Das Bündnis Sahra Wagenknecht: Partei ohne Mitglieder
Die neue Partei BSW feiert spektakuläre Wahlerfolge. Doch der Erfolg hängt an einer Person: Sahra Wagenknecht. Wird das zum Verhängnis?
Nur zehn Monate nach seiner Gründung feiert das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) spektakuläre Wahlerfolge. Dennoch ist es keineswegs sicher, dass die Etablierung der neuen Partei gelingt.
Der spektakuläre Aufstieg des Bündnisses Sahra Wagenknecht
Erfolgreicher kann man nicht sein. Nach den aus dem Stand erreichten 6,2 Prozent bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024, den 15,8 bei den Landtagswahlen in Thüringen und 11,8 in Sachsen am 1. September und schließlich den 13,4 Prozent bei der Abstimmung in Brandenburg am 22. September steht das erst im Januar gegründete BSW glänzend dar, zumindest was die Unterstützung bei Wahlen angeht.
Die ungewöhnliche Struktur der BSW
Wie ist das zu erklären, wurde doch mit dem BSW eine vollkommen neue Formation gewählt, die zu Recht als Blackbox bezeichnet wird? Erfolgreich war eine Kraft, die sich im herkömmlichen Rechts-Links-Schema ausdrücklich nicht zuordnen lassen will, sondern sich als neue sozialkonservative Kraft versteht.
Gewählt wurde eine Partei, die noch über kein Programm verfügt. Und auf ihren Listen standen überwiegend Unbekannte, die kaum politische Erfahrung besitzen.
Sahra Wagenknecht: Name und Gesicht des BSW
Erklärt werden kann dies alles, nur wenn man versteht, dass die Wahl des BSW keine Entscheidung für eine weitgehend unbekannte Partei bedeutet, sondern die Zustimmung für nur eine einzige Person.
Und dieser Person verdankt die neue Partei ihren Namen: Bündnis Sahra Wagenknecht. Die Wahlen waren daher ein massenhaftes Plebiszit für jenes politische Talent, das seit Jahren in Talkshows, Interviews und eigenen Videos so gekonnt und klug die vielen Irrtümer, gravierenden Fehleinschätzungen und nicht zuletzt die grassierende Dummheit in der herrschenden Politik geißelt.
Die Kommunikationsstrategie von Wagenknecht
Wagenknecht zeigt dabei die seltene Fähigkeit, mit hoher Sensibilität jene noch so kleine Unzufriedenheit in der Bevölkerung aufgreifen zu können, sei es etwa die Ablehnung der Corona-Impfung für Jüngere oder die Empörung über die Gendersprache.
In klassischer bonapartistischer Art kommuniziert sie dabei über die Medien direkt mit den Wählern. Eine Partei im eigentlichen Sinne wird dafür nicht gebraucht. Sie ist lediglich ein unentbehrliches Vehikel, um in den Medien und der Politik präsent bleiben zu können, nachdem ihr die Partei DIE LINKE den Stuhl vor die Tür gestellt hatte.
Die BSW: Eine Partei ohne Mitglieder?
Wir haben es daher beim BSW nicht mit einer Partei im klassischen Sinn, schon gar nicht mit einer neuen sozialistischen Kraft zu tun, sondern mit einem ganz auf eine einzige Person bezogenen Politikmodell – das nun auch in Deutschland angekommen ist.
Erfolgreich war es zuvor bereits in anderen europäischen Ländern.
Personalisierte Politik: Ein Trend in Europa
Benutzt wird es von politisch unterschiedlichsten Persönlichkeiten: etwa von einem neoliberalen Politiker wie Emmanuel Macron, der sich als parlamentarische Plattform für seine Präsidentschaft, die Partei La République En Marche! (Deutsch: Die Republik in Bewegung) zusammengesetzt aus Liberalen, Konservativen und Sozialisten schuf. Es wird damit gerechnet, dass dieses Parteiengebilde das Ende seiner Präsidentschaft nicht überleben wird.
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Zu nennen ist im linken Spektrum der spanische Politiker Pablo Iglesias, der als der eloquente "Mann mit dem Pferdeschwanz" über Jahre Talkshows dominierte. Ohne ihn wäre der Aufstieg der Bewegung Podemos, Deutsch: Wir können zu einer Kraft, die bei den Parlamentswahlen im Jahr 2015 mit 20,7 Prozent zur drittstärksten Fraktion im spanischen Parlament wurde, undenkbar gewesen.
Definierte sich die Bewegung zunächst im strikten Gegensatz zu den Sozialisten als eine gänzlich neue linke Kraft, ging sie wenig später dennoch eine Koalition mit diesen ein. Nicht zuletzt aufgrund dieses Kurswechsels erlitt Podemos eine Serie von Wahlniederlagen und war großen internen Streitigkeiten ausgesetzt, die wiederholt in Abspaltungen mündeten.
Die Risiken der Personalisierung der Politik
Im Jahr 2023 kandidierte die Bewegung schließlich in einem Bündnis mit anderen linken und regionalen Parteien, welches nur noch 12 Prozent erreichte. Inzwischen hat der übrig gebliebene Rest von Podemos diese Verbindung aufgekündigt. Das einstige Gesicht der Bewegung in den Medien, Pablo Iglesias, hat sich längst ins Privatleben zurückgezogen. Von der früheren Bedeutung von Podemos ist so gut wie nichts übrig geblieben.
Auch der Niedergang des italienischen Movimento 5 Stelle (M5S) – auf Deutsch: Fünf-Sterne-Bewegung – begann mit dem Rückzug seines Initiators und medialen Anführers Beppe Grillo, des italienischen Fernsehstars und Komikers, welcher 2009 weitestgehend im Alleingang die Protestbewegung gegründet hatte. Das Movimento agierte lange Zeit als Antipartei, wollte sich politisch weder Rechts noch Links verorten und glaubte, ohne feste Strukturen auskommen zu können.
Zur Entscheidungsfindung setzte man ganz auf plebiszitäre Abstimmungen im Internet. Aus den Parlamentswahlen im Jahr 2018 ging das M5S mit 32,68 Prozent der Stimmen als stärkste Partei Italiens hervor. Nach abrupten politischen Kurswechseln – zunächst gingen die 5-Sterne ein Bündnis mit der Rechtsaußenpartei Lega Nord ein, um anschließend mit der sozialdemokratischen "Partito democratico" (PD) zusammenzuarbeiten – und dem Austritt einer großen Gruppe von Mandatsträgern, verlor das Movimento schnell an Bedeutung.
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Bei der vorgezogenen Parlamentswahl 2022 verringerte sich der Stimmenanteil um mehr als die Hälfte auf nur noch 15,4 Prozent. Die Partei ging daraufhin in die Opposition. Bei der Europawahl 2024 verlor sie weiter an Zustimmung und bekam weniger als 10 Prozent der Stimmen. Inzwischen spielt das Movimento 5 Stelle auf nationaler Ebene keine Rolle mehr.
Erfolgreicher steht hingegen die französische Partei La France insoumise (LFI), auf Deutsch: Unbeugsames Frankreich, unter Führung von Jean-Luc Mélenchon dar. Im Bündnis mit Sozialisten, Grünen und Kommunisten wurde sie in der Nouveau Front populaire – auf Deutsch: Neue Volksfront – bei den Parlamentswahlen im Juli 2024 stärkste Kraft. La France insoumise ist allerdings nicht die erste Partei, die von Mélenchon gegründet wurde.
Nach seinem Austritt aus der Sozialistischen Partei 2008 rief er zunächst die Parti de Gauche, auf Deutsch: Linkspartei, ins Leben, in der er bis 2014, bis zur Gründung von LFI, auch Vorsitzender war. Beide Parteien dienten in erster Linie als Plattform für die Präsidentschaftskandidaturen Mélenchons in den Jahren 2012, 2017 und 2022.
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Sowohl die spanische Podemos als auch die italienische Fünf-Sterne-Bewegung überlebten nicht lange den Abgang ihrer Begründer und Medienstars. Und es ist fraglich, ob es La France insoumise nach dem einmal notwendigen Rückzug ihres inzwischen 73-jährigen Führers Mélenchons anders gehen wird.
Neben der zentralen Schwäche dieser drei Bewegungen, dem Setzen auf nur eine, alles überragende Person an der Spitze, gibt es weitere: Als Top-down Gründungen sind sie nicht von unten, aus regionalen Initiativen und Bündnissen hervorgegangen. Podemos, Movimento 5 Stelle und LFI verfügen deshalb über keine nennenswerten kommunalen Verankerungen.
Selbst die in Spanien und Frankreich auf nationaler Ebene marginalisierten kommunistischen Parteien stehen in den kleinen Städten und Dörfern besser dar.
Und in Italien ist es die PD, die auf der linken Seite des politischen Spektrums dort dominiert. Entscheidende Ursache für diese mangelnde Verankerung in der Fläche ist das Fehlen von Parteimitgliedern. Da sich diese Bewegungen von Beginn an ganz auf die nationale Ebene fokussierten und dort schnell Erfolge erzielten, sah man keine Notwendigkeit, sich zu einer Mitglieder- oder gar Volkspartei entwickeln zu müssen.
Das BSW und die Lektionen aus Europa
Es scheint, als würde das Bündnis Sahra Wagenknecht aus den Fehlern dieser drei Bewegungen in Spanien, Frankreich und Italien nichts lernen. Vielmehr ist es dabei, diese in zugespitzter Form zu wiederholen. Das beginnt bereits bei der Namensgebung: Keine der drei Bewegungen ging so weit, die alles dominierende Person auch noch prominent im Parteinamen zu nennen.
Zwar soll das irgendwann einmal geändert werden, aber damit will man sich bis nach der Bundestagswahl 2025 Zeit lassen. Ebenso handhabt man es mit dem Parteiprogramm. Es bleibt daher zunächst bei nichtssagenden Allgemeinplätzen unter den Überschriften "Wirtschaftliche Vernunft", "Soziale Gerechtigkeit", "Frieden" und "Freiheit".
Das BSW und die Herausforderungen der Mitgliedschaft
Noch gravierender wiegt der immer wieder herausgestellte Verzicht, im nennenswerten Umfang Mitglieder aufnehmen zu wollen. Gut zehn Monate nach Gründung hat das BSW nach eigenen Angaben kaum mehr als 1.000 Mitglieder.
Einzelne Landesverbände wurden mit weniger als 50 Mitgliedern gegründet! Und nach führenden Politikern des Bündnisses sollen es auch in Zukunft nicht viel mehr sein. Angestrebt werden lediglich 2.000 Mitglieder bis zur Bundestagswahl im Herbst 2025. Mit einer solch dünnen Personaldecke lässt sich aber ein erfolgreicher Wahlkampf in der Fläche nicht führen.
Nun ist das Argument ernst zu nehmen, dass man nur mit einer restriktiven Aufnahmepraxis Unterwanderungsversuchen und zerstörerischen Fraktionskämpfen vorbeugen kann. Innerparteilichen Auseinandersetzungen und Debatten über den Kurs der Partei wird man aber auf Dauer nicht ausweichen können, sind sie doch unverzichtbarer Bestandteil innerparteilicher Demokratie.
Mit ihrer rigiden Aufnahmepraxis verpasst die neue Partei das Momentum, um die gegenwärtig zu beobachtende friedenspolitische Mobilisierung für sich nutzen zu können.
Das BSW und die Friedensbewegung
Das BSW verzichtet darauf, diejenigen zu organisieren, die von der kriegsbereiten SPD enttäuscht sind und sich von der grün-libertär gewendeten Linkspartei verabschieden.
Hier geht es um Zehntausende, die zu den zentralen Kundgebungen der neu erwachten Friedensbewegung am 25. Februar und am 4. November 2023 sowie am 3. Oktober 2024 in Berlin zusammenkamen.
Diese und noch viel mehr im Land setzen ihre ganze Hoffnung auf Sahra Wagenknecht und die von ihr gegründete Partei, war sie es doch, die mit dem "Manifest für den Frieden" überhaupt erst den Raum für eine Debatte über den Ukrainekrieg in Deutschland geöffnet hat.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht: Ein Projekt in Gefahr?
Viele der knapp eine Million Unterzeichner des Manifests wollen aber heute die neue Partei nicht nur wählen, sondern am Gelingen des Projekts aktiv mitwirken und das nicht nur als bloße Unterstützer, die lediglich Flugblätter verteilen und Plakate aufhängen dürfen.
Sie vor den Kopf zu stoßen, indem man die Türen der Partei für sie weiterhin verschlossen hält, wäre aber der sicherste Garant für das Misslingen des Projekts Bündnis Sahra Wagenknecht.