Demagogen: "Alle sprechen vom 'Volk', das von 'der Elite' unterdrückt wird"

Seite 5: "Der Rechtspopulismus gedeiht in einem Klima von Angst"

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Wie wird es Ihrer Meinung nach weitergehen: Werden die Rechtspopulisten nach und nach wieder die große politische Bühne verlassen?

Walter Ötsch: Entscheidend ist, ob die anderen Parteien die "populistische Lernstunde" (so hat das die Philosophin Isolde Charim genannt) begreifen: Was sind die Ursachen und strukturellen Gründe für die "Wut von unten", wie könnte man hier Abhilfe schaffen und Abgehängte und von der Politik Enttäuschte (vermutlich der untere Teil der Mittelschicht, der Angst um die Zukunft seiner Kinder hat) integrieren? Kurzfristig scheint der rechtspopulistische Aufstieg in einigen Ländern gestoppt, vor allem das Beispiel von Trump wirkt für viele in Europa abschreckend, und Inszenierungen, wie die von Macron, können Wirkung entfalten. Aber die Gründe und Ursachen für den rechten Protest bleiben bestehen.

Über die Ursachen für den Zuwachs für die Rechtspopulisten schreiben Sie in Ihrem Buch nur wenig. Haben nicht die etablierten Parteien eine Politik betrieben, die sich gegen die Ärmeren und Ärmsten richtet, und so den Volksverführern erlaubt, die faktisch vorhandene soziale Spaltung der Gesellschaft in ihrem Sinne zu instrumentalisieren?

Genauso: die Medien. Haben weite Teile der Medienlandschaft letztlich nicht diese Politik durch eine sehr herrschaftsnahe und herrschaftsfreundliche Berichterstattung mitgetragen? Ich erinnere nur an die so genannten "Reformen" unter Gerhard Schröder, also die Agenda 2010. Da wurde das schön klingende neoliberale Credo von der "Eigenverantwortung" von führenden Medien bis in die hintersten Winkel des Landes getragen. Erstaunlicherweise waren da die Solidarisierungseffekte insbesondere auch der kulturellen bzw. akademischen Eliten mit den Armen in der Gesellschaft sehr gering.

Walter Ötsch: Diese Themen werden in unserem Buch nur angedeutet, aber nicht umfassend behandelt, dazu müsste man ein eigenes Buch schreiben. Entscheidend sind jene Momente, die Ängste steigern können, denn der Rechtspopulismus gedeiht in einem Klima von Angst.

Ich unterscheide hier drei Arten von Wirkungsfaktoren: langfristige Ursachen, mittelfristige Ereignisse und kurzfristige Auslöser. Die langfristigen Ursachen liegen darin, wie sich das Wirtschaftssystem und die Politik verändert haben. In der Wirtschaft haben sich immer mehr Strukturen ausgeformt, die geeignet sind, Ängste zu steigern, wie z.B. die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen oder in Deutschland die Schaffung eines Niedriglohnsektors. Auch die Art der Politik hat sich gewandelt, und zwar in eine Richtung, die Colin Crouch Postdemokratie nennt. Viele Politiker fühlen sich z.B. kaum noch zuständig, Entwicklungstrends anzusprechen und langfristige Ziele vorzugeben.

Mittelfristige Ereignisse waren z.B. die Finanzkrise 2008 und die Wirtschaftskrise 2009. Speziell die Finanzkrise wurde der Bevölkerung von der Politik nicht in einfachen Worten erklärt. Jahrelang haben die Medien über die Krise berichtet, man hörte und las von atemberaubenden Billionen, es gab aber keine Debatte zu den Ursachen. Es wurde auch nicht vermittelt, wie man eine Wiederholung in Zukunft vermeiden will.

Wenn aber eine derartige Krise nicht erklärt wird, dann können Ängste steigen. Kurzfristig können zusätzlich Auslöser wirksam werden, wie der deutliche Zustrom von Asylsuchenden 2015 oder Terrorattentate. Die Reaktion der Medien auf letztere können nur als hysterisch bezeichnet werden. Hier werden Ängste in übertriebener Weise geschürt, das hilft den Rechtspopulisten. In den neunziger Jahren gab es mehr Terroropfer und besonnenere Medienreaktionen.

Was müsste denn getan werden, um Demagogen und Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln zu nehmen?

Walter Ötsch: Entscheidend wäre es, die langfristigen Ursachen in den Blick zu nehmen, hier Programme zu entwerfen und schrittweise umzusetzen. Die wachsende Ungleichheit z.B. wird immer noch zu wenig thematisiert, dagegen gibt es kein ernstzunehmendes politisches Programm. Auch der Skandal, dass sich sehr Reiche und Großkonzerne via "Steueroasen" in großem Maße ihrer Steuerpflicht entledigt haben, wird nicht wirklich angegangen.

Wenn die Gesellschaft ungleicher wird, muss der soziale Kitt langsam dünner werden. Wenn die daraus resultierenden Folgen nur von Rechtspopulisten thematisiert werden, werden soziale Fragen immer mehr als "völkische" (in Bezug auf die Ideologie "des Volkes") gedeutet. Das Land rückt dann sukzessive nach rechts und demagogische Denkweisen werden stärker.

Aber das kann sich wieder ändern, das Bewusstsein zu diesen Fragen nimmt zu. In Deutschland und in Österreich hat sich eine lebendige Zivilgesellschaft entwickelt, die gegen Demagogie Stellung nimmt. Es gibt auch eine wachsende Politisierung und ein steigendes Interesse an positiven Zukunftsentwürfen. Langfristig könnte ein solcher Diskurs die Demagogen zurückdrängen: Wie soll das Land in fünf, zehn oder zwanzig Jahren dastehen? Das könnten und sollten jene Parteien leisten, denen demokratische Standards ein Anliegen sind. Aber dazu müsste die neoliberale Politik einer scheinbaren Alternativlosigkeit angesichts "der" Globalisierung gebrochen werden.

Jahrelang wurde immer gesagt, es gäbe keine Alternative und das Ergebnis war die Alternative für Deutschland. Aber eine solche Alternative ist keine, weil sie auf dem rückwärts gewandten Bild einer guten alten Zeit beruht, die es niemals gegeben hat. "Make America great again" ist ein Nostalgieprogramm, weil es keine wirkliche Phantasie für eine positive Zukunft aktiviert. Trump wird nur dann an der Macht bleiben, wenn er eskalierende Inszenierungen macht, z.B. einen großen Krieg beginnt.

Was bisher noch fehlt in Ihrer Analyse ist eine klare Kritik an denjenigen, die dazu beigetragen haben, dass Demagogen und Rechtspopulisten überhaupt erst wieder so viele Stimmen bekommen konnten.

Walter Ötsch: Ein Ansteigen des Rechtspopulismus bedeutet in jedem Fall, dass die anderen Parteien etwas falsch gemacht haben und weiter falsch machen. Denn bei Wahlen gibt es immer noch eine Auswahl, man könnte auch andere Parteien wählen. Wenn attraktive Personen und ansprechende Angebote alternativ verfügbar sind, können Rechtspopulisten keine Zustimmung erhalten. Wenn es zu Trump eine überzeugende Gegenkandidatin oder einen überzeugenden Gegenkandidaten gegeben hätte, wäre jede noch so wirksame Inszenierung von Trump verpufft, vermutlich hätte man Trump als lächerliche Figur abgetan.

Die Frage ist, ich wiederhole mich, ob die anderen Parteien die "populistische Lernstunde" verstehen. Die Zukunft ist immer offen, wir können sie gestalten. Unser Buch hat keinen pessimistischen Grundton, sondern will ironisch eine Anleitung zur Volksverführung geben und aus dieser Distanz Mut machen. Wir zeigen, wie einfach Rechtspopulisten denken, welche Grundmuster in ihren Aktionen erkennbar ist und was man im Großen wie im Kleinen dagegen machen kann.

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