Den zensierten Internetzugang zahlt das Königshaus
Wer Hacker zahlt, kann in Saudi-Arabien dennoch auf alle Websites zugreifen
Ob Politik oder Porno: In Saudi-Arabien ist jeder Internet-Inhalt verfügbar - für den richtigen Preis. Zwar wird das Netz zensiert, doch für Preise zwischen 30 und 70 $ knacken Hacker blockierte Websites in Minuten. Angst vor Strafe braucht niemand zu haben: Das Knacken und Betrachten zensierter Seiten ist nicht verboten.
Sa'ad Al-Fakih ist begeistert. "Das Internet ist das schönste Geschenk, dass uns jemand machen konnte", sagt der Vorsitzende der "Bewegung für islamische Reform in Arabien", eine gemäßigte saudische Oppositionsgruppe mit Sitz in London.:
"Früher mussten unsere Leute unter großer Gefahr Flugzettel und Untergrundzeitungen verteilen. Heute kann sich jeder Saudi ohne Risiko auf unserer Homepage informieren."
Alles, was die Einwohner der konservativ-islamischen Monarchie Saudi-Arabien dazu brauchen, sind Computer, Modem und Telefonleitung; den Internetzugang bezahlt seit Februar das Königshaus. Im Gegenzug sind viele Inhalte blockiert, wird jeder Versuch registriert, eine solche Seite aufzurufen (Zensur ist ein lohnendes Geschäft).
Auf Politik oder Porno muss aber dennoch niemand zu verzichten - und das ganz legal: Zwar steht der Besitz solchen Materials unter Strafe, und auch das Einstellen solcher Inhalte ins Internet ist seit Mitte vergangenen Jahres verboten - das Knacken der Blockierung und Betrachten der Seiten sind es jedoch nicht. Grund dafür ist die gerichtliche Auslegung der Gesetze:
Die Regierung behauptet, der Nutzer sei im Besitz des Materials, dass er auf dem Bildschirm vor sich hat, die Gerichte sind aber der Ansicht, dass es dazu auf seinem Computer gespeichert sein muss. Das gilt nicht für Seiten im Internet
:Der Anwalt Jussef Saladeh
Sechsmal hätten die Behörden Anklage gegen Nutzer erhoben. In allen Fällen erwirkte er Freisprüche: "Seitdem hat man es nicht wieder versucht." Die rechtliche Situation hat dazu geführt, dass die Regierung jedes Jahr mehrere Millionen Euro in die Kontrolle des Internet investiert - nur damit die Nutzer danach mehrere Millionen Euro für das Umgehen der Kontrollen ausgeben. Das Internet sei kaum zu kontrollieren, gesteht ein Mitarbeiter der staatlichen Zensurbehörde ein: "Dazu gibt es einfach zu viele Wege an den Kontrollen vorbei."
Aus Langeweile in der streng religiösen Monarchie verbringen viele Saudis ihre Zeit im Internet
Hacker, die Kunden Zugang zu blockierten Seiten aller Art verschaffen, gehören in jedem Internetcafé zur Belegschaft: "Sagen Sie mir, was Sie sich ansehen wollen, für Geld können Sie alles haben", sagt der Mitarbeiter eines Netzcafés in der Hauptstadt Riad.
Umgerechnet zwischen 30 und 70 Euro kosten die Dienste der Hacker. Im Preis enthalten sind in den meisten Fällen eine diskrete Kabine, der einmalige Zugang auf die gewünschte Seite und bei kostenpflichtigen Angeboten das dazugehörige Passwort. "Viele Betreiber verdienen mittlerweile mehr Geld mit dem Umgehen der Kontrollen als mit dem Internetzugang", berichtet der saudische Computerexperte Saleh Al-Athel, der für einen ausländischen Softwarehersteller arbeitet.
Einen Mangel an zahlungswilligen Kunden gibt es offenbar nicht. Das zeigt das Beispiel der Plattform Yahoo, die eine Vielzahl von Diskussionsgruppen anbietet. Obwohl das Angebot im vergangenen Jahr komplett blockiert wurde, herrscht in den fast 400 saudischen Foren, die es bei yahoo.com gibt, immer noch reger Betrieb. "In Saudi-Arabien haben wir immer noch mehr Nutzer als überall sonst in der arabischen Welt", sagt eine Sprecherin der Firmenzentrale in den USA.
Die Gründe lägen auf der Hand, erklärt Frank Gardner, der für die BBC aus Riad berichtet. Abwechslung sei in der konservativen Monarchie, in der es weder Alkohol noch Kinos gibt und Frauen kein Auto fahren dürfen, ziemlich rar: "Viele Saudis verbringen daher ihre Zeit im Internet."
Internetcafés für den Zugriff aufs Verbotene
Offiziell wurde das Internet erst 1998 zugelassen, um den Status Quo besser kontrollieren zu können, vermutete damals die New York Times. Denn schon vorher hätten sich viele Saudis über Auslandsverbindungen ins Internet eingewählt; die Einführung einheimischer Anbieter habe sie wohl dazu bringen sollen, deren Leitungen zu benutzen. "Der gesamte Datenverkehr dieser Anbieter fließt über die Server der Zensurbehörde", sagt Experte Al-Athel (O mein Herr, mir ist Gefängnis lieber als das, wozu sie mich einladen).
Mittlerweile sind nach offiziellen Angaben 1,2 der rund sechs Millionen Haushalte ans Netz angeschlossen; allein im vergangenen Jahr kamen 300.000 neue Anschlüsse hinzu. Außerdem gibt es Internetcafés wie Sand in der Wüste.
Denn wer die Kontrollen umgehen will, tut das am besten nicht von zu Hause aus: "Es ist durchaus möglich, dass der Hackversuch aufgezeichnet wird", sagt Al-Athel. Wer sicher gehen wolle, wähle sich daher im Ausland ein oder gehe ins Internetcafé. Dort fragt niemand nach dem Ausweis. Und sollte tatsächlich mal die Polizei kommen, sei man längst weg. "Die anfallende Datenmenge ist so groß, dass es lange dauert, bis jemand aktiv wird."
Diese Erfahrung hat auch Al-Fakihs Gruppe gemacht. Damit ihr Angebot auch für Saudis mit wenig Geld zugänglich ist, wechselt sie, wie viele andere Oppositionsgruppen auch, regelmäßig ihre Adresse: "Die Behörden brauchen jedes Mal rund zwei Wochen, um die neue Adresse zu finden und zu blockieren."