welt beeinflussen.

Daron Acemoglu

Diese Aufarbeitung und - hoffentlich - behutsame und umsichtige Umformung wird eine Herkulesaufgabe, die nur unter konstruktiver Einbeziehung aller zu leisten sein wird.

Was also überdauert von Donald Trumps Präsidentschaft?

Trump hat in jedem Fall sowohl Amerika wie die Welt verändert - mit oder ohne Wiederwahl wie kaum ein Präsident vor ihm. Er hat mit bisherigen Maßstäben gebrochen und neue gesetzt - und damit "mehr Politik gemacht" als die meisten seiner Vorgänger bis vielleicht zurück zu Ronald Reagan. Er hat eine so nicht gekannte "alternative Stimme" eingebracht und das Establishment das Fürchten gelehrt, damit für eine so nicht dagewesen gesellschaftliche Bewegung gesorgt, die sowohl manch Positives wie auch Negatives mit sich gebracht hat.

Unter seinen "Errungenschaften" ist aber auch die Krise im Verhältnis mit Europa und die von ihm, vor allem aber von der Entwicklung der Globalisierung mit verursachte größte Krise der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der Vereinten Nationen. Das spiegelte sich unter anderem in den zwei Apokalypse-Reden von UN-Generalsekretär António Guterres vom Januar und Juni 2020 zum 75-Jahr-Jubiläum der Vereinten Nationen, der im Januar sogar von den "vier Reitern" der gegenwärtigen Phase globaler Entwicklung sprach: 1. die stärksten globalen geostrategischen Spannungen seit Jahren; 2. die existentielle Klimakrise; 3. tiefes und wachsendes globales Misstrauen; und 4. die dunkle Seite der digitalen Welt. An allen vier ist die Trump-Ära in der einen oder anderen Form beteiligt - was jedoch nicht unbedingt heißt, dass sie allein "daran Schuld" ist.

Daraus folgend lautet die wichtigste Frage an das Vermächtnis Trumps: Gibt es denn Trump-Nachfolger - natürlich neben ihm selbst, der sich ja weiterhin als den ersten "Trump nach Trump" sehen dürfte?

Die Ironie ist, dass erst nach den verlorenen Wahlen wirkliche "Mitarbeiter" und Nachfolger auftreten könnten: nämlich Nachahmer in der von Trump großteils ruinierten Republikanischen Partei. Trump selbst will zwar Nachfolger tunlichst vermeiden, weil er sich selbst als seinen einzigen Nachfolger sieht. Aber die Republikanischer Partei hat zwar sowohl in Repräsentantenhaus (vermutlich +5 oder mehr Sitze) wie Senat (vermutlich Behalt der Mehrheit von 51 Sitzen und damit Kontrolle) überraschend gut abgeschnitten und hier alle Vorhersagen über den Haufen geworfen, den status quo im Kern erhalten.

Was Biden in eine ähnliche Lage bringen würde wie Trump nach den Zwischenwahlen in den Jahren 2018-20. Die Meinungen gehen auseinander, ob der Erfolg der Republikaner im Kongress wegen oder trotz Trump der Fall war. Ich schließe nicht aus, dass einige vor allem jüngere Republikaner wie Matt Gaetz oder Marco Rubio nun auf Idee kommen, dass das Erfolgsgeheimnis Trumps wenigstens zum Teil übertragbar ist und von ihnen bei den nächsten Wahlen genutzt werden kann: volkstümliche, direkte und emotionale Sprache, extreme Vereinfachung, radikale Positionen, blindes Festhalten an und Umsetzung von Versprechen möglichst im Maßstab 1:1, niemals Entschuldigungen oder Schuldeingeständnisse, keinerlei Zugabe von Fehlern, Sonnenkönigtum mit Mitarbeitern, die nur um die Sonne rotieren und im Normalfall in sehr kurzen Zeiträumen zu eigenem Nutzen verschlissen und ausgetauscht werden, möglichst direkte Kommunikation mit der eigenen Basis und "dem Volk unter Umgehung der traditionellen Medien, und schließlich das ständige Jonglieren mit den oben erwähnten 3P's des Populismus, auch wenn es Anlass- oder kontextbedingt gar nicht nötig ist: Provokation, Personifikation, Popularität.

Wer dazu noch die "13 Schlüssel zum Weißen Haus" ("13 keys to the White House") von US-Analytiker Allan Lichtman einbaute und beherrschte, des einzigen, der auf der Grundlage dieses Kriterienkatalogs den Ausgang aller US-Präsidentschaftswahlen der vergangenen Jahrzehnte erraten hat, wer also diesen Katalog in- und auswendig deklinieren und ihn sich effizientestmöglich selbst zu eigen machen könnte, der hätte ähnliche Chancen auf den Sieg 2024 wie Trump 2016, wenn die Lager ähnlich polarisiert bleiben wie heute. Aus heutiger Sicht ist die Wahrscheinlichkeit dafür nicht unerheblich. Dafür müsste man natürlich im Bedarfsfall zusätzlich mit genauem Kalkül sorgen.

Wer kommt aus heutiger Sicht in Frage?

Man darf in der Nachfolgefrage mangels ernstzunehmender interner Kandidaten der Republikaner, wenn man vielleicht einmal von Texas-Senator Ted Cruz absieht, vor allem die landesweit bekannten Medienfiguren der Konservativ-Rechten nicht unterschätzen. Sie würden sozusagen nahtlos in die Fußstapfen Trumps treten.

Er wurde schließlich auch wegen seiner ikonischen Fernsehberühmtheit gewählt mit dem berühmtesten, mittlerweile in den USA umgangssprachlichen Satz: "You are fired" in der TV-Show "Der Lehrling", was viele Globalisierungsverlierer bei der Wahl 2016 als Wunsch direkt auf das Establishment und die Eliten übertrugen und daher Trump wählten. Aus heutiger Sicht werden Tucker Carlson und Sean Hannity, den Herzeige-Gesichtern, Meinungsführern und politischen Leitintellektuellen von Fox News, einem der wenigen Rechtssender, die auch von der liberalen politischen Korrektheit mehr oder weniger ernst genommen werden, gewisse Ambitionen auf höhere politische Positionen bis zur Präsidentschaft nachgesagt.

Diese könnten sie auf ihre große Popularität in der Aufmerksamkeitsökonomie der Wählern der Republikaner aufbauen. Ob und in welcher Form das geschehen wird, ist bislang allerdings völlig offen. Beide würden es sich sicherlich zwei Mal überlegen, direkt gegen eine - zumindest aus heutiger Sicht - mögliche Wiederkandidatur Trumps 2024 anzutreten.

Roland Benedikter ist Forschungsprofessor für Multidisziplinäre Politikanalyse in residence am Willy Brandt Zentrum der Universität Wroclaw-Breslau und Co-Leiter des Center for Advanced Studies von Eurac Research Bozen. Homepage. [Link auf http://www.eurac.edu/en/research/center-for-advanced-studies/Pages/default.aspx]Kontakt: roland.benedikter@eurac.edu