"Der Ball liegt nun bei den Taliban"
Der afghanische Präsident bot den Taliban eine Anerkennung als politische Partei an, die verlangen aber den Abzug des US-Militärs
"Anführer der Taliban und alle Mitglieder - die Entscheidung ist in euren Händen. Akzeptiert den Frieden. Kommt an den Verhandlungstisch und lasst uns dieses Land gemeinsam aufbauen."
Mit diesen Worten wandte sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani direkt an die Taliban. Anlass war die Friedenskonferenz "Kabul Process", die erstmals im vergangenen Jahr in der afghanischen Hauptstadt stattfand. Nun, während der zweiten Konferenz in dieser Woche, schlug Ghani Töne an, die einige Beobachter überrascht haben. Er bot den Aufständischen unter anderem einen Waffenstillstand, Amnestie, die Anerkennung als politische Partei sowie ein Büro in Kabul an.
Derart viele Zugeständnisse sind überraschend. Auf der Konferenz im Jahr 2017 meinte Ghani noch, dass die Tür für Friedensgespräche nicht permanent offen bleibe. Außerdem war die Rhetorik des afghanischen Präsidenten stets konform mit dem Narrativ des "Krieges gegen den Terror" der USA. Die amerikanischen Militäroperationen in Afghanistan, die seit der Präsidentschaft Donald Trumps massiv zugenommen haben, werden auch von Ghani abgenickt. Und auch nach den jüngsten, blutigen Taliban-Anschlägen in Kabul kündigte Ghani einen harten Kurs an.
"Der Ball liegt nun bei den Taliban", kommentierte der US-amerikanische Analyst Barnett Rubin das Geschehen über Twitter. Rubin richtete sich vor kurzem mit einem offenen Brief, der im US-Magazin "The New Yorker" veröffentlicht wurde, ebenfalls an die Taliban und rief sie zu Friedensgesprächen auf. Der bekannte Afghanistan-Kenner, der unter anderem für die UN sowie für die US-Regierung arbeitete, pflegte einst auch Kontakte zu den Aufständischen.
Rubin erwähnt allerdings auch jenen Punkt, der in Ghanis "Friedensantrag" keinerlei Erwähnung fand und als Hauptforderung der Taliban gilt. "Das Problem ist, dass keines von diesen großzügigen Angeboten die Hauptforderung der Taliban adressiert: den kompletten Abzug des US-Militärs und anderer ausländischer Truppen aus Afghanistan, und Präsident Ghani hat keine Kontrolle darüber", so Rubin.
Die Reaktion der Taliban auf Ghanis Angebote kam schnell und fokussierte sich auf ebenjenen Punkt. Die Aufständischen nahmen die Rede des Präsidenten mit einigen positiven Worten auf, erklärten allerdings, dass er "das Thema verfehle".
In der finalen Abschlusserklärung des "Kabul Process", die erst nach der Reaktion der Taliban veröffentlicht wurde, wird allerdings darauf hingewiesen, dass ein Abzug der Truppen nicht vor Friedensgesprächen stattfinden werde. Die Taliban selbst forderten in der Vergangenheit immer wieder direkte Gespräche mit den USA anstatt mit der Kabuler Regierung.
"Richtige Gespräche haben bis zum heutigen Tage gar nicht stattgefunden"
Wie genau und wann ein solches Szenario stattfinden wird, bleibt offen. Kein einziger Gesandter der Taliban war zur Kabuler Konferenz eingeladen worden. Vergangene Friedensgespräche, die zwischen der Regierung und dem "Islamischen Emirat", wie sich die Taliban selbst bezeichnen, fanden unter fragwürdigen Umständen statt.
Oftmals war zum Beispiel nicht einmal klar, ob die eingeladenen Taliban-Vertreter die Gruppierung tatsächlich zum jeweiligen Zeitpunkt repräsentierten oder lediglich "Scheinvertreter" - etwa ehemalige Taliban-Mitglieder, die mit der Gruppe kaum noch etwas zu tun haben - gewesen sind. "Richtige Gespräche haben bis zum heutigen Tage gar nicht stattgefunden", meint etwa Waheed Mozhdah, ein Taliban-Kenner und Analyst aus Kabul.
Hinzu kommt, wie sich der Konflikt im Land in den nächsten Monaten entwickeln wird. Auf dem Schlachtfeld geben sich die Aufständischen weiterhin siegessicher. Zahlreiche Distrikte stehen bereits in ihrer Kontrolle. Eine aktuelle BBC-Recherche hat vor kurzem aufgezeigt, dass siebzig Prozent des Landes von den Taliban bedroht werden und dass der Einfluss der Kabuler Regierung tagtäglich abnimmt. Währenddessen behaupten Regierungsvertreter, dass die neue US-Strategie - hauptsächlich mehr Bombardements - Wirkung zeigen würde und die Taliban keine neuen Gebiete einnehmen konnten.
Ersteres scheint allerdings einer der Hauptgründe zu sein, warum Ghani immer mehr unter Druck gerät. Hinzu kommt, dass viele internationale Akteure zum Schluss gekommen sind, dass die Taliban ein Teil der politischen Realität Afghanistans sind. Eine Lösung lässt sich demnach nur mit ihnen finden.
Trotz der erklärten Absichten des afghanischen Präsidenten lässt sich der Einfluss weiterer Akteure in Bezug auf zukünftige Friedensgespräche schwer vorhersagen. Dies gilt etwa für den afghanischen Sicherheitsapparat, bestehend aus Militär und Geheimdienst, dem bereits in der Vergangenheit nachgesagt wurde, potentielle Friedensverhandlungen sabotiert zu haben. Ähnliches gilt auch für den Nachbarstaat Pakistan, dem seit eh und je nachgesagt wird, die Taliban zu unterstützen.
Doch vor allem die Rolle Washingtons und die Interessen der USA in dieser Region geraten bei alldem in den Hintergrund. "Aus strategischen Gründen gehört es zu den Hauptinteressen der Amerikaner, ihre Militärbasen in Afghanistan aufrechtzuerhalten. Selbst wenn einige Basen der afghanischen Armee übergeben werden sollen, ist es kaum vorstellbar, dass alle verschwinden. Von den Taliban wird dies ohne Zweifel als Fortführung der Besatzung betrachtet", meint Mozhdah.