Der Abgeordnete und seine Lobby

Seite 2: Lobbying ja, aber keine "einseitigen" Entscheidungen

"Die Wirtschaft" ist halt in eigener Sache ihr bester Experte. Ihre Betreiber gehören zu den "Lieblingsbürgern" der Republik. Denn sie schaffen durch erfolgreiche Ausbeutung den Reichtum, mit dem der Staat alle seine Vorhaben finanziert und auf dem seine auch internationale Machtfülle gründet. Also hat die Stimme der Ökonomie besonderes Gewicht.

Dennoch soll sich kein Interesse durchsetzen, nur weil es am geschicktesten Lobbyarbeit betreibt und das meiste Geld hinter sich weiß. Denn die Politik kennt noch eine Menge anderer Kriterien, die für eine erfolgreiche Nation ausschlaggebend sind. Um zwei ganz wesentliche zu nennen: eine Bevölkerung, die ausreichend gebildet und gesund ist, um beschäftigt werden zu können; und eine Natur, die bei aller Ruinierung durch wirtschaftlichen Gebrauch für eben diesen noch irgendwie tauglich bleibt.

Deshalb sind dem Lobbying generell - auch dem von Gewerkschaften oder Umweltverbänden - Grenzen gesetzt, zum Beispiel in puncto Geldzuwendungen an Abgeordnete. Diese Grenzen sollen nun noch etwas enger gefasst werden.

Das Prinzip hingegen bleibt - die Abgeordneten entscheiden auf Basis ihrer Kenntnis der unterschiedlichen Standpunkte und deren freier Bewertung durch sie. Es sind den Politikern einleuchtende "Argumente", die sich behaupten. Drei Beispiele von vielen:

Schlagende Argumente – weil sie dem Staat nützen

Die Automobilindustrie warnt vor zu strengen Auflagen für die Abgase ihrer PS-starken Verbrenner. Das würde ihr Geschäft zu sehr gefährden. Angesichts der Bedeutung dieser Branche für den gesamtdeutschen Profit, an dem der Staat teilhat, zieht dieser Hinweis mehr als der Umweltschutz - der aber dennoch nicht komplett ignoriert wird. Die Messlatte für den Ausstoß von Schadstoffen wird nicht abgeschafft, sondern lediglich etwas niedriger gehängt.

Empörte Bauern fahren mit ihren Traktoren nach Berlin, um gegen aus ihrer Sicht überzogenen und so für sie geschäftsschädigenden Landschaftsschutz zu protestieren. Das fällt auf buchstäblich fruchtbaren Boden. Allerdings sehen die Parlamentarier gleichfalls die Natur dauerhaft gefährdet und damit ihre Benutzung, wenn nicht ihrer industriellen Ausbeutung ein paar Grenzen gezogen werden. Also schlagen sich beide für den Staat wichtigen Aspekte in dem überarbeiteten Gesetz nieder: profitables landwirtschaftliches Geschäft erhalten und ein Mindestmaß an dafür nötiger Natur.

Die "Atom-Lobby" schaffte es kurz vor der Katastrophe in Fukushima von 2011 noch, die Laufzeit ihrer Kernkraftwerke zu verlängern. Die Bundesregierung bezeichnete die Atomkraft als Brückentechnologie hin zu den erneuerbaren Energien aus Sonne, Windkraft, Wasser und Biomasse. Damit nahm sie die Argumentation der Energiekonzerne auf. Sie überzeugte aus mehreren Gründen: Einträgliches Geschäft der vier größten Unternehmen in einer Schlüsselindustrie - ohne Energie läuft nun einmal nichts - zu zerstören, warum?

Für die Klima-Bilanz im internationalen Vergleich machen sich die AKWs auch gut. Und der Besitz einer relativ autarken Energiequelle, die noch dazu das Potenzial für eine konkurrenzlose Waffe hat, ist für einen Staat wie Deutschland, der in der Welt seine Interessen durchsetzen will und deshalb ständig vor "Herausforderungen" anderer Staaten sich gestellt sieht, einfach zu verlockend.

Die Argumente verblassten jedoch schlagartig, als sich in Japan der "größte anzunehmende Unfall", der GAU, in einem Atomkraftwerk ereignete. Mit einem Mal gewann ein anderes Argument die Überhand: Dass eine solche Katastrophe auch hierzulande passieren könnte, war zu wahrscheinlich geworden. Also wurde der Atomausstieg beschleunigt, da konnte die Atom-Lobby nichts mehr machen.

Manche Interessen setzen sich daher durch, andere nicht

Politiker urteilen danach, was für "das Wohl des Staates" am besten ist. Und das buchstabiert sich nach allen Kriterien, die für seinen Erfolg wichtig sind: Wie kann die Wirtschaft weiter und noch mehr erfolgreich sein? Was muss getan werden, damit die Unternehmen alles Nötige bekommen - natürliche Ressourcen und ein in ausreichender Zahl zur Verfügung stehendes Arbeitsvolk, selbstverständlich für die Verwendung richtig ausgebildet? Welche Infrastruktur muss dafür da sein, Wohnungen, Straßen, Telekommunikation, Gesundheitssystem etc.? Wie können unproduktive Kosten gesenkt und damit die Betriebe entlastet werden von zu hohen Sozialausgaben?

Die Akteure in allen gesellschaftlichen Bereichen haben diesen Standpunkt nicht. Sie sind darauf festgelegt, sich mit ihren Mitteln durchzuschlagen - mithin nur an sich zu denken, sei es als Unternehmer, Arzt, Anwalt, Lehrer, Angestellter oder Arbeiter. Und weil das so ist, reklamieren sie ihre spezifischen Interessen gegenüber der Politik.

Auch wenn die einschlägigen Interessensverbände stets betonen, wie sehr ihr Anliegen dem "Allgemeinwohl" diente - da sie wissen, dass nur so sie Gehör finden -, schätzen die Politiker dies schon richtig ein und klopfen die "Argumente" auf ihre Tauglichkeit für das staatliche Fortkommen ab. Vor diesem Hintergrund verfangen manche angemeldeten Interessen mehr, manche weniger.

Die Krux dabei lautet: Der Abgeordnete ist ja auch ein Beruf. Der Mensch verdient sein Geld damit, allen anderen vorzuschreiben, wo es lang geht. Das reizt Leute, die gern in der Gesellschaft "etwas bewegen wollen". Vornehmlich schauen sie dabei nicht auf das zu erzielende Einkommen.

CSU-Chef Markus Söder ist durchaus zu glauben, wenn er sagt: "Geld und Politik geht nicht zusammen. Man muss sich für eines entscheiden." Und im Übrigen reiche der Verdienst "für ein ordentliches Leben". (zitirt nach Süddeutsche Zeitung, 19. März 2021, Seite 3). Das kann wohl sagen bei einem monatlichen Abgeordneten-Gehalt von 10.083 Euro und einer steuerfreien Kostenpauschale für Aufwendungen wie Reisen und Büro in Höhe von 4.561 Euro.

Außerdem steht dem Mandatsträger noch jeden Monat ein Budget von 22.436 Euro für die Beschäftigung von Mitarbeitern zur Verfügung.

Der Abgeordnete als "Überzeugungstäter"

Die Höhe der Diäten für Volksvertreter orientiert sich am Einkommen für Bundesrichter im öffentlichen Dienst. Das relativ üppige Gehalt soll finanzielle Unabhängigkeit schaffen. Nun gibt es aber einige Gesellschaftsmitglieder mit noch mehr Geld. Das wissen die Politiker natürlich. Der SPD-MdB Florian Pronold drückt das so aus: "Für gut verdienende Selbstständige (ist es) nicht sehr attraktiv, in die Politik zu gehen. Führungskräfte in der zweiten und dritten Ebene von Unternehmen verdienen deutlich mehr als ein Abgeordneter."

Es handelt sich demnach bei dieser Berufsgruppe um "Überzeugungstäter", denn sie machen diesen Job in erster Linie, weil sie ihn für richtig und wichtig halten. Und weil sie von sich überzeugt sind, dafür die geeignete Besetzung zu sein.

Dafür nehmen sie eine ganze Menge Stress auf sich: Hocharbeiten in der Partei mit Geschick, Netzwerken und Ellenbogen; immer die beste Figur machen für die Medien, auch privat; von einer Veranstaltung zur nächsten jagen, an zig Sitzungen des Parlaments, der Fraktion und von Ausschüssen teilnehmen, tausende Seiten Entscheidungsvorlagen und Gesetzesentwürfe lesen (und dabei notorisch überfordert sein, weil man mit den Fachleuten nicht mithalten kann), im Wahlkreis regelmäßig präsent sein, Bürger-Anfragen beantworten, kaum Zeit für die Familie, weil selbst die Wochenenden oft verplant sind usw.

Und für diese Anstrengung und diese Verantwortung bekommt ein Mitglied des Bundestages weniger Geld als ein Manager in der zweiten oder dritten Reihe? Diese Frage liegt nahe. Die Antwort lautet dann so wie bei Markus Söder - oder das Einkommen wird durch Nebentätigkeiten aufgebessert. Wo dafür angesichts des Abgeordneten-Alltags noch Platz ist? Dafür wird dann halt Platz geschaffen auf Kosten des Haupt-Jobs.

Eine weitere Möglichkeit: Man nutzt seine Machtposition für Gefälligkeiten gegenüber finanzkräftigen Interessen. Die sich entsprechend großzügig bedanken - zum Beispiel mit einer Provision für die Vermittlung von Aufträgen für die Produktion von Corona-Schutzmasken. Ferner kann man sich ganz offiziell als Lobbyist verdingen und Spenden empfangen.

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