Demonstrationsrecht unter Corona
Nach dem politisch kritikwürdigen Aufmarsch vom Samstag in Leipzig wird nicht über Antifaschismus, sondern über Einschränkungen beim Demonstrationsrecht diskutiert - die Grünen machen mit
Beim Lockdown Light war bisher im Gegensatz zum Frühjahr das Demonstrationsrecht nicht direkt tangiert. Doch das scheint sich jetzt zu ändern. So wird die Corona-Info-Tour, zu der sich Menschen aus dem Querdenker-Spektrum zusammenfinden, immer wieder behindert. In Hamburg wurde einer Gruppe friedlicher Demonstranten sogar mit dem Einsatz von Wasserwerfern gedroht, wenn sie nicht die Abstände einhalten und Masken tragen. Zu sehen waren vor allem ältere Menschen, keine erkennbaren Rechten.
Vor 3 Jahren wurde bei den G20-Protesten noch Demonstrationen aufgelöst und behindert, weil angeblich ein Teil der Demonstrierenden vermummt war. Nun sollte man zum Mix aus kapitalistischer Mittelstandsideologie und liberalem Freiheitspathos, der von den Rednern auf der Infotour verbreitet wurde, tatsächlich Abstand halten und muss trotzdem nicht in den Chor derer einstimmen, die auf einmal nach Demonstrationsauflösungen schreien.
Politisch bekämpfen sollte man den deutschnational grundierten Leipzig-Aufmarsch von Querdenkern und organisierten Rechten vom letzten Samstag. Doch stattdessen wird von Linksliberalen das Demonstrationsrecht in Frage gestellt und in diesen Kreisen ungewöhnliche Richterschelte geübt. Das Oberverwaltungsgericht Sachsen hat die Versammlungsfreiheit auch unter Corona-Zeiten gestärkt und begründet.
Die Versammlungsfläche bestehend aus Augustusplatz nebst Goethestraße bis Karl-Tauchnitz-Straße und Grimmaischer Steinweg sei nach Abzug nicht nutzbarer Flächen noch 111.401,93 m2 groß gewesen. Das Gesundheitsamt habe am 4. November 2020 zur Wahrung der erforderlichen Mindestabstände eine Versammlungsfläche von 6 m2 pro Teilnehmer als ausreichend angesehen. Damit habe der für 16.000 Teilnehmer nötige Platz (16.000 x 6 m2 = 96.000 m2) zur Verfügung gestanden und die verbleibenden 15.000 m2 seien ein ausreichender Puffer gewesen. Zudem habe die ortsfeste Versammlung auf dem Augustusplatz zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit geboten, dass sich die ohnehin anreisenden Teilnehmer dort überwiegend aufhalten und nicht ungeordnet in der Innenstadt verteilen. Damit sei jedoch bei der von der Stadt Leipzig verfugten Verlegung der Versammlung zur Neuen Messe zu rechnen gewesen, da der Antragsteller bereits angekündigt habe, seine Versammlung dort nicht durchzuführen.
Oberverwaltungsgericht Leipzig
"Keine coronakritische Haltung" bei der Justiz
Das Gericht musste die merkwürdige Erklärung nachschieben, dass es dort keine "coronaskeptische Haltung" gibt, was immer das sein soll. Kritiker hatten eine Verbindung zwischen dem Urteil und einem Artikel in der außerhalb von juristischen Kreisen wenig bekannten Publikation "Sächsische Verwaltungsblätter" hergestellt, dessen bislang letzte Ausgabe am 1. November erschienen ist.
Herausgegeben wird die Fachzeitschrift unter anderem von Erich Künzler, der dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht als Präsident vorsteht. In der Redaktion arbeiten unter anderem Matthias Dehoust und Jürgen Meng, beide Richter am OVG in Bautzen. Dehoust unterzeichnete das Urteil vom Wochenende, in dem der Kundgebungsort auf dem Augustusplatz genehmigt wurde.
Grundlage der Kritik ist eine Verbindung zwischen einem Beitrag in den Sächsischen Verwaltungsblättern, der sich mit der Datenlage zu Corona-Infektionen und den vom Robert-Koch-Institut (RKI) erhobenen Daten auseinandersetzt, und den Bautzener Richtern. So heißt es in dem Artikel unter anderem: "Die Krankheit COVID-19 ist im Vergleich mit der gewöhnlichen Grippe keine wesentlich schlimmere." Verfasst hat den Beitrag Dirk Wüstenberg. Nun müsste man eigentlich froh sein, dass in Juristenkreis mehr Mut zum Streit und zur Diskussion über Corona und die Folgen vorhanden ist als in großen Teilen der Linken.
Wenn Grüne nach Law und Order schreien
Besonders nach den Aufmarsch am Samstag waren es vor allem Grüne und Linksliberale, die fragen, warum die Polizei nicht härter durchgegriffen hat. So sehen die Grünen "die Handlungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden" gefährdet, weil in Leipzig die Polizei nicht eine Großdemonstration aufgelöst hat.
Die Taz-Kommentatorin Simone Schmollak hat zu diesen grünen Law-und-Order-Sehnsüchten das Notwendige geschrieben:
Linke Kritik an der Polizei wird besonders laut, wenn sie sich gegen linke Aktionen und Projekte richtet. Dann sind sie "Bullen" wahlweise "Bullenschweine", denen auch schon mal "Advent, Advent, ein Bulle brennt" nachgerufen wird. Stürmt die Polizei aber nicht brachial eine rechte Demo, hat sie auf ganzer Linie versagt. Dieser linke Reflex ist falsch, fatal und politisch unklug.
Simone Schmollak
Die Taz-Kommentatorin beschreibt ein realistisches Szenario, das hätte eintreten können, wenn die Polizei gegen die Demonstranten eingesetzt worden wäre:
Stellen Sie sich vor, die Leipziger Polizei hätte versucht, mit Wasserwerfern, Tränengas und Knüppeln die Demo am Samstag in Leipzig gewaltsam aufzulösen. Stellen Sie sich vor, eine ältere Dame, sagen wir eine Homöopathieverfechterin, wäre schwer verletzt worden. So wie der Rentner Dietrich Wagner, der seit den Protesten gegen den Bahnhofsneubau Stuttgart 21 auf einem Auge blind ist, weil ihn ein Wasserwerfer ins Gesicht getroffen hatte. Stellen Sie sich vor, jemand, der fliehen wollte, wäre von der Polizei gefasst und brutal zu Boden geworfen worden.
Simone Schmollak
Verschärfungen mit Zustimmung von Linksliberalen und Grünen
Die Justiz ist in diesen Zeiten mehr als Grüne und Linksliberale noch dazu bereit, das Demonstrations- und Versammlungsrecht auch in Corona-Zeiten zu verteidigen. So hat das Oberverwaltungsgericht Köln entschieden, dass auf Demonstrationen keine Masken getragen werden müssen. Eine Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes könnte auch hier weitere Verschärfungen bringen.
Die sächsische Landesregierung hat schon reagiert und eine neue Verordnung erlassen, die Demonstrationen in Corona-Zeiten auf 1.000 Menschen begrenzen soll. Grüne und SPD gehören nicht zu den Kritikern. Sie haben schließlich nach dem Aufmarsch in Leipzig solche Maßnahmen gefordert. Statt gegen Rechte auf Demonstrationen zu mobilisieren, wird mithin das Demonstrationsrecht verschärft.