Das schwedische Modell der Wehrpflicht: Eine Inspiration für Deutschland?

Drei schwedische Wehrpflichtige mit Gewehr AK5. Archivfoto (2008): Osquar / CC BY-SA 3.0 Deed

Verteidigungsminister Pistorius hält es für besonders geeignet. Ist das System der selektiven Wehrpflicht ein Lösungsansatz für Deutschland?

Plötzlich ist wieder vom "Schwedischen Modell" die Rede, aber diesmal geht es nicht um Corona, sondern um den Wehrdienst.

Der deutsche Verteidigungsminister reiste nach Schweden. Er sucht nach einer Methode, wie er mehr Leute "in die Truppe" bekommt, ohne gleich die allgemeine Wehrpflicht wieder aktivieren zu müssen, für die es aktuell keine politische Mehrheit gibt. Boris Pistorius hält es für "besonders geeignet".

Was spricht für das schwedische Modell?

Aus Sicht des Militärs ist das schwedische Modell höchst zweckmäßig. Es hat den Zugriff auf die Besten des Jahrgangs, seien es junge Männer oder Frauen, muss aber nur so viele nehmen, wie tatsächlich ausgebildet werden können oder sollen.

In der Vergangenheit, als vergleichsweise wenige überhaupt eingezogen wurden, hatte man dabei auch noch den Vorteil, sich Leute aussuchen zu können, die auch wirklich Lust dazu hatten.

Inzwischen trifft die Auswahl auch Leute, die eigentlich andere Pläne hatten. Die militärische Grundausbildung dauert 9-15 Monate, je nach Platzierung. Die Zuordnung trifft das Militär. Wem der Dienst an der Waffe zuwider ist, der kann "waffenfreien Dienst" beantragen.

Das schwedische Modell der Gesamtverteidigungspflicht

Die Wehrpflicht ist allerdings nur ein Teil des schwedischen Modells der "Totalförsvar" – einer gesamtheitlichen Verteidigungsstruktur der Vor-Nato-Zeit, die trotz einiger internationaler Beteiligungen primär der Landesverteidigung dient.

Alle, die in Schweden wohnen und zwischen 16 und 70 Jahre alt sind, sind von dieser Gesamtverteidigungspflicht umfasst und könnten in einer Krisen- oder Kriegssituation zu einem Dienst abkommandiert werden – das können auch zivile Tätigkeiten sein, die gebraucht werden, oder der Job, den man ohnehin macht.

Bereitschaft der Zivilgesellschaft

Die Bereitschaft der Zivilgesellschaft spielt eine vergleichsweise sichtbare Rolle. So werden die Leute bei der jährlichen "Bereitschaftswoche" daran erinnert, dass sie möglicherweise auch einmal ohne Strom, Wasser oder Internet klarkommen müssen – egal aus welchem Anlass.

Diese Bereitschaftswoche gab es auch schon vor dem Krieg in der Ukraine und war für manche da einfach eine interessante Herausforderung. Die Broschüre "Om krisen eller kriget kommer" ("Wenn es eine Krise oder Krieg gibt") der Behörde für Zivilschutz und Bereitschaft enthält eine Packliste für Vorräte und Gegenstände, die man zur Hand haben sollte – vom Campingkocher zum Wasserkanister zum Batterieradio. An einer Neuauflage wird gerade gearbeitet.

Zivilpflicht

Neben der Wehrpflicht gibt es auch eine "Zivilpflicht", die lange ausgesetzt war, deren Reaktivierung aber vergangenes Jahr angekündigt wurde.

Dabei geht es um eine Grundausbildung in zivilen, systemrelevanten Bereichen wie Stromversorgung oder Rettungsdiensten. Im Ernstfall können diese Personen dann in diesem Bereich eingesetzt werden. Bei der Reaktivierung wurde explizit die Erfahrung aus dem Ukrainekrieg genannt, die den Bedarf gezeigt habe.

Wie die Wehrpflicht in Schweden funktioniert

Die Wehrpflicht war 2010 ausgesetzt worden und wurde 2017 nach der russischen Annexion der Krim wieder reaktiviert, diesmal für Männer und Frauen. Und so funktioniert die Wehrpflicht konkret, also der Teil, der Boris Pistorius am meisten interessierte:

Alle 18-Jährigen (in diesem Jahr rund 110 000) werden zunächst angeschrieben und sollen online einen Fragebogen ausfüllen. Darin geht es sowohl um ihre Interessen als auch um ihre körperliche Fitness. Wer nicht Dienst an der Waffe tun will, sollte dies möglichst bereits da vermerken.

Nur ein Teil dieser 18-Jährigen, etwa 28 000 junge Männer und Frauen, werden dann tatsächlich zur Musterung geladen, zu der man verpflichtet ist, hinzugehen. Unter diesen werden dann (in diesem Jahr) die 8000 Personen ausgewählt, die am besten geeignet sein sollen und zum Wehrdienst einberufen werden.

Es gibt die Möglichkeit, aus verschiedenen Gründen den Wehrdienst aufzuschieben oder eine "waffenfreie" Ausübung zu beantragen. Aber wer ausgewählt wurde, hat die Pflicht zu erfüllen.

Wie gerecht ist das Modell?

"Gerecht" im Sinne des deutschen Gebots der Wehrgerechtigkeit ist das schwedische Modell nicht – den einen trifft es, den anderen eben nicht, auch wenn es in Zukunft noch mehr Leute treffen soll, da Personal aufgebaut werden soll.

Die Organisation Svenska Freds führt eine Liste darüber, wie viele jährlich zu Geld- oder Gefängnisstrafen verurteilt wurden, weil sie Musterung oder Wehrpflicht verweigerten. 2022 gingen 7 Personen ins Gefängnis und 41 erhielten eine Geldstrafe.

Zurzeit sieht die Personalsituation der schwedischen Streitkräfte folgendermaßen aus (bei einer Bevölkerung von 10,5 Millionen Menschen): 15 400 hauptberufliche Soldaten, Offiziere und Seeleute (ohne Wehrpflichtige), 10 200 zivile Angestellte und 22 200 Reservisten ("Hemvärn").

Dazu kommen nur zeitweise eingesetzte ausgebildete Kräfte und Reserveoffiziere. Auffällig ist hier der hohe Anteil an Reservisten im Vergleich zu den Hauptberuflichen. Nach Russlands Invasion der Ukraine stieg die Zahl der Freiwilligen, die sich dort einbringen wollten).

Ob die Mitgliedschaft der Nato die Motivation dafür stärkt oder sinken lässt, wird sich zeigen.