Der Abgeordnete und seine Lobby

Seite 3: Hauptjob? Nebenjob? Geht beides als Parlamentarier!

Nebentätigkeiten, Lobbying und Spenden sind grundsätzlich erlaubt, Korruption nicht. Wobei es Überschneidungen geben kann: "Sowohl Angestelltenverhältnisse im Bereich der freien Berufe als auch die freien Berufe selbst bieten vielfältige Möglichkeiten, politischen Einfluss durch ein Bundestagsmandat für die außerhalb des Mandats ausgeübte Berufstätigkeit zu nutzen, und gerade von dieser Möglichkeit gehen besondere Gefahren für die Unabhängigkeit der Mandatsausübung aus", schrieb 2007 das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Klage gegen das "Transparenzgesetz".

Anders ausgedrückt: Wer nicht nur Abgeordneter ist, sondern zum Beispiel ein Unternehmen oder eine Anwaltspraxis betreibt, hat natürlich auch seine persönlichen beruflichen Interessen im Kopf. Gesetze, die diesen Interessen zuwiderliefen, auch Interessen von Zulieferern des Unternehmens oder von Klienten des Anwalts, könnten von einem solchen Mandatsträger nicht ausschließlich auf deren Beitrag zum Allgemeinwohl geprüft werden. Sondern eben auch im Hinblick auf das eigene und das Wohl bestimmter anderer.

Um solche Interessenkonflikte weiß nicht nur das Bundesverfassungsgericht. Die Abgeordneten und ihre Parteien besitzen davon ein Bewusstsein. Die Debatten anlässlich einschlägiger Fälle kursieren dann zwischen zwei Polen: Einerseits der im privaten Beruf verwurzelte, in der Wirtschaft gut vernetzte Unions-Abgeordnete mit Einkommen, oft aus selbständiger oder freiberuflicher Tätigkeit, andererseits der in seiner Partei beheimatete Abgeordnete der SPD und anderen Parteien, der auf seine Diäten angewiesen ist und sich auf sein Mandat konzentriert."1

Beide Typen Volksvertreter soll es weiterhin geben. Warum auch nicht? Die einen wissen bestens über die Sorgen und Nöte der Ökonomie Bescheid. Sie sind mit ihrem wirtschaftlichen Erfolg besonders glaubwürdig bei der Einschätzung, was die Unternehmen vom Staat brauchen. Und sind sie nicht außerdem besonders unabhängig, weil besonders reich? Die anderen verfügen zwar nur über ihre Diäten, wären daher anfälliger für finanzielle Verlockungen staatsfremder Interessen. Dafür sind sie aber "Überzeugungstäter" im Hauptberuf, an keine Verpflichtungen gebunden.

Herrschaft des Rechts hier, persönliche Interessen dort

Welcher Typ Abgeordneter auch immer - ein grundsätzlicher Widerspruch ist nicht aufzulösen: Die Herrschaft des Rechts wird von Personen durchgesetzt, die neben ihrer politischen Funktion auch ihre privaten Interessen verfolgen.

Jedoch basiert die demokratische Verfassung gerade auf der Unparteilichkeit der politischen Entscheidungen. Denn es gilt, im Sinne der besten Folgen für den Staat zwischen immer wiederkehrenden und zahlreichen widerstreitenden Interessen abzuwägen (siehe unsere Beispiele zuvor).

Was in einer Gesellschaft nicht verwundert, in der die Leute darauf verpflichtet sind, mit allen Mitteln und unter allen Umständen an Geld zu kommen - sei es mit einem Geschäft oder nur mit der eigenen Arbeitskraft, weil man sonst nichts hat. Die Gesetze formulieren die "Spielregeln", wie der Kampf um das Geld verlaufen darf. Individuelle Vorteile für diejenigen, die die Gesetze beschließen, laufen daher der generellen Herrschaft des Rechts zuwider.

Die Prognose fällt daher nicht weiter schwer: Korruptionsfälle werden weiter vorkommen. Allerdings verändern sich gerade die "Rahmenbedingungen".

Ab welchem Betrag nun künftig Nebeneinkünfte und Spenden zu deklarieren sind, ob Beteiligungen an Unternehmen eingeschränkt oder gar untersagt werden sollen, in welchem Umfang Beiträge von Organisationen zu Gesetzesentwürfen offengelegt werden müssen, inwiefern ein "verbindlicher Verhaltenskodex", wie es die Union erwägt, Verfehlungen vorbeugt - all dies wird nun neu definiert.

Mit "Lobby Control" und "campact" sorgen sich die Politiker um das beschädigte Vertrauen in die Demokratie. Am Ende der Prozedur sollte der Ruf des Volksvertreters durch verschärfte Anstandsregeln wieder hergestellt sein.

"Schmutziges Geschäft" – eine seltsame Kritik

Es soll also noch anständiger regiert werden. Ein exquisites Problem: Wofür der Abgeordnete täglich seinen Anstand einsetzt, kommt dabei nicht vor. Die Fans des hiesigen Staatswesens treibt nur die Sorge um, dass immer mehr Untertanen bei ihrem Mitmachen die Begeisterung verlieren.

Denn die Vorgänge sind Wasser auf den Mühlen einer Sorte Kritik an den Volksvertretern, die so alt ist wie der Beruf selbst. An den "Stammtischen" schwadronieren seit jeher besonders schlaue Durchblicker über "Mauscheleien" in der Politik, halten das Ganze für ein "schmutziges Geschäft".

"Die da oben, machen ja doch was sie wollen", ist dann auch oft zu hören. Und ausgesprochen böse Zungen bezichtigen die Politiker als "Verbrecher". Starker Tobak, der die beschriebenen Versuchungen der Abgeordneten und ihre Macht zur Grundlage hat.

Es ist also durchaus etwas dran. Eine geharnischte Kritik oder gar Angriff auf die Politik ist damit allerdings nicht verbunden. So geht das halt "da oben" zu, lautet das seltsam abgeklärte Resümee. Was für ein Urteil über die Figuren, die alle unsere Lebensbedingungen bestimmen, und über die Sorte Staat: Das müssen wohl ziemlich abgefuckte Typen sein - und die braucht es auch, weil anders Politik nun mal nicht geht?

Also ständiges Hauen und Stechen, Intrigen, Einflüsterungen von mächtigen Verbänden, Vorteilsnahmen und Bestechungen. Wie sollen dabei bitte vernünftige, sachgemäße Entscheidungen zustande kommen?

Doch diese Überlegung machen sich solche Kritiker nicht. Zur Verachtung über das "schmutzige Geschäft" gesellt sich dagegen sogar Bewunderung: Dass diese Typen sich im "Haifischbecken" behaupten, sich gegen alle Widerstände durchsetzen - sei es in der Partei oder in der Regierung, sei es trotz schlechter Presse oder Verfehlungen. Durchaus mit Interesse verfolgt man daher, wer im politischen Ränkespiel die Oberhand behält. Von einem begründeten Urteil, was die Politik warum treibt, hat man sich damit endgültig verabschiedet.

Anständig entscheiden – staatlicher Nutzen über alles

Dabei ist das ja kein großes Rätsel: Nach bestem Wissen (Abwägung aller Interessen, Kenntnis vom Gegenstand) und Gewissen (frei von "imperativen" Mandaten, Aufträgen und Abhängigkeiten) entscheidet der Abgeordnete, was für den Staat das Beste ist. Das ist dann der "Kompromiss", der oft die Interessenvertreter nicht begeistert, nicht begeistern kann, weil ihre Interessen nur zum Teil berücksichtigt wurden. Der Politiker hingegen sieht sich dadurch gerade in der Richtigkeit seiner Entscheidung bestätigt. So setzt er das "Allgemeinwohl'" gegen Einzelinteressen durch.

Wiewohl ihm einige Interessen mehr einleuchten als andere. Das liegt in den meisten Fällen eben nicht an seiner Bestechlichkeit oder Beeinflussbarkeit durch Lobbyisten - Ausnahmen bestätigen die Regel. Sondern es kommt eben sehr darauf an, welchen Beitrag das jeweilige Einzelinteresse zum Wohl das Staates leistet.

Da ist der Erfolg einer nationalen Autoindustrie nun einmal wichtiger als höhere Bezüge für Arbeitslose. Auf Erkenntnisse dieses Kalibers kommen die Abgeordneten nicht durch unlautere Einflüsterungen oder gar Bestechung durch Lobbyisten. Das ergibt sich vielmehr schlicht aus ihrem Auftrag, für den sie sich stets aufs Neue begeistern: Herrschaft ausüben für die optimale Verfassung des Staates.

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