Rechtsruck in Europa: Hat Putin die Wahl in Österreich gewonnen?
Wie Links gerade einfach nicht zieht und Rechts in vielen Farben schillert: Dies zeigt die Alpenrepublik wie unter einem Brennglas. Welche Rolle spielt Neutralität?
Für den deutschen Militärexperten Carlo Masala drehte sich bei der Europawahl im Nachbarland alles nur um den russischen Präsidenten Wladimir Putin: Der, so kommentierte Masala am Wahlabend, scheine in Österreich die Wahl gewonnen zu haben.
Nationales Eigeninteresse – Russland hin oder her
Dabei heißt der Videokanal der Partei, die dort am Sonntag stärkste Kraft geworden ist, "Österreich zuerst". Nationales Eigeninteresse wird hier großgeschrieben. Wie "prorussisch" die FPÖ tatsächlich noch ist, das bewertete unlängst auch ein ukrainischer Experte für Rechtsextremismus im Gespräch mit der Zeit etwas differenzierter.
Und in Österreich selbst waren nach der Wahl zunächst die Ereignisse in Frankreich viel interessanter: Ein bisschen verschmitzt lächelt die Korrespondentin des österreichischen Rundfunks in die Kamera, als sie über die Misere von Präsident Emmanuel Macron in Paris berichtet.
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Europawahl: Medienanalyse vs. politische Wirklichkeit
Vor 25 Jahren seien es die Franzosen gewesen, die EU-Sanktionen gegen die Regierungsbeteiligung von Jörg Haiders FPÖ gefordert hätten – und nun habe das Land durch Marine Le Pens Rassemblement National mit einer noch stärkeren rechtsnationalen Kraft zu kämpfen, die die konservativen Kräfte weit in den Schatten stellt.
Aufstieg der Rechten bleibt hinter Prognosen zurück
Der aufhaltsame Aufstieg der Rechten ist dann aber am Abend in Wien viel weniger dramatisch, als ihn viele Prognosen vorhergesagt haben. Die Freiheitliche Partei kommt mit ihrem Spitzenkandidaten, dem Anti-EU-Krakeeler Harald Vilimsky, zwar auf Platz eins, aber mit 25,5 Prozent der Stimmen nur knapp vor der bemüht staatstragend agierenden, konservativen ÖVP mit 24,7 Prozent.
Kurz dahinter dann die Sozialdemokraten, die im EU-Wahlkampf irgendwie nicht stattgefunden haben, mit 23,3 Prozent. Bei ihnen ist der Frust auch erkennbar am größten. Der Spitzenkandidat Andreas Schieder poltert gegen die Medien, die falsch berichten und gibt dann recht unumwunden zu, nicht zu wissen, warum die SPÖ einfach nicht durchdringt und von der Schwäche der Bundesregierung aus ÖVP und Grünen profitieren kann.
Trotz Europawahl geht es nirgends um die EU
Damit ist eine entscheidende Wahrheit der EU-Wahlen bereits ausgesprochen, es geht nirgendwo in Europa wirklich um die EU, sondern immer um die jeweilige Innenpolitik. In Österreich stehen Ende September Nationalratswahlen an und alle sehen die Wahlen zum Europaparlament als Stimmungstest für die ungleich wichtigere Wahl zum nationalen Parlament.
Österreich ist ein getreues Abbild der europäischen Verhältnisse. Ungefähr ein Viertel der europäischen Wähler hat stramm rechte und in Teilen sogar rechtsextreme Parteien gewählt. In Austria wird dieses Viertel exakt abgebildet mit 25,5 Prozent für die FPÖ, wobei noch einmal 2,7 Prozent für die neu gegründete Partei DNA hinzukommen, die mit dem aufgewärmten Zorn über die Corona-Maßnahmen punkten konnte, allerdings nicht die nötigen vier Prozent für den Parlamentseinzug geschafft hat.
Das rechte Lager ist stabil
In Summe sind das dann gut die 27 Prozent, wie sie weiland Jörg Haider auf sich vereinen konnte. Also sage niemand, die Rechten hätten Zulauf. Es wird einfach ein bestimmtes Spektrum abgeholt und das hält sich in Österreich sehr stabil bei etwas weniger als einem Drittel der Stimmen.
Es wird auch durch himmelschreiende Skandale nicht kleiner – Stichwort "Ibiza-Video", – aber auch durch Krisen (ob Corona oder Flüchtlinge) nicht wirklich größer. Wie ist dies zu erklären?
In den westlichen Demokratien, in denen sich eine rechtsautoritäre Kraft ausgebildet hat, lebt diese Rechte stets in einer Symbiose mit den Konservativen. Yanis Varoufakis diagnostizierte dies bereits für Frankreich: Macron und Le Pen bedingen einander. Nur weil Macron eine eiserne Austeritätspolitik durchdrückt, kann Le Pen punkten und ohne das Schreckgespenst Le Pen würde niemand Macron zum Präsidenten wählen.
Rechte und Rechtspopulisten in Allianz
In Österreich sind die rechtspopulistische FPÖ und die ÖVP kommunizierende Röhren. Die Konservativen haben in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten zweimal die FPÖ mit in die Regierung genommen, mit sehr bescheidenem Ergebnis. Wolfgang Schüssel wollte Anfang des Jahrhunderts die FPÖ durch Regierungsbeteiligung "entzaubern", das gelang eher weniger.
Sebastian Kurz wollte zwölf Jahre später die FPÖ in einer auf zehn Jahre angelegten Zusammenarbeit als Mehrheitsbeschafferin nutzen und auch das darf als gescheitert gelten. Die Volkspartei konnte in den letzten Jahrzehnten immer dann Wahlerfolge erzielen, wenn sie die rechtspopulistischen Ansätze der FPÖ kopierte und damit fest im Mainstream verankerte.
Rechte Demagogie: Wer poltert am lautesten?
Jetzt hat das Land den Schlamassel, weil die einmal etablierten rechten Deutungsmuster nicht mehr weggehen. Der FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky, zeigte wie EU-Wahl auf Stammtischniveau geht: "EU-Wahnsinn", "Corona-Irrsinn" und "Österreichbeschmutzer" waren die Vokabeln, mit denen er um sich warf. Immer auf Angriff und nie sachbezogen.
Kritische Nachfragen sind hingegen nicht so sein Ding. Als er zu seinem Verhältnis zur AfD und deren Spitzenkandidaten Maximilian Krah in Deutschland befragt wird, bricht Vilimsky das Interview erbost ab. Ein übliches Muster der Rechtsrechten, denn für weite Teile ihres Programms und ihre sehr zugespitzten Äußerungen gibt es schlicht keine Erklärung. Oder kann Victor Orbán erklären, warum er sich für "kein Gender" einsetzt? Will er ein Einheitsgeschlecht einführen?
Dieser Politikansatz kommt aber an und trifft einen Nerv in Österreich. Allerdings katapultiert er die FPÖ auch nicht in den Abstimmungshimmel. Die Rechten können vermutlich auch deshalb nicht weiterwachsen, weil sie fleißig von der Mitte kopiert werden. Brav sagt die ÖVP am Wahlabend, sie habe (mal wieder) ihre Lektion gelernt, es müsse etwas gegen die Migration getan werden.
Es geht immer um die Ausländer
Es gibt einfach kein Thema, das so zuverlässig zieht wie die Migration. Zuwanderung ist gemeinsam mit Sicherheit/Krieg Thema Nummer Eins mit 44 Prozent Nennung in den Nachwahlumfragen, die Umwelt kommt nur auf 33 Prozent und Wirtschaft und Soziales sind weit abgeschlagen.
Die Angst vor dem Fremden lässt sich faszinierend leicht am Köcheln halten und es machen ja nicht nur die Konservativen mit. In Österreich unterstützte die SPÖ den Vorstoß von Olaf Scholz, straffällige Asylbewerber auch nach Afghanistan abzuschieben. Der SPÖ-Klubobmann Philip Kucher meinte, es müsse bei schweren Straftaten Konsequenzen des Rechtsstaats geben, bis hin zu Abschiebungen.
Das wäre dann allerdings die defacto Einführung der Todesstrafe für Ausländer, die sich vermutlich auch nicht ganz mit dem österreichischen Rechtstaat in Verbindung wird bringen lassen. Auch findet sich vielleicht nicht so schnell wer in einer möglichen, neuen SPÖ-Bundesregierung, der nach Kabul fliegen möchte, um die diplomatischen Verhandlungen mit den Taliban über Rückholabkommen zu führen.
Keine glaubwürdige linke Politik
Die SPÖ ruderte nach dem Anti-Afghanen-Poltern dann auch wieder zurück. Nur: Ein entschiedenes Eintreten für Menschenrechte wird daraus nicht mehr. Es gibt in Österreich einfach keine echte, prinzipientreue linke Politik. Der seit einem Jahr im Amt befindliche Parteiführer Andreas Babler konnte seine Partei bislang nicht glaubwürdig nach links bewegen.
Dass bei den Europawahlen zum ersten Mal seit 50 Jahren die KPÖ wieder auf knapp 3 % der Stimmen kommt, macht die Aufgabe für die SPÖ nicht leichter. Sie verliert erkennbar links, kann in der Mitte aber nicht genügend strahlen, um Zugewinne zu machen. Auch das ist ein europatypisches Ergebnis für die Sozialdemokratie.
Grüne Chance endgültig vertan?
Noch blöder sieht es für die Grünen aus. Ihre Selbstdemontage ging noch relativ glimpflich aus: Sie verloren "nur" vier Prozent und ein Mandat. Schwerer wiegt, dass ihr Kernthema nicht zieht: Österreich hatte 2024 den heißesten April der Messgeschichte mit Temperaturen von 30 Grad Celsius und zuletzt schwere Überflutungen durch Starkregen. Dennoch ist der Klimawandel nicht Topthema.
Eine historische Chance scheint vorbeigezogen zu sein. Bei den letzten EU-Wahlen waren die Fridays-for-Future-Proteste auf ihrem Höhepunkt, fünf Jahre und eine Pandemie später, haben die Menschen anscheinend andere Sorgen.
Linke Deutungen haben es erkennbar schwer. Es lassen sich scheinbar keine griffigen Botschaften transportieren. Ob bei Rot oder Grün: Der Versuch, einzig durch Wettern gegen die "rechte Hetze" zu punkten, so berechtigt dies im Fall der FPÖ auch sein mag, reicht eben nicht aus. Es müsste ein glaubwürdiges, positives Bild von der Zukunft gezeichnet werden.
Kurioserweise gelang dies ein wenig den österreichischen Liberalen. Die NEOS plakatierten die "Vereinigten Staaten von Europa" und gewannen damit ein Mandat hinzu. Ein Bedarf zu mehr Integration in das europäische Projekt scheint zumindest für gut zehn Prozent der Wähler gegeben zu sein.
Neutralität: Weder Fisch noch Fleisch
Überhaupt war die Frage von Krieg und Frieden ein wichtiges Thema. Die KPÖ plakatierte etwas ungeschickt "Wohnen statt Kanonen", um darauf hinzuweisen, dass ihr die soziale Frage wichtiger sei als die womöglich kostspielige militärische Unterstützung der Ukraine, die aber Spitzenkandidat Günther Hopfgartner aufgrund des "Angriffskrieges Russlands" eigentlich durchaus auch für wichtig hält.
Womit das ganze "Weder-Fisch-noch-Fleisch-Drama" der österreichischen Neutralität gut ausgebreitet ist: Alle politischen Parteien betonten im EU-Wahlkampf die Bedeutung eines neutralen Österreichs außerhalb der Nato, während niemand genau ausbuchstabieren kann, wie die neutrale Rolle zur Beförderung des Friedens oder auch zu Abwehr der russischen Aggression aussehen könnte.
Rechte und Rechtsrechte sind eingespieltes Team
Unterm Strich zeigt sich in Österreich im Kleinen, was sich in ganz Europa im Großen zeigt: Rechte und rechtsextreme Parteien können sich wechselseitig den Ball zuspielen und ihre Macht festigen, während linke mit ihren Themen nicht durchkommen.
Zuletzt stellt sich die Frage: Was wollen die Rechten überhaupt im EU-Parlament, wenn sie die EU ja doch nicht mögen? Nun, die Fraktion Identität und Demokratie, in der sich Rechte und Rechtsextreme zusammengeschlossen haben, konnte neun Sitze hinzugewinnen, allein drei davon kommen von der FPÖ – und sie wird diesen Erfolg nutzen.
Ihre parlamentarische Arbeit im europäischen Parlament wird im Wesentlichen zum Ziel haben, die eigenen populistischen Kampagnen gegen die EU zu stützen, denn manchmal kann man erst von etwas sagen, es sei kaputt, wenn man es selbst kaputt gemacht hat.
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