CDU/CSU: Zwei harte Debatten stehen ins Haus

KI generiertes Bild zeigt zwei Arme, die aus einem Hochwasser ragen und ein Schild hochhalten: " Es ist eben nicht so, dass morgen die Welt untergeht (Friedrich Merz)"

KI generiertes Bild: Midjourney AI; prompted by Fuchsbrom / CC0 1.0 Deed

Die Illusion des Sieges: Eine Woche nach der Europawahl macht sich bei der Union Ernüchterung breit. Wie sehr schadet Merz? Wer die Wahl auf jeden Fall verloren hat.

Wahlsieger Union – die Medien übernahmen zunächst in weiten Teilen diese Botschaft aus der CDU-Zentrale. Wenigstens die Medien. "CDU/CSU sind Wahlgewinner" schrieb die Bild-Zeitung ("Kanzler Klatsche"). "Wahlsieger sind die Unionsparteien", behauptete auch der Spiegel:

Bei der Europawahl hat die Union einen klaren Sieg eingefahren.

Was ist aber "klar" an einem "Sieg", bei dem eine Partei gerade mal ein gutes Prozent gegenüber dem schlechtesten Ergebnis aller Zeiten gewonnen hat?

Allerdings war es auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, der nur wenige Minuten nach 18 Uhr in seinem ersten Wahl-Statement auf der ARD fahrlässigerweise von der Union als vom "Wahlsieger des Abends" sprach, anstatt wenigstens klarzumachen, dass dies, wenn überhaupt, ein höchst vergifteter Wahlsieg ist.

Ist man denn schon deswegen ein Wahlsieger, weil die anderen verloren haben?

Die Wähler wollen nicht die Union. Sie wollen eine bessere Ampel. Oder einfach gepampert werden

Umgekehrt redet die Union seit Sonntag von der "Niederlage der Ampel". Die Grünen haben tatsächlich gegenüber der letzten Europawahl (und einem mit gut 20 Prozent ungewöhnlich guten Ergebnis) massiv Stimmen verloren, die anderen Regierungsparteien allerdings nur geringfügig.

Vor allem aber haben die Ampelparteien zusammengerechnet immer noch mehr Stimmen als die Union. Und da sind die kleinen Parteien, die bei der Europawahl relativ viele Prozente bekamen, noch nicht mal eingerechnet.

Das bedeutet de facto: Selbst eine sehr schwache, beziehungsweise sehr schwach wahrgenommene Bundesregierung nutzt der demokratischen Opposition nicht das Geringste. Sie nutzt den Protestparteien links und rechts.

Daraus folgt: Die Wähler wollen nicht die Union. Sie wollen zum Teil einfach nur eine bessere Ampel. Zum Teil jedenfalls.

Ein anderer Teil hat eine reine egozentrische Service-Mentalität und möchte von den Parteien einfach in seinen persönlichen Befindlichkeiten gepampert und bedient werden: gegen noch mehr Waffen für die Ukraine, gegen den demokratischen Bellizismus der neuen deutschen "Kriegstüchtigkeit", für billige Energie und niedrige Preise im Supermarkt, gegen mehr Ausländer, für radikalen Klimaschutz, gegen Klimaschutz überhaupt, für Arbeitsplätze, für Digitalisierung, für Verbrenner-Aus, gegen Verbrenner-Aus, gegen Gendersprache, für Gendersprache ...

Die Partei des entschlossenen Sowohl-als-auch

Die Union bedient kaum eine dieser Fragen auf eindeutige Weise, und wenn doch - Ukraine, Verteidigungspolitik - dann auf eine, die vielen Wählern Angst macht. Vor allem ist sie die Partei des entschlossenen Sowohl-als-auch. Und das konsequenzlos.

Bei näheren Hinsehen verliert sich der Glanz der Zugewinne. Nur 30 Prozent der Bürger meinen laut Analyse der Forschungsgruppe Wahlen, dass CDU/CSU die Sache besser machen würde als die Ampel.

"Letzter Ausweg CDU" titelt an diesem Samstag die ostdeutsch geprägte Berliner Zeitung. Ohne Fragezeichen.

Die Zeitung behauptet weiter, "die Christdemokraten müssen den Osten zurückgewinnen." Aber das ist nur eine reißerische, durch Artikel nicht eingelöste interessante Schlagzeile. Wie das gehen soll, und was das überhaupt heißen kann, verrät die Zeitung nicht.

Stattdessen darf einmal mehr die inzwischen routinierte Osterklärerin, die seit 2010 in Großbritannien lebende ostdeutsche Historikerin Katja Hoyer die Differenzen zwischen Ost und West betonen.

Das veränderte Wahlmuster sollte weder als Ost-Seltsamkeit, noch als Rücksicherung, dass im Westen alles beim Alten bleibt, wahrgenommen werden. ... Wer weiter den Kopf in den Sand steckt, wird auch bei zukünftigen Wahlen dafür die Quittung erhalten.

Katja Hoyer

Die CDU kommt in ihrem Beitrag übrigens nur am Rande vor.

Und dann kommt Sepp Müller ran, Vizefraktionschef der Union im Bundestag, ein ostdeutscher Wahlgewinner, einer, "der erklären kann, wie es eben doch geht". Er "ist es leid, wie nach der Wahl auf den Osten eingehauen wird." Okay, verstanden. Was ist aber nun mit der CDU?

Seine Antwort auf die Frage, wie man im Osten noch Wahlen gewinnen kann, lautet, er betreibe "Erwartungsmanagement", also mit den Leuten reden. Hm. Denn ein paar Zeilen später heißt es über die AfD, sie habe bei der letzten Kommunalwahl mehr Sitze errungen, als sie füllen konnte. Haben die nicht vorhandenen Kandidaten auch Erwartungsmanagement betrieben?

"Eine Geschlossenheit, die sich gewaschen hat"

Christian Linnemann, den Generalsekretär der CDU macht es sich wieder einmal sehr einfach. Er schlägt die Zugewinne von AfD und BSW kausal der Ampel zu. Keine Rede mehr davon, Friedrich Merz werde "die AfD halbieren", stattdessen behauptet Linnemann: "Die AfD redet nur und macht nichts. Wir machen." Etwa das Gleiche? Remigration?

Wir müssen die Probleme lösen. Wir dürfen uns nicht mit Nebensächlichkeiten beschäftigen, sondern mit den Kernthemen der Menschen: Lebe ich sicher? Ist mein Geld sicher? Ist mein Job sicher? Das machen wir, wir sind toll aufgestellt, mit einer Geschlossenheit, die sich gewaschen hat.

Christian Linnemann

Kanzlerkandidatur Merz: Gut für Scholz

Interessant sind in dem Zusammenhang die Umfragen, deutlich machen, dass eine mögliche Kanzlerkandidatur des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz zurzeit das Beste ist, was Kanzler Olaf Scholz (SPD) passieren könnte.

Merz steht für das Abrücken der CDU vom Kurs der nach wie vor beliebten Angela Merkel. Merz ist bei den Wählern nicht beliebt. Er steht für den überholten Konservativismus der Neunzigerjahre und wird bei den eigenen Leuten als zu vorlaut, und sich oft im Ton vergreifend wahrgenommen. Merz wird vorgeworfen, er komme weder bei Jüngeren noch bei Frauen gut an.

Zwei harte Debatten

Je mehr Lagerdenken die kommende Bundestagswahl bestimmt, umso besser für Scholz. Darum stehen der Union in den nächsten Monaten noch zwei harte Debatten ins Haus: Die über die Ausrichtung der Gesamtpartei: Wie viel Grün darf es sein? Wie viel AfD muss es sein? Wie viel Bellizismus und teure Ukraine-Unterstützung verträgt das friedlich gesonnene Wählervolk?

Und: Wie kann man all das erklären und konsistent zusammenführen?

Diese Frage führt zur zweiten. Denn erklären und konsistent zusammenführen muss es der Kanzlerkandidat. Was Armin Laschet problemlos gelingen könnte, das könnte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst Umfragen zufolge auch viel besser als Merz.

Keine Alternative für Deutschland

Wüst – "Schwarz-Grün kann Brücken bauen" – sägt vorsichtig, aber vernehmbar an Merz‘ Stuhl und vermeidet ein klares Bekenntnis zu Merz:

Es ist dringend nötig, dass es einen Politikwechsel in Deutschland gibt. Die Ampel ist nicht in der Lage, adäquate Lösungen für die Probleme unserer Zeit zu finden. Friedrich Merz macht einen sehr guten Job als Oppositionsführer und hat die Union stabilisiert. Die Frage der Kanzlerkandidatur wird, wie verabredet, nach den Landtagswahlen im Osten geklärt. So wollen es auch die dortigen Wahlkämpfer.

Hendrik Wüst

Die politische Mitte müsse Probleme lösen. Jedes Problem, das liegen bleibt, sei eine Einladung an Extremisten.

Und dann ist da noch Markus Söder. Wie Wüst wirkt er gegenüber dem 68-jährigen Sauerländer wie ein Zukunftsversprechen. Aber das CSU-Ergebnis war nur mittelgut, und viele in der Union nehmen Söder das Mobbing gegen Armin Laschet nachhaltig übel. Dies habe genau jenes eine Prozent Stimmen gekostet, das die SPD bei der letzten Bundestagswahl Vorsprung vor der Union hatte. Kaum auszudenken, wenn heute Jamaika regieren würde!

Merz: Probleme im Osten

Mit seiner Absage an Koalitionen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat sich Merz auch keine neuen Freunde gemacht, erst recht nicht bei seiner eigenen Partei im Osten der Republik. Dort kann es sich die CDU nicht leisten, geschmäcklerisch bei der Auswahl ihrer Mehrheitsbeschaffer zu sein.

Merz hatte über BSW gesagt, Christdemokraten dürften nicht koalieren. Wegen "Russlandnähe". Michael Kretschmer, Ministerpräsident in Sachsen, sagt aber in Sachen Ukraine ungefähr das Gleiche wie Wagenknecht: Man solle versuchen, den Ukraine-Konflikt so schnell wie möglich diplomatisch zu lösen:

Wir müssen die Logik von Waffen und Gewalt durchbrechen.

Christdemokraten erzählen in diesen Tagen, wie groß bei den Menschen zwischen Erzgebirge und Ostsee das Verständnis für den Herrscher im Kreml ist, wie verbreitet die Idee, die Nato habe Russland provoziert.

Die Merz-Linie ist eine andere. Die Union war stets transatlantische Partei, die Partei der Westbindung und des Nato-Beitritts. In vertraulicher Runde, so die SZ, rudert Merz bereits zurück: Man dürfe mit Blick auf die Bundeswehr und die Deutschen nicht von "Kriegstüchtigkeit" sprechen. Besser von "Verteidigungsfähigkeit".

Das Fazit all dieser Überlegungen ist immer das Gleiche: Die Union ist jedenfalls unter Friedrich Merz keine Alternative für Deutschland

Der wahre Verlierer ist die Ukraine

Der wahre Verlierer der Europawahl ist aber weder die Union noch die Ampel, sondern die Ukraine. In Deutschland verloren die größten Unterstützer von immer mehr Waffenlieferungen und antirussischer Außenpolitik am meisten Stimmen, oder verharrten auf niedrigem Niveau.

Es gewannen ausschließlich Parteien, die Distanz zu Nato und den USA, zu immer neuen EU-Erweiterungen und einer vom Neoliberalismus geprägten Wirtschaftspolitik haben: AfD und "Bündnis Sahra Wagenknecht".

Auch in anderen EU-Staaten verloren ausgewiesene Ukraine-Freunde wie der französische Präsident Macron besonders stark, während Russland-Sympathisanten wie Marine Le Pen viele Stimmen gewannen.