Junge Wähler in Europa tendieren immer mehr zu rechten Parteien

Für wen wir die Europawahl 2024 zum Sommermärchen? Bild: Jacob Lund, Shutterstock.com

Bei den Europawahlen im Juni wird ein Rechtsruck befürchtet. Das betrifft nicht nur Deutschland. Über einen neuen Zeitgeist und die Deutung von Umfragen.

In ganz Europa scheint eine neue Generation von Wählern aufzusteigen, die sich zunehmend für rechte Parteien entscheidet. Dieser Trend ist in mehreren EU-Ländern zu beobachten, von Frankreich über die Niederlande hin zu Deutschland. Junge Menschen scheinen weniger Berührungsängste mit Parteien zu haben, die für die Generation ihrer Eltern oft als unwählbar galten. Dies berichtet das Handelsblatt.

Das coole Gesicht der neuen Rechten

In Frankreich ist Jordan Bardella, ein Vertreter des Rassemblement National (RN), der früheren Front National, ein Beispiel für diese Entwicklung. Bardella, der als Erbe von Marine Le Pen gilt, hat der Partei ein gemäßigteres und jüngeres Image verliehen.

Bei der bevorstehenden Europawahl wird erwartet, dass RN die stärkste Kraft wird, auch dank zahlreicher Stimmen von jungen Wählern, darauf wies unlängst auch das Handelsblatt in einem Artikel hin, in dem Experten zu Wort kamen.

Zukunftssorgen als Triebfeder

Politikwissenschaftler Benjamin Biard vom Sozialforschungszentrum Crisp in Brüssel etwa stellt fest, dass unter jungen Europäern derzeit besonders große Zukunftssorgen verbreitet sind. Die Jugend in Deutschland wird laut der Studie "Jugend in Deutschland 2024" immer unzufriedener, insbesondere in Bezug auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), äußert sich besorgt über diese Entwicklung. Er warnt, dass eine Schwächung Europas durch den Rechtsruck der jungen Generation letztlich ihre eigenen Zukunftschancen verschlechtern und Deutschland und Europa viel Wohlstand kosten könnte.

Reizthemen Migration und innere Sicherheit

In Schweden hat die rechtspopulistische Partei Schwedendemokraten ihren Stimmenanteil bei jungen Wählern von zwölf auf 22 Prozent erhöht. Der Politikwissenschaftler Tommy Möller von der Universität in Stockholm sieht die eskalierende Bandenkriminalität in Schweden als einen Grund für diesen Rechtsrutsch.

In Spanien und Portugal sind es eher wirtschaftliche Zukunftsängste, die junge Wähler zu rechtspopulistischen Parteien treiben. Die Parteien setzen auf traditionelle Themen wie Vaterland und Familie und inszenieren sich als Versteher der Jugend.

Trendy auf Tiktok

Die rechten Parteien nutzen bevorzugt soziale Medienplattformen wie Tiktok, die bei jungen Menschen beliebt sind, um ihre Botschaften zu verbreiten. Inzwischen nutzt in Deutschland mehr als die Hälfte aller 14- bis 29-Jährigen die App regelmäßig.

Die AfD ist auf Tiktok sehr aktiv und hat dort mehr Präsenz gezeigt als alle anderen Bundestagsparteien zusammen.

Melonis Marsch durch die Institutionen

In Italien hat Giorgia Meloni, die Führerin der Fratelli d’Italia, die sozialen Medien zum zentralen Kommunikationsinstrument ihrer Regierung gemacht. Sie hat auf Tiktok 1,5 Millionen Follower und ist damit eine der erfolgreichsten Politikerinnen in Italien auf dieser Plattform.

Brüssel macht sich Sorgen

Die Stimmungslage, insbesondere bei enttäuschten Jugendlichen, wird im Machtzentrum der EU sehr genau registriert. Die EU-Abgeordnete Svenja Hahn (FDP) berichtet, dass sie von jungen Menschen immer häufiger zu Themen wie Sicherheits- und Migrationspolitik, Wirtschaft und Rente befragt wird.

Aufklärung hilft

Die Anthropologin Julia Ebner, die in Oxford zu rechtem Extremismus und Islamismus forscht, betont die Notwendigkeit der Aufklärung über die sozialen Medien. Sie plädiert dafür, im Bildungsbereich die Schnittstelle zwischen Psychologie und Digitalkompetenz zu behandeln. Junge Menschen müssten lernen, wie digitale Räume auf sie wirken und wie diese Mechanismen missbraucht werden können, um sie zu manipulieren.

Die Frage bleibt, wie lange dieser Trend anhält und welche Auswirkungen er auf die Demokratie in Europa haben wird.

22-Prozent-Umfrage wird in Frage gestellt

Eine Umfrage in Deutschland hatte unlängst ergeben, dass 22 Prozent der Jungwähler in Deutschland sich vorstellen können, die AfD zu wählen. "Rechtsruck bei junger Generation", "Viele junge Menschen für AfD" oder "22 Prozent der jungen Menschen würden AfD wählen", waren einige Überschriften. Diese Deutung sei "zumindest irreführend", hieß es in dem umstrittenen "Faktenerfinder" der ARD.

Denn in der Studie, die seit 2020 regelmäßig vom Jugendforscher Simon Schnetzer und seinen Kollegen durchgeführt wird, tauchen die 22 Prozent zwar auf - beziehen sich jedoch nur auf diejenigen Befragten, die zum einen wissen, wen sie wählen würden, und zum anderen, die auch wählen gehen würden. Und das macht einen erheblichen Unterschied.

ARD-"Faktenfinder"

Am Abend des 9. Juni werden wir über Fakten, Faktenfinder und Faktenerfinder mehr wissen.