Sahra Wagenknecht und das Bürgergeld: Steht ihr BSW noch an der Seite der Armen?
Aussagen zu "Missbrauch" von Bürgergeld: BSW-Gründerin zeigt sich auch sozialpolitisch anschlussfähig an die CDU. War es das mit ihrem Markenkern? Ein Kommentar.
Die Unionsparteien haben sich in der Bürgergeld-Debatte klar positioniert: Sie wollen in den diversen Wahlkämpfen weiter gegen einkommensarme Menschen mobilisieren – oder diese in gegeneinander ausspielen und vermeintlich faulen Erwerbslosen das Existenzminimum streichen.
Das gefällt den Kapitalverbänden. Denn schließlich sinkt der Preis für die Ware Arbeitskraft, wenn immer mehr Menschen gezwungen werden, Arbeit um jeden Preis zu suchen.
Das aber ist die Konsequenz, wenn einkommensarme Menschen immer mehr sanktioniert werden, Arbeit um jeden Preis annehmen war schon das Ziel der SPD bei der Einführung der Hartz-IV-Gesetze vor rund 20 Jahren. Damals gehört der Sozialdemokrat Oskar Lafontaine zu den schärfsten parteiinternen Kritikern dieser Politik.
Gegen Hartz IV: Zielgruppe mit rationaler Existenzangst
Er war wesentlich an der Gründung der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) beteiligt und ohne ihn wäre der Zusammenschluss mit der PDS zur Linkspartei wahrscheinlich nicht so schnell und relativ komplikationslos über die Bühne gegangen.
Das ist ja nun schon lange Geschichte – und Lafontaine hat noch vor seiner Weggefährtin und Ehefrau Sahra Wagenknecht die Linkspartei verlassen und ist heute ein wichtiger Stichwortgeber des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).
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Eigentlich hätte man annehmen können, dass sich diese Formation scharf gegen alle Angriffe auf das Bürgergeld wenden würde. Schließlich gehörte die Rücknahme von Hartz IV zu den Grundsätzen, die Wagenknecht in der Linkspartei immer betont hatte. Ihre Abkehr und ihr späteren Austritt aus der Linkspartei begründete Wagenknecht auch damit, dass sich die Partei von der ursprünglichen Zielgruppe, nämlich einkommensarmen Menschen und solchen mit sozialen Existenzängsten, entfremde.
Wagenknechts sozialpolitische Annäherung an die CDU
Jetzt hat sich Wagenknecht in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in dem Gestus der CDU über "Missbrauch" des Bürgergeldes echauffiert. Wie die CDU moniert auch Wagenknecht, dass der Begriff Bürgergeld impliziere, dass mit dem Geld Bürger versorgt werden sollen, dabei solle es darum gehen, "Arbeitslose absichern, die schuldlos ihren Job verloren haben und zunächst keinen neuen finden".
Dabei solle sich die Höhe der Absicherung langfristig an der zuvor erbrachten Leistung und dem daraus entstandenen Einkommen der Empfänger orientieren.
Wagenknecht, die in ihrem letzten Buch für eine "linkskonservative" Politik geworben hat, kritisiert nun nach CDU-Manier, dass durch das Bürgergeld falsche Anreize geschaffen würden: "Für eine pauschale Erhöhung des Bürgergeldes gibt es so lange keine Akzeptanz in der Bevölkerung, solange Missbrauch nicht stärker eingedämmt wird." Das ist im Grunde ein Standardargument von Neoliberalen, Rechtskonservativen und klassisch Rechten.
Die Mär vom Bürgergeld-Missbrauch: Das sagen die Jobcenter
Dabei haben Jobcenter-Vertreter betont, dass die Zahl der Menschen, die sich generell weigern, Lohnarbeit zu suchen, gering ist. Sozialverbände weisen zudem davon hin, dass die derzeitige Höhe des Bürgergeld-Regelsatzes mit 563 Euro im Monat viel zu gering ist. Sie fordern eine Erhöhung auf 813 Euro monatlich – unabhängig davon, welches Arbeitseinkommen zuvor erzielt wurde.
Wäre es nicht eigentlich die vornehmste Aufgabe einer Partei, die sich auf die Fahne geschrieben hat, Politik für die einfachen Menschen zu machen, diese Forderungen von Sozialverbänden und aktiven Erwerbslosen zu unterstützen?
Statt Armut per Gesetz zu kritisieren, spricht Wagenknecht vom angeblichen Missbrauch des Bürgergeldes und übernimmt damit die Erzählung des Eigentümerblocks. Das ist nicht weit weg von der Hetze gegen "leistungsloses Einkommen", die von CDU/CSU bis AfD in Deutschland und Giorgia Meloni in Italien reicht.
Mahnendes Beispiel: Klassenkampf gegen die Armen
Eine ihrer ersten Maßnahmen als Ministerpräsidentin bestand in der Abschaffung des von der Fünf-Sterne-Bewegung eingeführten Bürgergeldes. Diese Abschaffung ist mit massiven Verschlechterungen für die Armen verbunden.
Der Bürgermeister von Bacoli, Josi Gerardo Della Ragione, formulierte es laut einem ZDF-Bericht noch drastischer: "Die soziale Bombe, die ausgelöst werden kann durch Familien, die früher in der Lage waren, das Essen auf den Tisch zu stellen und das heute nicht mehr sind, ist real. Sie existiert und kann explodieren. Und es wird Schaden entstehen – darunter werden alle Gemeinden Italiens leiden."
Es fragt sich nur, ob alle Ex-Linken, die mit Wagenknecht die Partei verlassen haben, nun auch sozialpolitisch nach rechts gehen. Manche von ihnen haben über Jahre den Anschein erweckt, sie seien Teil des linken Flügels der Linkspartei, kritisierten die Anpassung der Parteiführung und die Preisgabe sozialpolitischer Forderungen für Koalitionsspielchen mit SPD und Grünen.
Und jetzt sehen sie schweigend zu, wie Wagenknecht ihr Bündnis nicht nur in der Migrationsfrage auf CDU-Kurs bringt? Hier zeigt sich auch, wie Abgrenzung gegen Migranten und eine harte Linie gegen einkommensarme Menschen zusammengehören.
BSW-Abkehr vom Markenkern: Eine Chance für die "Linke"?
Eigentlich müsse es eine Chance für die Linkspartei sein, einige derjenigen, die vielleicht im Glauben gegangen sind, Wagenknecht und Co. wären eine linke Alternative, wieder zurückzuholen. Vor allem die Wahl des Duos Sören Pellmann / Heidi Reichinnek an die Spitze der Abgeordnetengruppe der Linken könnte sich hier als vorteilhaft erweisen.
Schließlich standen die beiden für den Flügel in der Linken, die die Brücken zu den Anhängern von Wagenknecht nie ganz abgebrochen haben. Anders als der im Parteivorstand der Linken arbeitende Politikwissenschaftler Jan Schlemermeyer oder auch der ehemalige Berliner Kultursenator Klaus Lederer, die den linksliberalen Flügel in der Linken abdecken und eine Trennung der Partei von den Traditionen der linken Arbeiterbewegung fordern.
Vor allem Lederer verficht einen Kurs des Mitregierens und formuliert ihn auch in seinem aktuellen Buch "Mit links die Welt retten". Doch mit einer solchen Politik wird die Linke nicht gerettet, wohl aber zumindest zeitweise Kapitalinteressen.
Eine Linke, die auch bereit ist, sich unabhängig von Staat und Kapital zu organisieren, wäre vielleicht auch ein Angebot, für diejenigen aus dem Bündnis Sahra Wagenknecht, die mit der Namensgeberin nicht weiter nach rechts gehen wollen. Denn zumindest im Vergleich zu dem, was sie früher selbst in der Linkspartei vertreten hat, bewegt sie sich in diese Richtung – auch wenn das BSW deshalb bisher nicht rechts im politischen Koordinatensystem Deutschlands steht.