Der Datenraum als Karte

Angesichts zunehmender Komplexität des Internets bieten Firmen Visualisierungen des virtuellen Kontinents an

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Aufbruchsstimmung. Expeditionsteams steuern unbekannten Ufern entgegen. Einen neuen Kontinent gilt es zu erschließen. Als solcher wurde das Internet von den Pionieren kultureller Netzwerke ebenso wie von global agierenden IT-Konzernen dargestellt. Selbst Milky Way versucht Kids mit einem so genannten Entdecker-Club zu Netzsiedlern zu machen. Und wo Neuland ist, da sind auch Karthographen.

In Zeiten eines ins schier Unermessliche wachsenden Datenraums steigt das Bedürfnis an Vereinfachungen, Übersichten und Zusammenfassungen. Im Zuge der Bildwerdung vernetzer Telekommunikation liegen visuelle Lösungen nahe. Die Komplexität des Internets in Visualisierungen zu überführen, geht jedoch nicht mehr allein mit der Frage einher, den Umfang bzw. die Grösse des Internets zu bestimmen, sondern auch dessen Gestalt. Welche Form hat der neue Kontinent?

Die Macher von Webmap haben sich für konzentrische Kreise entschieden, die an Darstellungen ferner Galaxien oder Satelitenaufnahmen von der Erde erinnern oder auch an den Infrarot-Blick auf Wärme-Zonen eines nicht identifizierbaren Körpers. Ballungszentren glühen rot, während in feinen Abstufungen die Intensität nach außen hin abnimmt, bis sich die Ausdehnung über ein sattes Gelb und grüne Zonen in einem seichten Grün einpendelt. Es ist nett anzusehen, wie sich diese Zonen in multiplen Schwärmen freiflottiernd nebeneinandergruppieren. Darüberhinaus ist es ein alternativer Einstieg ins tägliche Online-Leben. Denn bei Webmap handelt es sich immerhin um einen Browser, der in Ergänzung zum Explorer kostenlos geladen werden kann. Wenn man sich also nach dem Frühstück bei seinem Server einwählt, um ins Netz zu gehen, begrüsst einen nicht irgendeine Startseite, sondern eben jene karthographische Übersicht.

Karthographische Übersicht des Netzes von Webmap.com

Zur Orientierung gibt es Icons: kleine schneebedeckte Bergspitzen (als Zeichen für die meistbesuchten Sites), oder kleine rote Quadrate, die Suchergebnisse anzeigen. Ja, sogar suchen kann man über diese Oberfläche. Was dann u.a. über Google abgewickelt wird, nimmt in einem putzigen Prozess Gestalt an: die kleinen roten Vierecke poppen auf der karthographischen Übersicht untermalt von Sounds auf. Wer sich auf der Ausgangsebene befindet, wird seine Suchergebnisse in Kategorien wie "Recreation", "Regional", "Sports", "Computers" und "Arts" verteilt sehen. Mittels Zooming lassen sich weitere, tiefere Ebenen erschließen, die sich wiederum in weiteren Subkategorien ausdifferenzieren. Die Option Favoriten einzurichten, verleiht der doch eher selektiv angelegten Web-Karte eine notwendige Facette. Konnte man sich eingangs noch über die angelegten "Sehenswürdigkeiten" durch den Datenraum bewegen, lässt sich die Auswahl jedoch auch bald personalisieren. Und anstatt die Favoriten-Menüleiste nach Internet-Adressen rauf und runter zu scrollen, hat man seine allmorgendliche Tour auf einen Blick vor sich.

Es bleibt allerdings zu hoffen, dass Webmap die Türen zur Personalierung etwas weiter öffnet. Schließlich ist das übergreifende Regulierungsprinzip Verkehr. Unbekannte, kleine Sites bleiben somit unsichtbar. Vorstellbar wäre daher eine Underground-Webmap-Version. Damit meine ich nicht eine Masturbationsvorlagen-Shopping-Mall, vielmehr eine Karte der stetig aufkeimenden Initiativen und Kampagnen.

Einen anderen Ansatz verfolgt der Kulturserver, der nach der Fusion mit Heimat.de zur grössten deutschen Kulturdatenbank anvanciert. Über eine so genannte Geo Map Deutschland lassen sich alle Informationen innerhalb des Systems auf ihren regionalen Ursprung zurückverfolgen. Die datenbankgenerierte Deutschland-Karte ist mit verschiedenfarbigen Quadraten übersät. Auf den ersten Blick mutet es wie ein unvollendetes Mosaik an. Prinzip: Je größer ein Rechteck, desto mehr Einwohner zählt die Stadt. Wer wahllos mit der Mouse über die Karte gleitet und eine Region anklickt, bekommt eine Vergrößerung der Stelle und zusätzliche Informationen: "Sie sehen einen 140x110 km Ausschnitt. Es werden 158 Städte angezeigt." Ferner: "Führen Sie die Maus über eine Stadt, um Informationen zu erhalten und klicken Sie die Stadt an, um eine Übersicht aller Nutzer/Homepages und Events zu erhalten. Die grünen Balken zeigen proportional an, wieviele Homepages in der Stadt existieren, die roten Balken geben Aufschluss über die Anzahl der Veranstaltungen."

Wie Programmierer Andreas Pflug zu verstehen gibt, "werden beim Aufruf zur Bildgenerierung ca. 120.000 Datensätze aus der Datenbank ausgelesen. Einmal pro Nacht wird für jede Stadt (6800 insgesamt) ein Quervergleich zur Kulturserverdatenbank gemacht, um Homepages und Events abzugleichen. Das Ganze ist ist in PHP mit MySQL als relationales Datenbanksystem programmiert. Für die "mouseover-events" habe ich DHTML verwendet."

Wer viel unterwegs ist, dürfte hier bedient werden. Aber auch alle, die Kontakte in einer anderen Stadt suchen. Denn neben Homepages werden auch die E-Mail-Adressen der Nutzer angezeigt. Da das ganze System dem Zweck dient, sich grafisch durch die Homepages von Kulturservernutzern zu klicken und sich so nach regionalen Kriterien umzusehen, wäre es nicht nicht nur denkbar, sondern vorallem wünschenswert, dass sich die bislang auf systeminterne Daten stützende Karte durch externe, öffentlich generierte Informationen erweitert. Technische Hürden gibt es dafür nicht, eher noch ideologische Bedenken wie ...damals.

Einst war das Vermessungswesen in staatlicher Hand und damit den Interessen einer jeweiligen Nation unterstellt. Zum Beispiel wurden im vormodernen Japan Länder jenseits der einheimischen Landesgrenzen durch Darstellungen von Dämonen und Monstern symbolisiert. Heute sind es Firmen, die dem neuen Kontinent (auch in seinem Verhaltnis zum realen Raum) Gestalt verleihen. Das Bild der neuen Welt wird durch eine korporative Ausschlusslogik bedingt. Planet dot.com lässt grüßen.