Rechtsruck in junger Generation: Von welchen Themen profitierte die AfD?
Neben Deutschland-zuerst-Parolen plakatierte die AfD Friedenstauben – und redete nicht über ihre Haltung zur Wehrpflicht. Das könnte ihr Vorteile gebracht haben.
Der Rechtsruck unter Jüngeren sorgt nach dieser Europawahl vielfach für Ratlosigkeit – dabei kam er nicht völlig überraschend.
Die deutsche Ampel-Koalition verlor am Sonntag in der Altersgruppe unter 25 Jahren im Vergleich zur letzten Europawahl insgesamt drastisch an Zustimmung, wobei sich für SPD und FDP wenig änderte: Die SPD gewann einen Prozentpunkt und liegt nun bei neun Prozent, während die FDP einen verlor und somit sieben Prozent erreichte.
Grüne verlieren 23 Prozentpunkte bei unter 25-Jährigen
Die Grünen stürzten allerdings von rund 34 Prozent auf elf Prozent ab. Die AfD konnte ihr Ergebnis von 2019 dagegen mehr als verdreifachen: Damals hatte sie bei unter 25-Jährigen nur fünf Prozent erreicht, nun kam sie auf 16 Prozent. Auch die Unionsparteien legten hier klar zu (von zwölf Prozent im Jahr 2019 auf 17 Prozent 2024), wenn auch in geringerem Umfang als die AfD.
Bei der Ursachenforschung für den Rechtstrend könnte das "Sorgen-Ranking" aus der Studie "Jugend in Deutschland 2024" helfen, die bereits einen Vorgeschmack auf das Wahlergebnis geliefert hatte.
Inflation und Kriegsgefahr als größte Sorgen
Nach der Inflation, die mit 65 Prozent an erster Stelle stand und zu wesentlichen Teilen auf den Ukraine-Krieg zurückzuführen ist, machte den Befragten "Krieg in Europa und Nahost" mit 60 Prozent am meisten Sorgen – gefolgt von "Teurer / knapper Wohnraum" mit 54 Prozent. "Spaltung der Gesellschaft" und "Klimawandel" lagen mit jeweils 49 Prozent gleichauf.
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Die Konkurrenz um bezahlbaren Wohnraum hat die AfD für ihr "klassisches" Wahlkampfthema Migrationsbekämpfung aufgegriffen, während die Ampel-Koalition ihre Ziele in Sachen Sozialer Wohnungsbau verfehlte. Hier liegt jedenfalls auch viel Spaltungspotenzial, mit dem rechte Parteien Politik machen können.
Was Verteilungsfragen, Wohlstandsversprechen und das Festhalten am Verbrennungsmotor angeht, ähnelten sich die Argumente von Union und AfD im Wahlkampf. Auch beim Thema Migrationspolitik und "Zuwanderungsbegrenzung" gingen sie in die gleiche Richtung. Der Hauptunterschied lag in der Außenpolitik.
Krieg und Wehrpflicht: Brisant vor allem für Jüngere
Die Frage von Krieg und Frieden wurde in der Jugendstudie sehr allgemein angerissen: Wie genau die Kriegsgefahr für ganz Europa eingedämmt werden soll – ob durch Aufrüstung und Abschreckung oder durch mehr Diplomatie – wurde dabei nicht abgefragt. Es liegt aber nahe, dass die Antworten der Ampel-Parteien auf diese Sorge ihnen kaum Punkte bei der jungen Generation gebracht haben.
Grüne und FDP sprechen sich im Bundestag zwar bisher nicht für eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht aus, setzen aber im Ukraine-Krieg, an dem Deutschland offiziell nicht beteiligt ist, klar auf eine militärische Lösung.
Anders als ihre Koalitionspartner hatten die Grünen im Bundestagswahlkampf 2021 noch mit dem Slogan "Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete" für sich geworben. Das ist Geschichte. Eine Kehrtwende, bei der scheinbar nur ein Teil ihrer Zielgruppe mitging – vielleicht eher Ältere als Jüngere.
Viele Stimmen aus dem konservativen Lager, das traditionell militaristischer denkt, konnten die Grünen aber wohl aufgrund anderer Themen – wie Energiepolitik, Migration und Gender-Debatte – nicht für sich gewinnen.
Image-Kampagne: AfD inszeniert sich als Friedenspartei
Zuletzt hat die Ampel-Regierung insgesamt den Kiewer Truppen erlaubt, aus Deutschland gelieferte Waffen auch gegen Ziele in Russland einzusetzen.
Kurz vor der für die Ampel-Parteien verheerenden Europawahl hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) davon gesprochen, dass Deutschland bis 2029 "kriegstüchtig" werden soll – was primär Jugendliche und junge Erwachsene betrifft, falls die Wehrpflicht wieder eingesetzt wird.
Pistorius will nur vorläufig auf Freiwilligkeit setzen – was er aber in Frage stellt, falls sich "nicht genügend Freiwillige" melden. Laut aktuellen Umfragen, etwa von MDR und NDR, gibt es zwar insgesamt eine Mehrheit für die Wehrpflicht – aber gerade nicht bei den unter 30-Jährigen.
Die AfD will laut einem Wahlkampfslogan "Frieden sichern" – was streng genommen auch nichts über das "Wie" aussagt, denn selbst atomare Abschreckung wurde oft als Friedenssicherung verkauft, aber Wording und Bildsprache dürfen hier nicht unterschätzt werden.
Die AfD ist für Wehrpflicht, betont das aber aktuell nicht
Nachdem die AfD im vergangenen Jahr noch über das traditionell linke Symbol der Friedenstaube gestritten und manche der strammen Militaristen in der Partei sich gegen den "Hippie-Kurs" aufgelehnt hatten, tauchte das Symbol in ihrem Europawahlkampf als Plakatmotiv wieder auf – "überraschend" nannte dies die Springer-Zeitung Die Welt.
Weniger überraschend kam es vor dem Hintergrund der Wehrpflicht-Debatte, die etablierte Parteien angestoßen hatten – die AfD tat aus ihrer Sicht gut daran, ihre Haltung zur Wehrpflicht im Wahlkampf nicht in den Vordergrund zu stellen, denn laut Grundsatzprogramm ist sie immer noch dafür. Aktuell lehnt sie aber einen Konfrontationskurs gegen Russland ab und will bei Wahlen von der Angst vor einem Dritten Weltkrieg profitieren.
Mehrheit für Wehrpflicht, außer in einer Altersgruppe
Diese Rechnung könnte in der Altersgruppe, die von einer Wiedereinsetzung der Wehrpflicht zuerst betroffen wäre, zumindest teilweise aufgegangen sein. In der Umfrage des MDR sprachen sich rund zwei Drittel der unter 30-Jährigen dagegen aus, während Ältere zu über 60 Prozent dafür waren.
In der Befragung des NDR widersprechen 56 Prozent dieser Altersgruppe einer Rückkehr zur Wehrpflicht; insgesamt plädierten aber knapp zwei Drittel dafür. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für den Stern ergab im März insgesamt eine knappe Mehrheit dafür, aber 59 Prozent Ablehnung bei unter 30-Jährigen.
Nun wählten zwar bei weitem nicht zwei Drittel, 59 oder 56 Prozent der Jüngeren AfD, sondern "nur" 17 Prozent – viele dürften auch andere Wahlprüfsteine und Ausschlusskriterien gehabt haben.
Aber dass in der öffentlichen Debatte um den Ukraine-Krieg die Forderung nach diplomatischen Lösungen oft pauschal als rechts geframed wurde, hat angesichts dieser Umfragen eher nicht zur "Entzauberung" der AfD beigetragen. Ihre Selbstdarstellung als "Friedenspartei" wurde dadurch eher noch unterstrichen.
Die tiefe Spaltung des linken Lagers
Das traditionell "linke" Lager zeigte sich dagegen in den letzten Monaten und Jahren tief gespalten, wenn es um die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten und die deutsche Unterstützung für die Ukraine und Israel ging. Auch davon könnte die AfD profitiert haben.
Auf den Großdemos gegen Rechts Anfang des Jahres waren Teile der Zielgruppen von SPD, Grünen und Linkspartei vertreten, die sich in außenpolitischen Fragen gegenseitig beschimpfen und bekämpfen: Worte wie "Lumpenpazifisten" und "Kriegstreiber" sind dabei gefallen.
BSW kommt aus dem Stand auf sechs Prozent
Mit dem Thema "Frieden" dürfte bei dieser Europawahl auch das erstmals angetretene "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) gepunktet haben, mit dem die Gründerin und Namensgeberin erklärtermaßen mit der AfD um Stimmen konkurrierte: Die neue Partei erreichte bei unter 25-Jährigen aus dem Stand sechs Prozent.
Ein Trugschluss wäre die Annahme, dass ein nennenswerter Teil dieser Altersgruppe "aus Protest" direkt von den Grünen zur AfD wechselte – nicht nur, weil viele, die 2019 dazu zählten, jetzt älter sind und viele "Erstwähler" ab 16 hinzukamen.
Viele Stimmen von Jüngeren liefen ins Leere
Überproportional viele der jetzt unter 25-Jährigen – nämlich 28 Prozent – wählten "andere" Parteien, die bisher nicht im Deutschen Bundestag vertreten sind und zu einem großen Teil auch nicht im neuen EU-Parlament vertreten sein werden.
Eine interessante Ausnahme ist die Partei Volt, die mit neun Prozent bei den "Youngsters" gleichauf mit der Kanzlerpartei SPD liegt. Über die Altersgruppen hinweg kam sie insgesamt auf 2,6 Prozent; damit stehen ihr dank fehlender Sperrklausel drei Sitze im neuen EU-Parlament zu.