Demokratische Illusion: Warum Liberale bei den Wahlen in Russland scheitern müssen

Protest für faire Wahlen in Russland, 2012. Bild: somiz, CC BY 2.0

Schlagzeilen macht aktuell in Russland der liberale Boris Nadeschdin. Doch selbst, wenn er kandidiert, ist ein Erfolg ausgeschlossen. Warum, erfahren Sie hier.

Wenn bei den kommenden russischen Präsidentschaftswahlen auch ein liberaler Kriegsgegner zur Wahl steht, kann dies für das politische Establishment in Russland entgegen westlichen Erwartungen eine attraktive Option sein. Denn der praktisch sichere Sieg der eigenen Symbolfigur Wladimir Putin glänzt natürlich noch etwas heller, wenn es eine inhaltlich wirklich Alternative gegeben hat – die dann aber grandios gescheitert ist.

Auch wenn es sich dabei – wie bei dem Liberalen Boris Nadeschdin – nicht um einen Fundamentaloppositionellen handelt. Sondern um jemanden, der meint, Putin sei von seinen Beratern bezüglich der Ukraine-Invasion "in die Falle gelockt" worden.

Pauschale Russenhasser im Westen würden das Scheitern einer liberalen Kandidatur als Beleg für ihre kollektive Verurteilung eines Volkes werten. Ebenso wäre die Kandidatur für deutsche Putin-Fans ein scheinbarer Beweis dafür, dass in Russland doch nicht alles so schlimm ist, wie es in den eigenen Medien dargestellt wird. Von der Realität des russischen Systems sind all diese Gruppen im Westen jedoch weit entfernt.

Kein Unterstützungsnetzwerk im Inland

Ein völliges Scheitern ist zum Beispiel schon deshalb sehr wahrscheinlich, weil Wahlkämpfe in Russland – ebenso wie im Westen – ohne ein überregionales Netzwerk und vor allem ohne finanzielle Mittel nicht funktionieren.

Die gesamte liberale Szene in Russland wurde 2022/2023 zerschlagen, entweder zu ausländischen Agenten oder gleich zu unerwünschten und damit verbotenen Gruppierungen erklärt. Auf beides konnte kein liberaler Kandidat zurückgreifen.

Seit Kriegsbeginn wurden nach Angaben der russischen Bürgerrechtler von OVD-Info gegen 776 Personen Strafverfahren wegen Antikriegsaktionen oder -äußerungen eingeleitet.

Wer halbwegs prominent ist und zu den liberalen Kriegsgegnern gehört, ist entweder im Exil, im Gefängnis oder enthält sich jeder politischen Aktivität, um beides zu vermeiden. Ein Wahlkampf für einen Kandidaten, der den Krieg nicht vorbehaltlos unterstützt, kann unter diesen Umständen nicht stattfinden.