Das ohrenbetäubende Schweigen der Intellektuellen inmitten globaler Konflikte

Seite 2: Heuchelei: Demokratie und Menschenrechte benutzen, um sie zu zerstören

3) Die Demokratie ist so sinnentleert, dass sie von denen instrumentalisiert werden kann, die sie benutzen, um sie zu zerstören. Gleichzeitig werden diejenigen, die der Demokratie dienen, um sie gegen den Faschismus zu stärken, als radikale Linke abgestempelt.

Auf internationaler Ebene hat der Westen den Ereignissen auf dem Kiewer Maidan-Platz im Jahr 2014 einhellig Beifall gezollt. Damals begann der gegenwärtige Krieg tatsächlich.

Trotz der Tatsache, dass die Fahnen von Nazi-Organisationen während der Proteste gut sichtbar waren; trotz der Tatsache, dass sich der Volkszorn damals gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Viktor Janukowitsch richtete; und trotz der Tatsache, dass Victoria Nuland, die neokonservative Assistant Secretary of State im US-Außenministerium und zuständig für europäische und eurasische Angelegenheiten, laut Abhörprotokollen ausdrücklich die Personen benannt hatte, die im Falle eines Sieges die Macht ausüben sollten, darunter eine amerikanische Staatsbürgerin, Natalie Jaresko, die später von 2014 bis 2016 als neue Finanzministerin der Ukraine fungierte: trotz all dieser Aspekte wurden die Ereignisse, die auf einen gut orchestrierten Staatsstreich hinausliefen, mit dem ein prorussischer Präsident abgesetzt und die Ukraine in ein US-Protektorat verwandelt werden sollten, überall im Westen als glänzender Sieg der Demokratie gefeiert.

Sicherlich war all das nicht derart absurd, wie die Inszenierung von Juan Guaidó, einem venezolanischen Oppositionellen, sich 2019 auf einem öffentlichen Platz in Caracas zum Interimspräsidenten Venezuelas erklärte, was den USA und vielen EU-Ländern ausreichte, ihn als solchen anzuerkennen. Im Dezember 2022 setzte die venezolanische Opposition selbst dieser Farce ein Ende.

4) Die Doppelmoral bei der Bewertung der Geschehnisse in der Welt nimmt abartige Ausmaße an und wird quasi automatisch zur Stärkung der Kriegsbefürworter, zur Stigmatisierung der linken Parteien und zur Normalisierung der Faschisten eingesetzt. Die Beispiele sind zahlreich, und die Schwierigkeit besteht darin, eine Auswahl zu treffen.

Lassen Sie mich nur einige Beispiele aus meinem eigenen Land und darüber hinaus anführen. In Portugal ähnelt das respektlose und beleidigende Verhalten der Mitglieder der rechtsextremen Partei Chega dem Verhalten der Abgeordneten der deutschen Nazi-Partei seit ihrem Einzug in den Reichstag in den frühen 1920er-Jahren.

Man versucht, sie zu stoppen, aber die politische Initiative gehörte der Nazi-Partei und die wirtschaftliche Situation war vorteilhaft für sie. Bereits im Mai 1933 veranstaltete die Nazis ihre erste Bücherverbrennung in Berlin. Wie lange wird es dauern, bis das auch in Portugal geschieht?

Unterstützt größtenteils von US-amerikanischen Institutionen zur Aufstandsbekämpfung versuchen globale Rechte heute linke Regierungen entweder durch sanfte Staatsstreiche zu stürzen oder durch Korruptionsvorwürfe zu zermürben und zu zwingen, sich ständig mit Fragen der Regierbarkeit auseinanderzusetzen, sodass sie zu keiner Strategie mehr finden.

Es wird der Anschein in Portugal erweckt, also ob Korruption auf die Sozialistische Partei beschränkt sei, die bei den letzten Wahlen im Jahr 2022 eine absolute Mehrheit errang. In den Augen der hegemonialen konservativen Medien gilt jeder Minister in der Regierung der Sozialistischen Partei bis zum Beweis des Gegenteils als korrupt. Es dürfte nicht schwer sein, ähnliche Beispiele in anderen Ländern zu finden.

Aus dem internationalen Kontext möchte ich zwei eklatante Beispiele anführen. Es gibt inzwischen belastende Hinweise darauf, dass die Explosion der Nord-Stream-Gaspipelines im September 2022 das Werk der USA war (und angeblich von Präsident Joe Biden "beaufsichtigt" wurde, eine Behauptung, die er bestreitet), die möglicherweise von Verbündeten unterstützt wurden.

Ein Vorfall dieses Ausmaßes hätte sofort von einer unabhängigen internationalen Kommission untersucht werden müssen. Es scheint offensichtlich, dass die geschädigte Partei – Russland – kein Interesse daran hatte, eine Infrastruktur zu zerstören, die sie durch einfaches Abdrehen des Gashahns funktionslos hätte machen können.

Am 8. Februar wies Seymour Hersh, ein angesehener amerikanischer Journalist, anhand schlüssiger Informationen darauf hin, dass die Sabotage von Nord Stream 1 und 2 seit Dezember 2021 von den USA geplant worden war. Wenn das tatsächlich der Fall war, haben wir es mit einem abscheulichen Verbrechen zu tun, das auch ein Akt des Staatsterrorismus ist.

Die USA, die sich als Verfechter der globalen Demokratie gerieren, sollten ein großes Interesse daran haben, herauszufinden, was passiert ist. War das etwa der einzige Weg, um Deutschland dazu zu bringen, dem Stellvertreterkrieg gegen Russland beizutreten?

Wollte man mit der Sabotage der Gaspipelines die vom ehemaligen deutschen Bundeskanzler Willy Brandt eingeleitete europäische Politik der abgeschwächten Energieabhängigkeit von den USA beenden? War es angesichts hoher Energiekosten und Unternehmensschließungen im eigenen Land nicht ein wirksames Mittel, um den Wirtschaftsmotor der EU zu bremsen? Wer profitiert von dieser Situation? Es wird geschwiegen über diesen möglichen Akt des Staatsterrorismus.

Ein weiteres Beispiel für die eklatante Doppelmoral ist die Gewalt der israelischen kolonialen Besatzung Palästinas, die sich weiter verschärft. Allein im Januar 2023 tötete Israel 35 Palästinenser. Bei einer Razzia am 26. Januar im Flüchtlingslager Dschenin im Westjordanland tötete Israel zehn Menschen. Einen Tag später tötete ein palästinensischer Jugendlicher sieben Menschen vor der Synagoge einer jüdischen Siedlung in Ostjerusalem, einem von Israel illegal besetzten Gebiet.

Gewalt gibt es auf beiden Seiten des Konflikts, aber das Missverhältnis ist erdrückend, und viele Terrorakte des Staates Israel (die manchmal ungestraft von Siedlern oder von Soldaten an Kontrollpunkten begangen werden) gelangen nicht einmal in die Nachrichten.

Es gibt keine Korrespondenten der westlichen Medien, die über die Geschehnisse in den besetzten Gebieten berichten, wo der Großteil der Gewalt stattfindet. Abgesehen von flüchtigen Handyaufnahmen gibt es keine erschütternden Bilder von Leid und Tod auf palästinensischer Seite. Die internationale Gemeinschaft und die arabische Welt schweigen zu diesem Thema.

Trotz der extrem unverhältnismäßigen Mittel der israelischen Kriegsführung gibt es niemanden, der wirksame militärische Ausrüstung nach Palästina schicken will, wie es derzeit bei der Ukraine der Fall ist. Warum ist der Widerstand in der Ukraine gerecht, der palästinensische aber nicht?

Europa, der Kontinent, auf dem der Holocaust stattfand, dem Millionen von Juden zum Opfer fielen, ist letztlich ein Auslöser gewesen, warum überhaupt die Verbrechen gegen Palästina begangen wurden. Heute befindet man sich sogar in einer abscheulichen Komplizenschaft mit Israel.

Die EU beeilt sich derzeit, einen Gerichtshof für Kriegsverbrechen einzurichten, aber – und das ist Heuchelei – nur für solche, die von Russland begangen worden sind. Wie in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg werden die Aufrufe zum Pro-Europäismus (Paneuropa, wie es damals hieß) immer mehr zu Aufrufen zum Krieg.

Sie führen zu einer Rhetorik, die darauf abzielt, das unfaire Leid und den Verlust von Wohlstand zu verschleiern, die Europäer erleiden müssen, ohne dass sie über die Notwendigkeit oder die Vorteile des russisch-ukrainischen Kriegs vorher befragt worden wären.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit der Medienplattform Globetrotter. Der zweite Teil der Analyse folgt in Kürze.

Boaventura de Sousa Santos ist emeritierter Professor für Soziologie an der Universität von Coimbra in Portugal. Sein jüngstes Buch ist "Decolonising the University: The Challenge of Deep Cognitive Justice".