Deine Unsicherheit ist nicht mein Problem
Ungewohnt, oft kränkend und nichts für empfindliche Menschen oder Spielchenspieler: das Leben mit dem "Aspie"
Du liebst mich nicht
Klappern gehört zum Handwerk und Lügen zum sozialen Miteinander, gerade auch in Beziehungen. Ehrlichkeit um jeden Preis wird zu schnell als unsensibel, verächtlich oder brutal empfunden und ist insofern vielfach unerwünscht. Viele Menschen sind, ich nehme mich da nicht aus, unsicher und fragen die eine Sache, wollen aber in Wirklichkeit Antworten auf eine andere. Wie in den Sketchen von Loriot reicht dann schon die Feststellung, dass das morgendliche Frühstücksei hart ist um von "dir kann man es nie recht machen" über "mit meinem Gefühl stimmt was nicht" hin zu "ich racker mich für dich ab und du kannst nur meckern" zu kommen. Das Ende vom Lied ist, dass mancher ein zu hartes Ei runterwürgt weil er auf solche Endlosdiskussionen keine Lust hat. So werden Beziehungen oft zu einer tagtäglichen ritualisierten Form des Spielchenspielens, bei denen die unsicheren Menschen die anderen eben durch diese Tricks manipulieren.
Wer sich eine solche Beziehung wünscht oder einen manipulierbaren Partner möchte, der sollte um Menschen mit Asperger Syndrom einen großen Bogen machen. Das ist meistens nicht schwer, da sich Aspies nur ungern in Menschenmengen aufhalten oder in Discos, Bars oder Kneipen zu finden sind. Wenn, dann sitzen sie eher mit anderen Aspies zusammen oder für sich allein, mit anderen Kontakt aufzunehmen ist ihnen fremd. Hat man dann dennoch das Zusammenleben mit einem Aspie gewählt, dann wird schnell klar, dass dies eine große Herausforderung ist und, lapidar ausgedrückt, nichts für "Weicheier". Ich lebe mit einem.
Viele verstehen Aspies als eine Art Technikfachidioten, der zu keinerlei Beziehungen fähig ist, als den liebenswerten pizzaessenden Geek oder aber den stets trottelig agierenden Menschen, für den man sich in Gesellschaft schämt weil er sich so ähnlich wie "Al Bundy" benimmt. Den Aspie gibt es allerdings nicht, nur Menschen mit Asperger-Syndrom verschiedenster Ausprägung. Daher kann ich nicht für alle Partner der Aspies sprechen und will dies auch gar nicht. Aber neben all den Seiten über Aspies fiel mir auf, dass es wenig Seiten von Partnern gibt, die von ihrer Seite des Lebens berichten.
Lügen – rein ökonomisch gesehen
Marko sagt von sich selbst, dass er ein "Aspie" ist, für ihn auch kein Problem – er tickt eben anders als andere. Insofern ist er auch ziemlich illusionslos, was seine Chancen bei Frauen angeht – die meisten wollen die diversen Spielchen spielen und dafür ist Marko gänzlich ungeeignet, außerdem trinkt er kaum etwas, ist in Kneipen eher schweigsam, Discos etc. liegen ihm ebenso wenig wie teure Restaurants, dafür ist er ein Film- und Bücherfreund und sein Wissen im Bereich Geschichte und Mathematik ist immens. Die Chancen, jemanden kennenzulernen sind also begrenzt und sollte es dennoch vorkommen, so kommen eben die Spielchen dazu.
Für ihn sind viele dieser Spielchen nur eine Form des Lügens und Lügen ist Marko schlichtweg zu umständlich. Er betrachtet das vom ökonomischen Standpunkt aus: Wer lügt, muss sich stets merken, wem er was warum erzählt hat und dazu bedarf es viel Zeit, Gedächtnisleistung und Mühe. Schon am Anfang unserer Beziehung sagte Marko schlicht und ergreifend "Ich lüge nicht, ist mir zu umständlich." Was das für mich bedeutet? Dass die kleinen alltäglichen Lügen aus dem Leben herausfallen und ich manchmal ein ziemlich hartes Fell haben muss, um damit umzugehen. Bevor ich damit konfrontiert wurde, war mir nicht klar, wie unsicher ich auf manche Dinge reagiere – das Leben mit Marko legt diese Unsicherheit gnadenlos offen.
Es sind kleine Dinge, bei denen mir bewusst wird, wie oft die von vielen gerne propagierte Ehrlichkeit in Beziehungen letztendlich durch Manieren, Höflichkeit oder auch schlichtweg die Sorge vor der daraus resultierender Diskussion umgangen wird. Kochen ist ein typisches Beispiel – Markos und meine Rezeptvorlieben unterscheiden sich stark, auf der einen Seite ein Faible für einfache Hausmannskost, auf der anderen die Vorliebe für asiatisches Essen (nicht das euro-asiatische, das man überall beim "Chinesen" bekommt) und ähnliches. Für Marko zu kochen wird meist auf Grund mangelnder Erfahrung zum Desaster und wenn er auch sieht, dass ich mich bemühe, so lässt er eben Versalzenes schlicht und ergreifend liegen und kommentiert es mit einem "Zu salzig".
Er fängt nicht an, vorher etliche Worte darüber zu verlieren, dass er sich darüber freut, dass ich gekocht habe, dass ich das nicht persönlich nehmen soll, was er über das Essen sagt und so weiter, er kommentiert schlichtweg nur eine Tatsache. Doch die ersten Male saß ich dort, den Tränen nahe und merkte, dass ich es eben persönlich nahm. Warum eigentlich? ich merkte selbst, dass das Fleisch zu salzig war, aber ich nahm es als persönliches Versagen wahr, dass das Essen nicht so geworden war wie ich es hoffte. Etwas, was noch öfter vorkommen würde.
Dies ist nur ein kleiner Aspekt des Ganzen – egal ob er keine Lust hat wegzugehen, zu müde zum Kuscheln oder Fernsehen ist, gerade einmal keinen Fisch essen möchte, auch wenn ich dafür lange in der Küche stand ... Ausreden sind ihm zu mühsam. Und Manipulationen greifen bei Marko ins Leere – das geschmollte "aber ich hab mich so darauf gefreut" hat ebenso wenig Wirkung wie ein "aber wir waren schon so lange nicht mehr weg", "kannst du mir nicht diesen Gefallen tun" . Spielchen wie "du liebst mich nicht mehr" kann ich mir gleich ersparen, denn sie verursachen bei Marko höchstens Verwirrung oder Analysen, die dann erneut meine Unsicherheit bloßlegen.
Im eigenen Interesse verabschiedete ich mich von diesen in früheren Zeiten als ganz normal angesehen Verhaltensweisen. Sich einzugestehen, dass ich diese Spielchen, die ich selbst nicht mochte, in manchen Fällen selbst spielte, tat weh, war aber heilsam. So manches Mal habe ich nachts geweint und kam mir dann selbst dumm vor – warum war es so schmerzhaft zu sehen, dass Marko trotz all meiner Becircungsversuche mit mir kein Bier trinken wollte, sondern bei seiner Cola geblieben war? Letztendlich deshalb weil ich innerhalb der Beziehung auch manches als Machtprobe sah, als Beweis dafür, dass ich Marko "in der Hand hatte", dass er mich deshalb auch nicht im Stich lassen würde, ich ihn kontrollieren wollte. Kein schöner Zug und noch unschöner war es, sich das einzugestehen. Warum dieser Kontrollwunsch? Letztendlich nur deshalb weil ich fürchtete, ihn sonst zu verlieren. Unsicherheit und Angst pur, aber wer gibt das schon gerne zu? Das Zusammensein mit Marko entwickelte sich insofern zur Gratistherapie.
Immer meckerst du
Es fiel mir vorher gar nicht auf, wie oft ich bei der Bewertung eines Einzelfalls Worte wie "immer, dauernd, nie, jemals..." verwendet habe. "Nie hörst du mir zu", "Immer muss ich was sagen" Bei Marko kann ich mir das schenken, es heißt, beim Einzelfall zu bleiben. "Du hörst mir momentan nicht zu, das kränkt mich." - so einfach kann es sein, wenn man aus den eingefahrenen Pfaden heraustritt. Aber auch das war nicht einfach, ganz im Gegenteil, da ich mich selbst offenbaren musste, statt wie üblich zu versuchen, dem anderen die "Schuld" zuzuschieben.
Binäres Denken oder "ja, du siehst zerrupft aus"
Dass Technik und Computer im besonderen für Marko so anziehend sind, ist einfach zu erklären. Beim Computer gibt es ein Ja oder ein Nein, Nuancen sind dort nicht vorhanden, anders aber zeigt sich das Leben. Begriffe wie "etwas", "ein wenig", "sehr" oder "ein bischen" kommen bei Marko selten vor. Er ist entweder traurig oder nicht traurig, müde oder nicht, hat gute Laune oder keine gute Laune. Auch da prallten Welten aufeinander. Das kokett gefragte "ich seh heute zerrupft aus, oder?", in der Hoffnung, die Antwort würde ein charmantes "Ein wenig, aber ich finde dich immer noch toll und liebe dich sehr" oder gar eine Umarmung sein, führte zu einem lapidaren "Ja." Wer fragt, sollte vorher überlegen, ob er tatsächlich eine ehrliche Antwort will.
Ich erspare es mir mittlerweile, an zerrupften Tagen zu fragen. Es heißt, entweder die Eitelkeit abzulegen oder aber nicht mehr zerrupft auszusehen. Meine Entscheidung. Was das aber für jemanden heißen würde, der sowieso Probleme mit sich und seinem Aussehen hat, ist leicht vorstellbar. Die beliebte Frage "Schatz, bin ich dick?" könnte so manches mittelschwere Drama mit sich bringen, wenn ein "Ja" die Antwort wäre, das nicht mit diversen Entschuldigungen und Liebesbezeugungen einhergeht. Ich fühlte mich an manchen Tagen quasi verbal geschlagen - nur weil die Antwort auf eine Frage nicht so lautete, wie ich wollte. Wieder die verdammte Unsicherheit.
Marko sind Äußerlichkeiten weitgehend egal. Das heißt nicht, dass er nicht registriert, wenn ich beispielsweise geschminkt bin oder neue Ohrringe trage, er wird dies auch kommentieren, aber wenn ich Flecken auf der Bluse oder dem Kleid habe, sollte ich eher selbst nachschauen. "Sehe ich gut aus?" wird mit einem ehrlich gemeinten "Ja" goutiert, für ihn sehe ich eben immer gut aus. Aber ob die Unterwäsche hervorblitzt oder das Kleid im allgemeinen zu durchsichtig ist, wird nicht zuletzt deshalb, weil es nicht angefragt wurde, auch nicht an- und bemerkt. Noch dazu ist es für ihn schlichtweg nicht so interessant, insofern fällt es ihm nicht auf oder er meint, es wäre zu unwichtig, es zu kommentieren. Die Fragen, die ich Marko stelle, sollten daher auch möglichst präzise sein. "Wir könnten ja mal wieder was trinken gehen." bringt mich nicht weiter, "Lass uns doch heute Abend um 8 Uhr was trinken gehen" dagegen schon.
Schatz, du solltest duschen
Glücklicherweise kann ich daher auch ebenso ehrlich sein, was Marko angeht. Der Vorteil ist dabei auch, dass Marko nichts übel nimmt. Nachtragend sein ist einfach nichts, was die Zeit wert ist. Und Marko ist, obwohl in vielerlei Hinsicht alles andere als selbstsicher, in Bezug auf Kritik gegen das, was viele als "tiefe Wunde durch Kritik" nennen, resistent. Kritik wird von ihm angenommen, durchdacht und gegebenenfalls das Verhalten geändert, das ewig lange Verletztsein aber ist ihm fremd. Nur sollte die Kritik nicht allzu subtil sein. Anfangs versuchte ich noch, manches eher anzudeuten, auch um Marko nicht zu verletzen. "Na ja, also ich finde schon, dass Männer sich eben auch um ihre Ohren kümmern sollten ... die Haare dort ... eben ..." Das ist verlorene Liebesmüh. "Schatz, Deine Ohrenhaare stören mich etwas." war da weitaus wirksamer. Nur war ich so daran gewöhnt, alles zu umschreiben, anzudeuten oder mir Sorgen darüber zu machen, was in welcher Hinsicht nun für wen verletzend sein könnte, dass dies quasi ein Paradigmenwechsel war.
Fünf Stunden Rant über Atomkraftsicherheit, 2 Minuten Mitgefühl
Gefühle sind für Marko ebenso binär. Traurig/nicht traurig, schön/nicht schön, Liebe/keine Liebe – alles ist einfach eingeordnet und da ihm die Feinheiten und Nuancen fremd sind, ist die Antwort auf Trauer oft nur ein kurzes "Tut mir leid". Ich will in den Arm genommen werden? Tja, dann sollte ich ihm das sagen. Viele erwarten aber diese Art Gedankenlesen beim Partner - "du musst doch gemerkt haben, dass ich in den Arm genommen werden wollte". Das "instinktive Fühlen, was der andere will oder erwartet" führt in vielen Beziehungen zu Problemen und stellt für Menschen wie Marko ein Problem dar. "Warum sagst Du denn nicht, dass ich Dich in den Arm nehmen soll?" wäre letztendlich seine Gegenfrage, wenn ich mich darüber beschwerte, dass er dies nicht bemerkt hat.
Wenn es um Gefühle geht, besitzt Marko quasi einen Minireiseführer, bei anderen Themen hat er hundert Bände – so kann man es erklären. Es gibt 3-4 Formulierungen, die er immer wieder als Zeichen für sein Mitgefühl nutzt, ebenso 3-4 Formulierungen dafür, dass es ihm schlecht geht, 3-4 Formulierungen dafür, dass er mich liebt. Romantische Liebeserklärungen voller Kreativität und blumiger Sprache erhoffe ich mir nicht mehr, dafür weiß ich, dass ein "ich liebe dich" auch ernst gemeint ist, denn wäre es nicht so, würde es mir Marko sofort sagen. Unverblümt.
Dabei ist Marko keineswegs wortkarg. Im Gegenteil, er kann stundenlang über seine Fachgebiete, gerne Bücher oder Computer, fachsimpeln, kennt alle Figuren der Lieblingsbücher auswendig, alle Zitate, kann unendlich viele weitere Informationen zu Herkunft, Idee usw. der Figuren liefern. Falsche "Fakten" in Filmen bemerkt er sofort und erläutert, wieso sie falsch sind, auch wenn dabei der Film untergeht. Der Satz "Schatz, es ist ein Film, er ist nicht immer logisch oder von den Fakten her korrekt" ist Standard bei uns.
Dabei bemerkt Marko auch in Filmen, in denen die Logik sowieso über Bord geworfen wird, Ungereimtheiten. Auch innerhalb der Unlogik muss eine Logik herrschen und wenn nicht, dann wird Marko nicht müde, die Ungereimtheiten zu erläutern. Dabei wiederholt er oft wieder und wieder Ereignisse, Zitate aus Büchern oder persönlich Erlebtes in einer Endlosschleife, hier hilft dann nur ein freundliches aber bestimmtes "Schatz, das hast Du mir schon erzählt." Denn Marko bemerkt oft nicht, wenn das Gegenüber schon fast einnickt vor Langeweile. Hier hilft kein dezentes Gähnen, kein subtiles "aus dem Fenster starren", hier hilft nur "Können wir das Thema wechseln? Das reicht jetzt erstmal, okay?" Auch hier hilft es wieder, dass Marko nicht beleidigt ist, wenn man sich so direkt ausdrückt. Er ist eher dankbar, denn oft weiß er einfach nicht, was von ihm erwartet wird.
Das Leben mit Marko ist nicht einfach und für mich war es schwer, meine eigenen Unsicherheiten, die sich hinter den diversen Beziehungsspielchen steckten, zu erkennen und gegen sie anzugehen. Dafür kann ich mir aber sicher sein, dass ein "du bist für mich die tollste Frau auf der Welt" von Marko niemals geheuchelt sein wird. Ein "ich habe gerade keine Lust auf Kuscheln" allerdings auch nicht. Ich kann mir kein schöneres Leben vorstellen, aber ich glaube, für viele wäre es die Hölle schlechthin.
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