Ost-Politiker auf Friedenskurs: Kotau oder Vernunft?
BSW mischt Landespolitik auf. Ukraine-Krieg wird zum Koalitionsthema in Ostdeutschland. Wie viel Einfluss hat Sahra Wagenknecht auf die Außenpolitik?
Die Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg, Michael Kretschmer (CDU) und Dietmar Woidke (SPD), sowie der Thüringer CDU-Chef Mario Voigt haben eine bundesweite Debatte ausgelöst: War ihr Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vergangene Woche ein "Kotau" vor der BSW-Vorsitzenden Sahra Wagenknecht und ein "Weichspüler für Koalitionsverhandlungen", weil deren neue Partei in allen drei Bundesländern als "Königsmacher" gebraucht wird?
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Deutschland, so die drei Landespolitiker, soll "eine aktivere diplomatische Rolle" einnehmen, "für einen Waffenstillstand und Verhandlungen" im Ukraine-Krieg.
Kein klares Ja oder Nein zu US-Raketen
Im Grunde drücken sie sich vorsichtig aus: "Die Pläne für eine Stationierung von Mittelstreckenraketen in den westlichen Bundesländern hätte man besser erklären und breiter diskutieren müssen", schreiben sie und lassen damit zumindest halb offen, ob das Ergebnis einer breiten Diskussion auch ein klares Nein sein könnte, wenn die Sache nur besser erklärt worden wäre.
"Militärische Stärke ist nur dann sinnvoll, wenn sie mit kluger Diplomatie verbunden wird", heißt es in dem Gastbeitrag weiter. Dann wird sogar empfohlen "auf unsere östlichen Partner wie Polen und die baltischen Staaten zu hören", deren harte militärische Linie bekannt ist.
Skandalisiert wird der Gastbeitrag dennoch – aus den Reihen der Ampel-Koalition etwa von der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann als "rückratloser Kotau vor dem BSW" und vom Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), als "Weichspüler für Koalitionsverhandlungen".
Merz für Ukraine-Kontaktgruppe – durch BSW unter Zugzwang?
CDU-Chef Friedrich Merz ging erwartungsgemäß auf Distanz zu seinen Parteifreunden Kretschmer und Voigt: "Die Ukraine kämpft um ihr schieres Überleben. Dabei müssen wir ihr auch in unserem eigenen Interesse weiter helfen. Friedensgespräche wird es nur geben, wenn beide Seiten dazu bereit sind", sagte Merz der Süddeutschen Zeitung.
Von russischer Seite sei das offenbar nicht der Fall. "Russland wird erst zu Gesprächen bereit sein, wenn das Regime von Putin erkennen muss, dass ein weiteres militärisches Vorgehen gegen die Ukraine aussichtslos erscheint."
CDU-Hardliner weiß, wer sich im Grab umdrehen würde
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter, der bekanntermaßen "den Krieg nach Russland tragen" will, beschwerte sich auf der Plattform X über "diese Nebenaußenpolitik aus den Bundesländern", fragte dort: "Warum fordern die drei nicht mehr Unterstützung für die Ukraine und eine einsatzbereite Bundeswehr?" - und mutmaßte zu guter Letzt, die verstorbenen Altkanzler Konrad Adenauer und Helmut Kohl (beide CDU) sowie Helmut Schmidt (SPD) würden sich "im Grab umdrehen".
Merz allerdings forderte wenige Tage nach Erscheinen des Gastbeitrags die Einrichtung einer Ukraine-Kontaktgruppe aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Polen.
"Der zeitliche Ablauf könnte den Eindruck vermitteln, der CDU-Vorsitzende habe sich vor Sahra Wagenknechts Pflugschar spannen lassen" hieß es daraufhin am Wochenende in einem Kommentar der FAZ. Letzteres verneint der Autor aber sogleich:
Offenkundig ist der Vorschlag von Friedrich Merz, über eine politische Ordnung nach dem Ukraine-Krieg zu beraten, eine Reaktion auf die Wortmeldung der drei, die auf das BSW angewiesen sind. Offenkundig ist aber auch, dass Merz keinen Kotau vor Wagenknecht macht.
Thomas Jansen, FAZ
Schließlich habe Merz nicht nur der Forderung nach einem schnellen Friedensschluss nicht nur eine klare Absage erteilt, sondern auch eine entsprechende Zusammensetzung der Gruppe vorgeschlagen, denn Großbritannien und Polen stünden nicht im Verdacht, "gegenüber Putin klein beizugeben".
Wagenknechts rote Linie für Koalitionsverhandlungen
Die Ex-Linke-Politikerin und Namensgeberin des BSW, Sahra Wagenknecht, hatte die Forderung von Kretschmer. Voigt und Woidke nach mehr Diplomatie laut FAZ als "klugen und differenzierten Beitrag" begrüßt.
Wagenknecht, deren Partei im September in allen drei Bundesländern aus dem Stand auf zweistellige Ergebnisse kam, hatte die Frage der Stationierung von US-Raketen als Ausschlusskriterium für Koalitionen benannt.
Darüber werde zwar nicht auf Landesebene entschieden, sie sehe aber auch Landesregierungen in der Pflicht, zu außenpolitischen Fragen "Position zu beziehen und die Bundesregierung unter Druck zu setzen", hatte Wagenknecht Ende September erklärt.
Angst vor Atomkrieg: Warum viele BSW wählten
In den ostdeutschen Bundesländern müsse diese Position widerspiegeln, was sich ein Großteil der Menschen im Osten wünsche. Viele von ihnen seien besorgt, dass die Stationierung einen Schritt in Richtung Krieg mit Russland bedeute – möglicherweise sogar mit Atomwaffen.
Einigen, die am 3. Oktober ihrem Aufruf zur Demonstration "Nie wieder Krieg – die Waffen nieder" in Berlin gefolgt waren, ging der diplomatische Inhalt des Gastbeitrags von Kretschmer, Voigt und Woidke sicher nicht weit genug.
Schließlich sind die drei Landespolitiker meilenweit davon entfernt, ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine zu fordern, wie viele auf der Demonstration. Der SPD-Politiker Ralf Stegner hatte sich dort Buh-Rufe anhören müssen, weil er das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine betont und Putins Russland klar als Aggressor benannt hatte.
Ukraine und Corona: Fallstricke einer Brombeer-Koalition
Über den Stand der Sondierungen für eine "Brombeer-Koalition" zwischen CDU, SPD und BSW in Thüringen sagte am Montag der amtierende Chef der dortigen Staatskanzlei, Benjamin Hoff (Die Linke): "Bei Facebook würde der Beziehungsstatus lauten: Es ist kompliziert."
Dass bei den Brombeer-Parteien "der Haussegen schief" hänge, liegt demnach sowohl am Ukraine-Thema als auch am Vorhaben, einen Corona-Untersuchungsausschuss einzurichten. Einen entsprechenden Antrag hatte das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gemeinsam mit prominenten CDU-Politikern eingebracht.
Thüringens SPD-Chef Georg Maier sieht das kritisch und hat deshalb um eine Planänderung bei den Sondierungsgesprächen gebeten. Unter Partnern, die sich in Sondierungen befinden, sei es wichtig, dass über solche Anträge gesprochen werde, "um gegebenenfalls auch noch Einfluss nehmen zu können. Das ist nicht erfolgt", kritisierte Maier laut einem Bericht von Antenne Thüringen am Montag.