"Das Wichtige des Tages" ohne den Globalen Süden?
Seite 2: Kein einziger Bericht über die "weltweit schlimmste humanitäre Krise"
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Als "weltweit schlimmste humanitäre Krise" stufen die Vereinten Nationen die Situation im Jemen ein, wo seit 2014 ein Bürgerkrieg zwischen Huthi-Rebellen und der Regierung herrscht, in dem bis Ende 2021 schätzungsweise über 377.000 Menschen gestorben sind.
Etwa zwei Drittel der Bevölkerung, mehr als 23 Millionen Menschen – darunter mehr als die Hälfte Kinder – sind bis heute auf humanitäre Hilfe angewiesen.
In der Schweizer Tagesschau wurde hierüber kein einziges Mal berichtet. Der Jemen wurde zwar kurz exkursorisch in drei Berichten erwähnt (Abb. 4), aber mit keinem eigenständigen Beitrag bedacht, der die humanitäre Notlage thematisiert hätte.
Ergebnisse der soziopolitischen Talkshow Club im SRF
Die mediale Dominanz des Globalen Nordens und Vernachlässigung des Globalen Südens ist auch für die Diskussionssendung Club zu konstatieren. Von den 3.270 Sendeminuten des Jahres 2022 wurden etwa 1.165 der Ukraine gewidmet sowie ca. 320 Minuten der Corona-Pandemie und etwa 165 Minuten der Energiefrage.
Demgegenüber wurde Äthiopien nur ein Mal (fünf Sekunden) erwähnt (im Zusammenhang mit der Dürre, nicht mit dem Bürgerkrieg in Tigray) und der Jemen einige Mal in Exkursen oder Nebensätzen aufgezählt, die zusammen weniger als eine halbe Minute ausmachen.
Beide Kriege wurden also praktisch nicht thematisiert und waren medial nicht existent. Besonders erklärungsbedürftig erscheinen die Ergebnisse, da der Club im Juli und August eine vierteilige Sommerserie mit dem geografisch allgemein gehaltenen Titel "Krieg und Frieden" ausstrahlte, in dem aber weder der Bürgerkrieg in Tigray noch im Jemen thematisiert wurden.
Im Mittelpunkt der am 9. August 2022 ausgestrahlten vierten Sendung der Serie, die den Untertitel "Die Spuren des Krieges" trug, standen der Ukraine-Krieg, der Genozid von Srebrenica in Bosnien und Herzegowina im Jahr 1995 sowie die aktuelle politische Lage in Belarus.
Auch die Sendung vom 22. März mit dem Untertitel "Krieg, das große Verbrechen" wäre eine Gelegenheit gewesen, auf den "tödlichsten Krieg des 21. Jahrhunderts" (Tigray) sowie die "weltweit schlimmste humanitäre Katastrophe" (Jemen) aufmerksam zu machen, aber beide Krisengebiete wurden nicht erwähnt.
Insgesamt verteilte sich die Sendezeit des Clubs zu 93 Prozent auf den Globalen Norden und 7 Prozent auf den Globalen Süden. Die geografisch mit dem Globalen Süden verbundenen Themen, die in der Polit-Talkshow behandelt wurden, waren die Winterolympiade in China, die Proteste im Iran sowie die Fußball-WM in Katar.
Vernachlässigung des Globalen Südens in deutschsprachigen Medien
Die Schweizer Tagesschau gehört zu der Gruppe der Medien im deutschsprachigen Raum, die nur etwa 10 Prozent ihrer Sendezeit für Nachrichten aus dem Globalen Süden verwenden, obwohl dort mehr als 85 Prozent der Weltbevölkerung lebt (Abb. 5).
Dabei ist festzuhalten, dass es frappierend ist, wie sehr sich die geografischen Berichtschemata der Schweizer Tagesschau, der österreichischen Zeit im Bild (ZIB) 1 und der deutschen Tagesschau ähneln.