Europawahl: Medienanalyse vs. politische Wirklichkeit
- Europawahl: Medienanalyse vs. politische Wirklichkeit
- Konsequenzen: Friedenssicherung statt Bellizismus
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Debatte über Rechtsruck: Die Wahl der Medien und die Zahlen. Analysen der Europawahl reflektieren Mediennarrative, nicht Tatsachen.
"Kommt zusammen" zeigt die Völker zu Gast in Europa und satt.
Cptn. Kirk &: "Reformhölle", 1992
Ohne Geld trifft hier die leergebeutete Welt auf reiches Gewissen.
Und zeigt als allerletzten Wert ein versöhnliches Gesicht her.
Wir können uns das Photo leisten, auf dem Afrika ruhig bleibt.
"Come together" stellt sich Völker nur noch in Europa satt vor.
Und wie geizt die Werbung gleich: Kommt zusammen zu dritt oder zu zweit?
Jetzt wird im Überfluß berichtigt. Kommt zusammen und kommt alle zugleich.
Die Ampel sitzt anders, als es Schlagzeilen ("Bricht sie zusammen?") und viele Medienberichte so deuten, jetzt fester denn je in der Regierung. Denn gemeinsame Niederlagen schweißen zusammen.
Ampel: Weitermachen ist alternativlos
Gefährlich wäre es für die Ampel nur geworden, wenn ein Partner auf Kosten der anderen gewonnen hätte. Aber jetzt ist Weitermachen alternativlos.
Oppositionsführer Friedrich Merz hat das auch sofort kapiert und bewusst auf die unpopuläre Forderung nach Neuwahlen verzichtet seinen – nur sein Generalsekretär Carsten "Jasager" Linnemann macht weiter auf dieser Rille.
Auch der Kanzlerwechsel, mit dem interessierte Kreise jetzt spekulieren, ist ein mediales Hirngespinst.
Aber was ist denn überhaupt das Ergebnis?
Die Wahl der Medien und die wirkliche Wahl
Es gibt eine Wahl der Medien, und es gibt eine Wahl, wie sie wirklich war. Die Wahl der Medien war eine Europawahl, als deren Ergebnis "Europa nach rechts gerückt" ist. Und zwar, weil die Wahlen "von der Migrationsdebatte und von der Klimakrise bestimmt" war.
All dies ist ganz offensichtlich nicht der Fall. Denn die gleichen Medien gehen in ihren Wahlanalysen – im Fall der ARD Infratest dimap, im Fall des ZDF die "Forschungsgruppe Wahlen" – weiter in die Tiefe und diese Analysen widerlegen die eigenen schnellen Schlagzeilen.
Das hohle Europa-Pathos, tatsächlich vor allem ein unbegründetes EU-Pathos, kann man gleich vergessen. Tatsächlich handelte es sich am Sonntag um 27 zeitgleich stattfindende nationale Wahlen mit Folgen für die jeweiligen Einzelstaaten. So wurde die Europawahl zur Bundestagszwischenbilanz-Wahl.
Schönreden und Schlechtreden
In den wesentlich bürgerlich-konservativ geprägten deutschen Leitmedien gibt es gerade die Tendenz, die Ampel-Parteien schlechtzureden und die Schwächen der Union zu übersehen.
Ein bitteres Ergebnis für die Kanzlerpartei SPD? Tatsächlich kann man die Verluste von vor fünf Jahren nicht wettmachen. Aber man muss sehen, dass die SPD laut Analyse die allermeisten Wählerstimmen an die Nichtwähler verloren hat. 2,6 Millionen Menschen, die der SPD zuneigen, blieben zuhause. Verloren hat man 1,4 Millionen an die Union, und jeweils eine gute halbe Million an AfD und BSW.
Was ist aber von dem Ergebnis der vielen Kleinparteien zu halten, die inhaltlich am ehesten der SPD nahestehen?
Es müsste das Ziel der SPD sein, die Wähler der Linken, von BSW und von Volt zu gewinnen – schon hätte man gut zehn Prozentpunkte mehr.
Gab es dann nun aber wirklich "eine massive Klatsche für die Grünen"? Gemessen am aufgeplusterten Selbstbewusstsein der urbanen Weltverbesserer-Partei bestimmt. Aber so einfach ist das Ergebnis, genaugenommen sind die Grünen mit den knapp 12 Prozent vom Sonntag nur wieder auf ihr Normalmaß zurückgeschrumpft – ohne Oppositionsstatus und Fridays-For-Future-Dringlichkeit, keine Überraschung und gar kein so schlechtes Ergebnis. Immer noch zwei Punkte besser als 2014.
Trotzdem sind die Grünen die größten Verlierer unter den Ampel-Parteien. Das liegt zum einen daran, dass das Klimathema wieder aus der Mode geraten ist, und gerade auch bei den angeblich am meisten betroffenen jungen Wählern nicht für so wichtig genommen wird.
Klimapolitik ist vor allem etwas für die Kinder der urbanen, bürgerlichen Eliten. Hinzu kommt, dass die Klimapolitik der Grünen von vielen Wählern als einseitig und nicht zielführend wahrgenommen wird, dass die Grünen wieder zurück auf ihrem alten Image einer Partei des Gängelns der Bürger, der Verbote und nicht der Chancen angekommen ist.
Viel Klima und kein Frieden: Die Grünen bewegen sich zurück zu Ein-Themen-Partei
Hinzu kommen ein paar andere Erkenntnisse. Erstens: Die Grünen sind eine Generationenpartei. Sie werden von den 25- bis 50-Jährigen gewählt. Von den Jüngeren und von den Älteren dagegen nur unterdurchschnittlich oft.
Zweitens: Den Grünen-Wählern ist Wirtschaft einfach schnurzpipegal: Nur ganze fünf Prozent der Wähler sagen, dass Wirtschaftswachstum für ihre Wahlentscheidung eine größere Rolle spielt! Das Geld kommt aus dem Bankomaten so wie der Strom einstweilen noch aus der Steckdose.
Auch Friedenssicherung und soziale Sicherheit spielen für Grünen-Wähler vergleichsweise keine Rolle. Es zählen nur Klima und Umweltschutz – die Grünen bewegen sich zurück zu Ein-Themen-Partei.
Fatal ist das nicht nur für den amtierenden Wirtschaftsminister und Wannabe-Kanzler, sondern auch für die Möchtegern-Kanzlerin und grüne Außenministerin Annalena Baerbock. Nur zwölf Prozent der eigenen Wähler gestehen der Partei besondere "Kompetenz in der Außenpolitik" zu, sogar nur acht Prozent Expertise beim "Frieden herstellen und sichern" und sogar nur sieben Prozent glauben, dass Baerbock und ihre Partei "deutsche Interessen in der EU zu vertreten".
Bände spricht das vor allem, weil es sich hier ja um die Wähler handelt, die die Grünen wählen - trotzdem. Weil sie das Thema eigentlich nicht interessiert.
Könnte es zudem sein, dass viele Leute einfach Ricarda Lang und ihre eine Claudia Roth-hafte Bräsigkeit nicht mehr gern im Fernsehen sehen und erst recht ihr einfach nicht mehr zuhören können?
Nur einen Tag nach der Europawahl nahm Lang einen Preis an, der sie zur "Aufsteigerin des Jahres" kürte.
Womöglich sind allein die schrägen Auftritte der Vorsitzenden für einen Prozentpunkt gut.
Die FDP hat demgegenüber kaum verloren - dass daraus FDP-Vize Wolfgang Kubicki nun den Schluss zieht, SPD und Grüne müssten ihren Kurs ändern und vor allem die Grünen ihre "arrogante Bevormundungspolitik" unterlassen, ist weniger amüsant, als vor allem selbst arrogant angesichts der Tatsache, dass die Grünen immer noch mehr als doppelt so viel Stimmen haben wie die FDP, die SPD fast dreimal so viel.
Rechtsruck? Zahlen sprechen eine andere Sprache
Haben wir aber nun einen Sieg für Mitte-Rechts erlebt? Das Mitte-Rechts-Bündnis EVP hat zugelegt und in Deutschland ist die CDU/CSU stärkste Kraft. Doch die Union siegte auf überaus niedrigem Niveau, dem zweitschlechtesten seit Gründung der Bundesrepublik. 2019 war sie Kanzlerpartei und wurde abgestraft. Doch trotz der angeblich so schlechten Ampel hat sie gegenüber 2019 kaum etwas gutmachen können.
Viele deutsche Medien rechnen das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) nun als Teil eines Rechtsruck und als Erfolg einer reinen Protestpartei.
Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Das BSW holte seine Stimmen nicht etwa von der AfD (nur 140.000), sondern vorwiegend aus dem linken Lager, vor allem von SPD (520.000) und der Linkspartei (410.000) und überraschend viel (210.000) auch von der FDP.
Klar ist: Bei BSW-Wählern erfolgte die Wahlentscheidung aus Gründen der bundesrepublikanischen Politik nicht wegen Europapolitik. Und sie erfolgte fast zur Hälfte aus Enttäuschung über andere Parteien nicht aus Überzeugung für BSW.
Zugleich ist BSW bei allen Altersgruppen ziemlich gleich groß. Leicht überdurchschnittlich nur bei den 60- bis 69-Jährigen und auch relativ stark bei den 16 bis 24-Jährigen. Arbeiter, Angestellte selbstständige total gleich im Anteil nur Rentner etwas überproportional.
Die AfD und der fehlende Anstand
Die AfD hat sich auf hohem Niveau stabilisiert. Das entspricht dem Erstarken rassistischer Parteien in vielen europäischen Ländern. Es ist erschreckend und enttäuschend, aber nicht überraschend: Denn die AfD ist die Partei derjenigen, dier bereits aus der Gesellschaft ausgestiegen sind, oder die nie wirklich drin waren.
Der Umgang mit "Rechts" ist offensichtlich gescheitert. Wer den AfD-Erfolg sachlich ernstnehmen will, muss beim Kern anfangen: also nicht "Osten", nicht das Abgehängt-sein, und nicht das Selbstmitleid der Abgehängten. Auch noch nicht einmal der Unwille, sich auf Realitäten einzustellen.
Sondern der fehlende Anstand. Die Tatsache, dass über die Hälfte der AfD-Wähler angibt, dass es ihnen egal sei, ob sie eine rechtsextremistische Partei wählen.
Der Migrations-Irrtum
Es stimmt nicht, dass die Migrationsdebatte der letzten Wochen oder gar "Mannheim" wesentlichen Einfluss auf das Wahlergebnis hatten. Migrationspolitik und Zuwanderungspolitik spielt selbst für die AfD Wähler eine geringere Rolle als 2019.
Warum man die AfD wählt, ist die Angst vor Krieg, nicht zuletzt vor dem bereits stattfindenden Ukraine-Krieg, der Wunsch nach Friedenssicherung und es ist die Hoffnung auf Wirtschaftswachstum. Auch bei der AfD haben sie 44 Prozent gewählt aus Enttäuschung über andere Parteien.
Die AfD ist eine Männerpartei und es ist eine Partei, die eher jüngere unter 45 Jahren anspricht. Unterdurchschnittliche Ergebnisse hat sie gerade bei den 60-Jährigen und Älteren.
Die sogenannten Klein-Parteien
Nicht vergessen sollten wir die sogenannten Klein-Parteien. Die linksliberale VOLT-Partei, die bereits seit den letzten Kommunalwahlen in Köln und Frankfurt mitregiert, und in vielen Stadtparlamenten in NRW und Hessen vertreten ist, scheint sich zumindest in Westdeutschland zu etablieren.
In Heidelberg, Karlsruhe, Freiburg, Tübingen, Konstanz kam die Partei auf 6,5 bis 9,5 Prozent, die meisten in Heidelberg. In Berlin dagegen gewann man wie in Frankfurt nur 4,8 Prozent. Etwa ein Viertel der Wähler unter 25 Jahren verloren die Grünen dort an Volt. Frankfurt ist allerdings in mancher Hinsicht ein Sonderfall: Dort ist nämlich ausnahmsweise die FDP mit 8,7 Prozent stärker als die AfD (7,7).
Die gern als "Spaßpartei" beschriebene "Die Partei", in erster Linie ein persönliches Versorgungsprojekt des Zynikers Martin Sonneborn, einem der untätigsten EU-Abgeordneten in der abgelaufenen Legislaturperiode, hat ihre Anhänger nicht so sehr in Großstädten, sondern in einzelnen Hochburgen wie Tunau im Kreis Lörrach (4,5 Prozent)