"Das Wichtige des Tages" ohne den Globalen Süden?
- "Das Wichtige des Tages" ohne den Globalen Süden?
- Kein einziger Bericht über die "weltweit schlimmste humanitäre Krise"
- Verantwortung der Medien
- Auf einer Seite lesen
Medien: Was mit Themen passiert, die für 85 Prozent der Weltbevölkerung wichtig sind – am Beispiel der Nachrichtensendung der Schweiz. Große Lücken zeigen auch andere. Gastbeitrag.
Nur etwa 10 Prozent der Sendezeit der wichtigsten Nachrichtensendung der Schweiz, der Tagesschau im SRF, entfällt auf den Globalen Süden, obwohl dort etwa 85 Prozent der Weltbevölkerung leben.
Wichtige Ereignisse und Entwicklungen wie die Lage im Jemen, die als "weltweit schlimmste humanitäre Krise" bezeichnet wird und der Bürgerkrieg in Tigray (Äthiopien), der als "tödlichster Krieg des 21. Jahrhunderts" gilt, wurden in den Nachrichten kaum bzw. gar nicht behandelt.
Mit der Ankündigung, "das Wichtige des Tages" in den Blick zu nehmen, begrüßt die Moderatorin Andrea Vetsch die Zuschauerinnen und Zuschauer der Tagesschau im SRF (Schweizer Radio und Fernsehen).
Diese ist unangefochten die reichweitenstärkste Nachrichtensendung der Schweiz. Im Jahr 2022 verzeichnete sie im Durchschnitt einen Marktanteil von über 50 Prozent und gehört für zahlreiche Schweizerinnen und Schweizer zu den zentralen Nachrichtenquellen des Tages.
Dementsprechend wichtig ist die Frage, über welche geografischen Räume in der SRF Tagesschau berichtet wurde und insbesondere auch, über welche kaum bzw. gar nicht.
Eine Untersuchung hat 365 Sendungen (etwa 150 Stunden) der Tagesschau Hauptausgabe um 19.30 Uhr sowie als Ergänzung und Vergleichsmedium 42 Sendungen (ca. 55 Stunden) der soziopolitischen Talkshow Club im SRF ausgewertet.
Während die Nachrichten 2020 und 2021 von der Covid-Pandemie beherrscht wurden, wurde im Jahr 2022 diese vom Ukraine-Krieg und seinen Auswirkungen (z.B. im Energiesektor) als wichtigstes Nachrichtenthema abgelöst. Insgesamt entfiel etwa ein Drittel der Sendezeit der SRF Tagesschau auf diesen Themenbereich.
Der Ukraine-Krieg hatte und hat zweifelsfrei höchst weitreichende menschliche, politische und sozioökonomische Auswirkungen in zahlreichen Bereichen. Im Jahr 2022 ereigneten sich allerdings auch eine Reihe von humanitären Krisen und Katastrophen im Globalen Süden, die nur auf sehr geringes mediales Interesse stießen.
Weiter Artikel zum Thema von Ladislaus Ludescher:
Medien: Der Globale Süden bleibt Nebensache
Medien: Agenda Setting auf Kosten der Ärmsten
In der Schweizer Tagesschau wurde diesen Ereignissen in der Regel nur wenig oder teilweise sogar keine Aufmerksamkeit gewidmet. Die geografische Verteilung der Beiträge zeigt, dass der Globale Norden die Nachrichten (Abb. 1) und auch die Topthemen dominierte.
In der Tat entfielen im Jahr 2022 etwa 42 Prozent der Sendezeit der Tagesschau im SRF auf die Schweiz, 47,5 Prozent auf die anderen Staaten des Globalen Nordens und lediglich ca. 10,5 Prozent auf die Länder des Globalen Südens (Abb. 2) – in den Topthemen waren es sogar nur 6,5 Prozent.
Ein einziger Bericht über den "tödlichsten Krieg des 21. Jahrhunderts"
Ende des Jahres 2020 brach in der nordäthiopischen Region Tigray ein Bürgerkrieg aus, in den auch Eritrea verwickelt war und in deren Folge bis zum Waffenstillstand im November 2022 Schätzungen zufolge bis zu 600.000 Menschen starben.
Im Januar 2023 wies die spanische Tageszeitung El País darauf hin, dass es sich bei dem militärischen Konflikt damit um den "tödlichsten Krieg des 21. Jahrhunderts" handelt. In der Schweizer Tagesschau, wie auch in anderen deutschsprachigen Medien, wurde er aber fast vollständig ausgeklammert.
Während die SRF Tagesschau 2022 in etwa 113.315 Sekunden Sendezeit über den Ukraine-Krieg berichtete, widmete sie dem Krieg in Äthiopien im gesamten Jahr lediglich einen Beitrag mit einer Länge von 150 Sekunden (Abb. 3).