Sahra Wagenknecht als Buhfrau: Alarmismus mit absolutem Wahrheitsanspruch

Sahra Wagenknecht dürfte es mittlerweile gewohnt sein, als Buhfrau zu gelten. Differenzierte Kritik wäre angebracht. Archivbild: photocosmos1 / Shutterstock.com

Ex-DDR-Bürgerrechtler warnen vor Wagenknecht-Partei BSW. Vorwürfe: Lügen und Russland-Nähe. Wer ist im Besitz der absoluten Wahrheit? Ein Kommentar.

Eigentlich hätte es noch einige Tage dauern müssen, bis ehemalige DDR-Bürgerrechtler wieder mal öffentlich mahnen und warnen. Dafür waren immer bestimmte Gedenktage vorgesehen, wie das Jubiläum des Aufstands am 17. Juni 1953 sowie die Jahrestage des Baus der Berliner Mauer am 13. August 1961 und ihres Falls am 9. November 1989.

Mehr als 30 Jahre nach dem Ende der DDR will man das Publikum auch nicht überstrapazieren. Denn DDR-Bürgerrechtler gelten heute als die schrulligen Nervensägen, als die sie Wiglaf Droste schon Mitte der 1990er-Jahre in dem satirischen Roman "Der Barbier von Bebra" gezeichnet hatte.

Wagenknecht-Partei BSW mit AfD gleichgesetzt

Da ist es schon etwas Besonderes, dass nun bereits Anfang August ganz ohne Jahrestag einige dieser DDR-Bürgerrechtler vor dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und ihrer Namensgeberin warnen. Schon vor einigen Tagen hat Ilko-Sascha Kowalczuk, einer der Autoren der Wortmeldung, einen Artikel in der taz veröffentlicht, in dem er BSW und AfD auf eine Stufe stellte.

Gründe, das BSW zu kritisieren, gäbe es in der Tat viele. Gerade in der Abschottungspolitik gegen Migranten, aber auch in seiner zunehmend offen gezeigten Aversion gegen Bürgergeld-Bezieher verdient das Bündnis der früheren Linken-Politikerin klaren Widerspruch. Aber das interessiert die inzwischen eher vorgeblichen Bürgerrechtler nicht. Sie stoßen sich an der Außenpolitik des BSW und dessen friedenspoliitschen Positionen, die sie wenig überraschend als russlandfreundlich klassifizieren.

Wagenknecht-Alarm: Wenn andere Positionen zur Lüge werden

Ein Offener Brief ist der Text eigentlich in der Form nicht. Die Verfasser sprechen passender von einer Wortmeldung. Es wäre natürlich interessant, sich mit einem Widerspruch zu den außenpolitischen BSW-Positionen auseinanderzusetzen. Doch in der Wortmeldung geht es nicht um unterschiedliche Positionen, die widerlegt werden könnten.

Es geht um Wahrheit und Lüge. Und die Lüge verorten sie ganz klar im Wagenknecht-Lager, was sich schon in der Überschrift ihrer Wortmeldung deutlich macht. Lautet doch die rhetorische Frage: Wie hältst Du es mit der Wahrheit?". Es ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein totalitäres Unterfangen, unterschiedliche politische Positionen zu einer Frage von Wahrheit und Lüge zu erklären.

Ex-DDR-Bürgerrechtler: Autoritär wie das Politbüro?

Es ist ganz besonders unverständlich, wenn so einstige DDR-Oppositionelle verfahren, nachdem sie vor Jahrzehnten gegen eine autoritäre Staatspartei aufgestanden sind, die vorgab, sie hätte die Wahrheit gepachtet. Die Verfasser der Wortmeldung loben sich in einem Absatz dafür, in der DDR in den 1980er-Jahren "für Pressefreiheit gerungen" zu haben.

Doch wie verträgt sich das mit dem Ansatz, jetzt vorgeblich im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein und politische Gegner zu Lügnern zu erklären? So heißt es im letzten Abschnitt: "Kann es sein, dass die Parteigründerin lügt?!" Die Antwort geben sie sich selbst: "Es ist offensichtlich so."

Ukraine idealisiert: Weit und breit keine Faschisten?

So wird die BSW-Behauptung, dass es in der Ukraine auch an führenden Stellen Faschismus gibt, mit der Bemerkung gekontert: "Wie soll das gehen, wenn sowohl der Präsident als auch der Ministerpräsident Juden sind?" Doch in der Geschichte des Faschismus zeigt sich, dass dort nicht überall ein Vernichtungs-Antisemitismus wie bei den Nazis herrschte. Dann hätte es nicht sein können, dass Juden an führender Stelle im Staatsapparat verblieben wären.

Doch eine starke faschistische Bewegung, die bis in den Staatsapparat hineinreicht, muss nicht bedeuten, dass auch die Regierung des Landes als faschistisch bezeichnet werden kann. Erst kürzlich wurden in Berlin und Hamburg Auftritte einer Sturmbrigade des Asow-Regiments, einer offen rechtsextremen Militäreinheit aus der Ukraine, nach Protesten abgesagt. Es stellt sich die Frage, warum in der Wortmeldung der DDR-Bürgerrechtler mit keinen Wort darauf eingegangen wird.

BSW als Schmuddelkind: Koalitionen nur mit Kriegstüchtigen?

Dem BSW wird auch unterstellt, es sei eine Lüge, dass in der aktuellen Ukraine politische Meinungen unterdrückt werden. Dabei ist der Eindruck, dass dort etwa die kritische Erinnerung an den Maidan-Umstutz von 2014 unterdrückt wird, nicht aus der Luft gegriffen. Auch der menschenrechtswidrige Umgang der ukrainischen Verantwortlichen mit Militär- und Kriegsdienstgegnern wird mit keinem Wort erwähnt.

Manches, was in der Wortmeldung als Lüge bezeichnet wird, entpuppt sich schlicht als andere politische Position oder Einschätzung, über die es sich zu streiten lohnt. Eine Intervention, die genau das nicht zulassen will, sondern den Anspruch auf die absolute Wahrheit erhebt, dürfte kaum jemanden davon abhalten, BSW zu wählen, wenn er oder sie das vorher ernsthaft in Betracht gezogen hat.

Vielmehr soll Druck auf die CDU gemacht werden, in den ostdeutschen Bundesländern nicht mit der Wagenknecht-Partei zu koalieren. Dabei handelt sich um machttaktische Spielereien der Konservativen. Da wird auch das BSW schon mal in das Spiel mit genommen. Dass die neue Partei da bereitwillig mitspielt, wäre tatsächlich ein Anlass zu Kritik.

BSW stört Gut-Böse-Schema: Freier Westen, böses Russland

Ansonsten ist bei den Autoren der Wortmeldung die Welt noch übersichtlich gestaltet: Da steht der freie Westen dem bösen Russen gegenüber. In der Realität zeigt sich, dass es dabei um bloße Ideologie handelt.

Ein gutes Beispiel ist die Berichterstattung über den Gefangenenaustausch zwischen Russland und westlichen Ländern: Journalisten seien gegen Mörder ausgetauscht worden, so der Tenor der Schlagzeilen. Wenn, dann waren Mörder und Journalisten auf beiden Seiten zu finden. So ist auch der freie Journalist Pablo Gonzalez von Polen freigelassen.

Der baskische Journalist saß wegen angeblicher Spionage für Russland in Isolationshaft. Er wurde von zahlreichen Journalistenvereinigungen unterstützt. Seine Freilassung wurde aber totgeschwiegen, so dass viele glauben, verfolgte Journalisten gäbe es nur in der russischen Welt.