Linke Wahlsieger in Finnland und Schweden erteilen Sahra Wagenknecht eine Absage
In nordischen Ländern haben Linke und Grüne einen beachtlichen Erfolg errungen. Abstriche in Position zur Nato. Klare Haltung zu deutschem Newcomer.
Eine Linke mit einem Stimmenzuwachs von zehn Prozent. Eine rechtsnationale Partei, deren Ergebnis fast auf die Hälfte zusammenschrumpft. So geschehen in Finnland bei der Europawahl 2024, und eine ähnliche Tendenz, weniger stark, gab es in Schweden.
Damit fahren die beiden Länder aktuell gegen den Trend. Wofür stehen diese nordischen Linken – und sind sie möglicherweise Partner für Sahra Wagenknechts BSW im Europaparlament? Spoiler: Nein.
Linksverbund-Spitzenkandidatin Li Andersson war in Finnland die Überraschungssiegerin des Wahlabends. Sie brachte ihrer Partei ein Plus von 10,4 Prozent, womit diese zweitstärkste Kraft in Finnland wurde, was auch die Umfrageinstitute so nicht vorhergesehen hatten.
Sie ist Noch-Parteivorsitzende, ehemalige Ministerin in der Regierung von Sanna Marin, ehemalige Kandidatin bei der jüngsten Präsidentschaftswahl und eloquente Diskutantin in beiden Landessprachen. "Sie schafft es, über Europa auf eine sehr konkrete Art zu sprechen", so Politik-Kommentatorin Marianne Sundholm.
In Schweden war es Jonas Sjöstedt, ehemaliger Vorsitzender der Linkspartei, zeitweise aus der Politik ausgestiegen, der mit seinem Comeback für eine Steigerung von immerhin gut vier Prozent sorgte, was die größte unter den schwedischen Wahlergebnissen ist.
Wie bedeutsam gerade diese beiden Figuren für den Wahlerfolg waren, zeigen die persönlichen Stimmen, die in den beiden Ländern möglich waren.
Sozialisten stärker als Sozialdemokraten
Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf den Erfolg der dänischen Sozialistischen Volkspartei (SF), die bei der EU-Wahl noch mehr Stimmen bekam als die dänischen Sozialdemokraten.
Sowohl in Finnland als auch in Schweden haben die linken Parteien selbstverständlich Wahlkampf mit sozialer Gerechtigkeit gemacht. In beiden Ländern konnten die Linken sich dabei gegen eine aktuelle rechte Regierungspolitik positionieren. Ein Schwerpunkt war in beiden Ländern auch die Klimapolitik.
Beide Spitzenkandidaten haben außerdem die Notwendigkeit betont, die Ukraine weiter zu unterstützen – ein Punkt, bei dem sie keine Kompromisse machen wollen, da es um die Verteidigung der Demokratie gehe.
Absage an BSW – auch offen
Sowohl Li Andersson als auch Jonas Sjöstedt sind in Interviews danach gefragt worden, wie sie damit umgehen wollen, dass andere Mitglieder in der europäischen Linkspartei eine andere Haltung zur Ukraine-Politik haben als sie. Auch nach einer möglichen Kooperation mit Sahra Wagenknechts BSW wurde gefragt.
Das BSW wird in schwedischen und finnischen Medien ungefähr so präsentiert: "Linkspopulistisch", "in Asylfragen ähnlich wie die AfD", "will die Unterstützung der Ukraine beenden und mit Putin verhandeln", "wieder Gas aus Russland beziehen", aber "mehr links orientierte Wirtschaftspolitik".
"Die Gruppen werden zu Beginn der Wahlperiode immer neu gebildet, und wir wollen die Gruppe so reformieren, dass sie außen- und sicherheitspolitisch einheitlicher ist als jetzt", sagte Andersson dazu in Helsingin Sanomat. Sie geht davon aus, dass Haltung zu Russland und der Ukraine dabei eine zentrale Rolle spielen wird.
Die Aufnahme einer Gruppe wie dem BSW hält sie dabei für vollkommen ausgeschlossen. "Sie sind in der Links-Gruppe nicht willkommen", sagt auch Jonas Sjöstedt über das BSW im schwedischen Radio, "wir können nicht in derselben Gruppe sitzen."
Nato-kritisch, aber für Waffenlieferungen in die Ukraine
Dabei sind die finnischen und schwedischen Linken Nato-kritisch. Beide Länder sind bekanntlich gerade dem Militärbündnis beigetreten, als Folge von Russlands Angriff auf die Ukraine. Die Zustimmung dazu war in Finnland, dem direkten Nachbarn mit 1.320 Kilometer Grenze zu Russland, besonders hoch.
Die einzige Partei in Finnland, die sich auch 2023 noch mit dem Beitritt schwertat, war der Linksverbund. Acht Abgeordnete stimmten damals dafür, darunter die Vorsitzende Li Andersson, sechs dagegen.
Nato sorgt in Schweden für Dissens
In Schweden war weniger Konsens zum Beitritt: Sowohl die Linkspartei als auch die grüne Umweltpartei stimmten geschlossen dagegen. Beide Parteien wollen auch gegen das Defence Corporation Agreement mit den USA stimmen, das am 18. Juni auf der Tagesordnung steht.
Die Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine war anfangs unter den schwedischen Linken umstritten. Jonas Sjöstedt war jedoch schon damals dafür:
Die Ukraine hat ein Recht, sich zu verteidigen. Es liegt in Schwedens Sicherheitsinteresse, dass Russlands Invasion nicht gelingt.
Wenig später schwenkte auch Parteichefin Nooshi Dadgostar um. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Finnland und Schweden unterstützen die Ukraine im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftskraft stärker als Deutschland, zumindest laut dem Tracker des Kieler Weltwirtschaftsinstituts. Stimmen dagegen sind praktisch nicht zu hören – und man würde sofort verdächtigt, in Putins Dienst zu stehen.
Für das BSW wird die Aufnahme in eine Gruppe voraussichtlich gar kein Problem: Der frisch gewählte BSW-Europaabgeordnete Fabio De Masi sagte im Interview mit der taz, man wolle sich keiner Gruppe anschließen, sondern eine eigene gründen.
Rechtsaußen-Parteien mit Verlusten
Aber was ist mit den nationalistischen Parteien in Finnland und Schweden passiert, die in den vergangenen Jahren immer wieder mit ihren Erfolgen Schlagzeilen machten? Die Schwedendemokraten mussten erstmals einen Rückgang verzeichnen, die Basisfinnen verloren sogar massiv an Stimmen. Zwei Punkte dürften auf diesen Wahlausgang zumindest Einfluss gehabt haben:
- Geringe Wahlbeteiligung, wobei es vorwiegend den nationalistischen Kräften nicht gelungen ist, ihre Anhänger zu mobilisieren.
- Als Regierungspartner werden die nationalistischen Kräfte – zu Recht – für Defizite in der Landespolitik mitverantwortlich gemacht.
Finnland: Harter Fall für die Basisfinnen
Mit der neuen Parteivorsitzenden Riikka Purra erreichten die Basisfinnen (Perussuomalaiset, manchmal auch als "Wahre Finnen" übersetzt) bei der Parlamentswahl 2023 so viele Stimmen wie nie zuvor – 20,1 Prozent. Nur ein paar Zehntelprozent fehlten bis zum Wahlsieger, der liberalkonservativen Sammlungspartei von Petteri Orpo (20,8).
Die Basisfinnen sind heute offiziell Teil der Regierung. Riikka Purra ist Finanzministerin, aus ihrer Partei kommen unter anderem auch die Innenministerin, der Wirtschaftsminister und die Justizministerin. Die Regierung Orpo/Purra praktiziert zurzeit eine strenge Sparpolitik mit Kürzungen sozialer Leistungen und viel Rücksicht auf die Arbeitgeber.
Vor kurzem gab es deshalb einen langen, aber relativ erfolglosen Streik in Finnland. Gerade beschloss die Regierung, zum 1. September die Umsatzsteuer um 1,5 Prozent (von 24 auf 25,5 Prozent) zu erhöhen.
Bei Petteri Orpos Wählern kommt das offensichtlich gut an, die Sammlungspartei (finnisch Kokoomus) konnte gegenüber dem EU-Wahlergebnis von 2019 sogar um 4 Prozent auf 24,8 Prozent zulegen. Riikka Purras Partei dagegen, die 2019 noch 13,8 Prozent erhielt, endete nun bei 7,6 Prozent. Li Anderssons Wahlkampf bezog unter anderem deutlich Stellung gegen diese Politik, und der Linksverbund verbesserte sich um 10,4 Prozent auf 17,3 Prozent.
Möglicherweise auch auf Kosten der finnischen Grünen, die um 4,7 Prozent auf 11,3 Prozent zurückgingen, während die Sozialdemokraten ihr Ergebnis mit 14,9 Prozent ungefähr halten konnten (Alle finnischen Wahlergebnisse).
Schweden: Erster Rückgang für die Schwedendemokraten
Die Schwedendemokraten wurden bei der Parlamentswahl 2022 mit 20, 9 Prozent zweitstärkste Kraft hinter den Sozialdemokraten und hatten sogar 1,5 Prozentpunkte mehr als die "Moderaten" des heutigen Regierungschefs Ulf Kristersson. Die Schwedendemokraten sind nicht offiziell Teil der Regierung, aber mit den drei Parteien der Minderheitsregierung durch ein Abkommen eng verbunden.
Als größte Fraktion in dieser Kooperation haben die Schwedendemokraten großen Einfluss. Nur in sehr seltenen Fällen hat sich Kristersson bisher eine Mehrheit "auf der anderen Seite" gesucht.
Dieser Einfluss zeigt sich unter anderem in einer Umwelt- und Klimapolitik, die jüngst von Schwedens klimapolitischem Rat als "weder kurz-noch langfristig ausreichend" zerrissen wurde.
Dies mag die Wähler der Schwedendemokraten nicht stören. Für viel Diskussion sorgte allerdings jüngst die Enthüllung von TV4, dass die Partei systematisch Kampagnen über Social-Media-Konten fuhr, die nicht als Parteikonten gekennzeichnet waren, aber von dort betrieben wurden, was man üblicherweise als "Trollfabrik" bezeichnet.
Bei der EU-Wahl bekam die Partei jedenfalls nur noch 13,2 Prozent, was ein Verlust von 2,1 Prozent gegenüber der EU-Wahl 2019 bedeutet – und den ersten Rückgang bei einer Wahl für die Partei überhaupt.
Für Regierungschef Ulf Kristersson mag es ein Trost gewesen sein, dass seine Partei in dieser Wahl mit 17,6 Prozent besser abschnitt als die Schwedendemokraten, wenn auch nur mit minimalem Zuwachs. In Schweden gewannen sowohl die Sozialdemokraten (+1,4 Prozent auf 24,8 Prozent), die grüne Umweltpartei (+2,3 Prozent auf 13,8 Prozent) und eben die Linkspartei (+4,2 auf 11 Prozent) (Alle schwedischen Wahlergebnisse).
Für nordische Verhältnisse sind die Wahlsiege von Andersson und Sjöstedt groß. Doch es sind Länder mit geringer Bevölkerung und wenigen Sitzen im Europaparlament. Finnland darf nur 15 Abgeordnete schicken, davon kommen nun drei vom Linksverbund, zwei von den Grünen und einer von den Basisfinnen. Schweden darf 21 Abgeordnete schicken, darunter sind zwei Linke, drei von der grünen Umweltpartei sowie immer noch drei von den Schwedendemokraten.
Zum Vergleich: Deutschland schickt 96 Abgeordnete nach Brüssel, davon allein 15 von der AfD, zwölf von den Grünen, sechs vom BSW und drei Linke.