Das neue Geschäftsmodell der Plattenindustrie?
Update: Arbeitsloser Radio- und Fernsehtechniker soll knapp 5.000 Euro zahlen
Man kennt es ja - Abmahnungen mit 250.000 Euro Streitwert. Neu allerdings: Diesmal ist kein Promi-Name in einer Domain schuld, sondern ein kleines Progrämmchen namens "ClonyXXL".
Was das eigentlich tut? Den Kopierschutz auf einer gekauften CD beim Namen nennen, sagt Chip.de und bietet es auch gleich zum Download an. Das ist nützlich, um Störungen beim Abspielen neuerer CDs auf die Spur zu kommen, die sich ja mit vorhandener Audio- und Computer-Hardware nur teilweise verstehen: Ob Profi-CD-Laufwerke im Rundfunk, portable MP3-Spieler, Autoradios wie Blaupunkts Woodstock DAB 52, Multifunktions-DVD-Spieler, Macs oder PCs mit DVD-Laufwerken - die neuen Un-CDs bringen sie ins Stottern, zum Schweigen oder gar zum Totalabsturz.
Während der Generationswechsel von der Vinylplatte zur Audio-CD nach Red Book einst langsam und freiwillig ablief und dabei den Käufern jede Menge Vorteile brachte, für die sie sich gerne ein neues Abspielgerät anschafften, ging der Wechsel von der Audio-CD nach Philips-Norm zu herstellerspezifischen inkompatiblen Daten-ROM-Scheiben von Sony Music, BMG oder Universal innerhalb nur weniger Monate über die Bühne: Mit Ausnahme des neuen Ärzte-Doppelalbums, das dem Kopierschutz den Stinkefinger zeigt und deshalb für viele Computerbesitzer die erste gekaufte CD des Jahres 2003 darstellt, gibt es ansonsten zumindest von deutschen Interpreten nur noch Scheiben eingeschränkter Funktion, die auf allem anderen als einem Standard-CD-Spieler ohne Zusatzfunktionen streiken, am Windows-PC nur stark komprimierten Sound minderer Qualität mittels einer Windows-Software liefern, unter Linux ganz stumm bleiben und Macs als besonders unerwünschte Spezies sogar gleich komplett crashen.
Wenn es nach einigen vor Jahren noch erfolgreichen Musikern geht, sollen die Produkte der Plattenindustrie zukünftig sogar gezielt das Betriebssystem angreifen und zerstören - bis zum automatischen Mail an Microsoft zwecks Annullierung der Windows-XP-Lizenz und anschließendem "Format C:" oder gar der Vision von Geb ist es nicht mehr weit. Im Büro Musik hören ist also nicht mehr, egal, wie teuer die Scheibe war, und im Auto ist der CD-Musikgenuss ebenso Vergangenheit, denn selbst, wenn das Autoradio nicht blockiert und so einen teuren Werkstattbesuch erforderlich macht, wird niemand Autoknacker mit dem Herumliegen von Original-CDs im Wagen ermuntern wollen. Stattdessen werden wieder mehr Autoradios mit Kassettenteil geordert. Während CD-Spieler dank minimalen Verschleißes früher durchaus 20 Jahre liefen, ist nun halt ein "Hardware-Update" angesagt, wenn ein zwei Jahre altes Gerät mit der neuen Scheibe nicht zurecht kommt. "Beim PC wird dies ja auch akzeptiert", so der lapidare Kommentar von Dr. Hartmut Spieseke als Sprecher der Plattenbranche.
Alle 2 Jahre ein neuer CD-Player?
Früher, in der guten alten Zeit vor dem 11. - nein 13.9.2003, halfen ältere Versionen von Clony XXL auch dem bekannten Kopierprogramm Clone CD, wenn es um das Kopieren von geschützten Spiele-CD-ROMs ging. Später wurde diese direkte Programmierung von Clone CD durch Clony XXL als kritisch angesehen und entfernt - ein Zusatztool "Profiler" gab nun nach Eingabe der Ergebnisse von Clony XXL zumindest Tipps, wie man Clone CD manuell auf die eingelegte Scheibe einstellen muss. Mit allen drei Programmen und etwas Tipperei war man also wieder bei einer funktionierenden Kopierlösung - doch eigentlich eben für Spiele-CD-ROMs.
Das ist übrigens auch heute noch erlaubt, wenn es sich nur um eine Sicherungskopie handelt und die beim Besitzer des Originals bleibt. Bei Spielen muss der Kopierschutz ja mitkopiert werden, damit die Kopie funktioniert. Die Benutzung des Trios für kopiergeschützte Audio-CDs ist zwar ebenfalls möglich, doch nur begrenzt von Nutzen, denn Clone CD kopiert zwar auch geschützte Musik-CDs, doch nur 1:1 - die Kopie läuft dann also ebenso wenig wie das Original und dem Musikfan ist nicht geholfen. Genau dieses Umwandeln proprietärer Formate in eine spielbare Audio-CD nach Red Book war der Musikbranche stets ein Dorn im Auge, weshalb Clone CD dieses Feature nie hatte und bis zum 13.9.2003 legal war. Heute dagegen ist schon die im Gegensatz zu den Spielen ebenfalls nicht lauffähige Sicherungskopie geschützter Audio-CDs per Gesetz illegal und damit nun auch Clone CD.
Die meisten mit höherwertigen Abspielgeräten ausgerüsteten CD-Käufer haben allerdings weder Zeit, Lust noch das Wissen, sich mit dem seit dem 13.9.2003 nun auch noch illegalen Entfernen des Kopierschutzes herumzuplagen und kaufen keine CDs mehr, sondern holen sich ebenso wie etliche Rundfunksender über das Internet gleich fertige MP3s aus dem Ausland, denn die neuen Gesetze betreffen nur die EU. Die Musikindustrie klagt folglich über sinkende Umsätze, konsolidiert sich, will nun auch gegen Tauschbörsenbenutzer vorgehen, sucht die Hauptschuld jedoch immer noch bei den nun verbotenen Kopierschutzknackern. Wer als Tipp für PC-Spieler auch nur einen Link zu Clony XXL zusammen mit dem Profiler auf seiner Website hatte und damit zumindest zu zwei der drei unerwünschten Programme, bekam nun Post von einer von der Plattenindustrie beauftragten Kanzlei aus München.
Irrtum und Unwissen schützen vor Strafe nicht
Über 100 Webmaster bekamen die Originalunterschriften der Plattenbosse der BMG Deutschland, der EMI, Edel Records, Sony Music, Universal und Warner Music auf den Tisch - auf einer Vollmacht der Münchner Kanzlei Waldorf. Dazu ein Anschreiben, in dem behauptet wird, die beiden Programme seien "allein dazu bestimmt, Programmen das Kopieren geschützter Audio-CDs zu ermöglichen, die für sich genommen dazu nicht in der Lage wären", was schon mal nicht stimmt, weil das im Übrigen nicht verlinkte Clone CD dies auch alleine kann.
Doch dann wird es richtig heftig: Von Schadensersatz, Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße und Straftat mit bis zu 3 Jahren Gefängnis ist die Rede. Die Frist zur Antwort ist extrem kurz gewählt: Samstag Mittag den 6.12. liegt das am Freitag 5.12. verfasste Nikolausgeschenk der Musikindustrie im Briefkasten und Dienstag 9.12.2003 14 Uhr muss die Unterlassungserklärung bereits unterzeichnet in der Beethovenstraße in München sein. Wer kein Faxgerät benutzen konnte oder gerade nicht zuhause war und deshalb die Frist versäumte, bekam sofort die einstweilige Verfügung hinterher.
Doch auch ohne diese sind die Summen mörderisch: 250.000 Euro Streitwert sind angesetzt, was "unter dem Gesichtspunktes des Schadensersatzes gemäß § 97 UrhG als auch verschuldensunabhängig aufgrund Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 683, 677, 670 BGB" und nach der Rechtsanwalts-Gebührenordnung wegen der Vertretung mehrerer Plattenfirmen stolze 4.637 Euro ergibt. "Wer den Diebstahl von Musik mit Hilfe illegaler Technik unterstützt, muss schon mal für Schadenersatz sparen", erklärt Gerd Gebhardt, Vorsitzender der deutschen Phonoverbände, doch von den 4.637 Euro geht gar nichts an Schadensersatz an die IFPI - die behält die Kanzlei Waldorf komplett für sich. Insgesamt geht es in dieser Abmahnwelle für die Münchner Kanzlei also um fast eine halbe Million Euro Einnahmen.
Kanzlei ist auf Werbefinanzierung des Browsers angewiesen
Offensichtlich benötigt man dort auch dringend etwas Kleingeld, denn die Screenshots von den beanstandeten Websites wurden mit der werbebannerfinanzierten Gratis-Version von Opera erstellt, für den Kauf von Opera reichte die Finanzdecke bislang nicht. Was nicht weiter tragisch wäre, wenn man diese in den Ausdrucken eingeblendeten Banner nun nicht auch noch den Webseitenbetreibern zur Last legen würde, wie unter anderem dem Webmaster von Winsolution.de, der dort in seiner Freizeit rein privat Unterstützung zu Microsoft-Programmen anbot, dabei auf Werbefinanzierung zu 100% verzichtete und mit der Seite auch zuvor nur draufzahlte. Ob er dem Richter beibringen kann, dass nicht er an den Werbebannern in den Ausdrucken verdient, sondern die Gegenseite? Vermutlich nicht.
Die Website hat er jedenfalls entnervt komplett abgeschaltet - Pech für Microsoft, Sieg für die Plattenindustrie. Das strittige Programm war auch nur als Kopierhilfe für Spiele erwähnt worden, von Audio-CDs war dagegen nie die Rede. Die ganze Audio-CD-Kopierschutz-Debatte war dem Webmaster komplett entgangen - Musik-CDs hat er seit 13 Jahren nicht mehr gekauft, weil ihm die Muße zum Musikhören fehlte und sich somit auch nicht um kopiergeschützte Exemplare gekümmert, denn die gab es da ja noch gar nicht. Er wusste schlichtweg nicht, dass der bereits im April angelegte Link trotz der Erlaubnis, eine Sicherungskopie geschützter Spiele anzulegen über die Hintertür "Audio-CD" mit den neuen Gesetzen plötzlich illegal geworden war und hätte den Link und den Hinweis auf das Programm auch auf einen formlosen Hinweis - egal von wem - sofort entfernt und sich auch entschuldigt.
Doch die für die Plattenindustrie tätigen Juristen wollten eine harte Konfrontation und keine friedliche Einigung - es soll ein Signal gesetzt werden, dass mit der Musikbranche nicht mehr gut Kirschen essen ist und sie nicht mehr die Unterhaltungs- und Spaßbranche ist, als die man sie von früher kennt. Und die Spielehersteller kommen auf diese Art zu einem Verbot der Sicherungskopie, das ihnen das Gesetz selbst nicht gibt.
Der Inhaber von Winsolution.de ist Rundfunk- und Fernsehtechniker und dank des Konjunktureinbruchs bereits seit Dezember 2000 arbeitslos. Für den Anwalt dürfte dort demnach mangels Masse nichts zu holen sein. Musik-CDs wird er für den Rest seines Lebens garantiert nicht mehr kaufen, ebensowenig wie die Macher von Winfuture.de, bei denen mit AnyDVD ein anderes Programm beanstandet wurde, das eigentlich DVDs betrifft. Da es auch Musikvideos gibt, fühlt sich jedoch auch hier nicht etwa die Film-, sondern wieder die Musikbranche angegriffen. Die Macher dieser Website sind Schüler und Azubis, weshalb die in diesem Fall ausnahmsweise "nur" 2.500 Euro für die "arme, notleidende" Kanzlei Waldorf als Weihnachtsgeschenk 5-Euro-weise von den Usern gesammelt werden - Ebenezer Scrooge lässt grüßen.
Bislang ist das Kopieren von Audio-CDs nur eine Nebenfunktion
Dr. Spieseke vom Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft betont derweil:
Wir wollen niemanden in den Bankrott treiben [...]. Unser Ziel ist nicht das Geldverdienen - die Abmahngebühren erhält übrigens der Anwalt, die sehen wir gar nicht - sondern die Unterbindung der illegalen Angebote.
Doch könnte es ihm da ergehen wie der KJM, die deutsche Erotikangebote schärfer kontrollieren will ("Wir haben die Gesetze ja nicht erfunden"): Die User werden aufs im Netz nur einen Klick entfernten Ausland ausweichen. Und vor allem: Sie werden durch die hohen Strafen überhaupt erst aufmerksam - "was so massiv bekämpft wird, da muss ja wohl was dran sein" - und Programme entwickeln, die den Abspielschutz aus Audio-CDs auf einfachem Weg entfernen. Dann könnten die neuesten Scheiben auch wieder beim Jogging oder im Auto gehört werden - solange man dabei nicht von der Musikpolizei erwischt wird, versteht sich.